Studie zur Zukunft der Nutzfahrzeuge Auch Lkw fahren bald elektrisch und autonom

Die Zukunft des Nutzfahrzeugs ist möglichst emissionsneutral und autonom. Diese Design-Studie des LKW-Weltmarktführers Daimler heißt „Future Truck 2025“. Quelle: PR

Laut einer aktuellen Studie könnte im Jahr 2030 jeder dritte neue Lkw ohne Verbrennungsmotor fahren, etwa jeder zehnte autonom. Was der Wandel für die Branche bedeutet.

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Im Vergleich mit Autos werden sich Lastkraftwagen langsamer vom Verbrennungsmotor verabschieden. Bis zum Jahr 2030 werden schätzungsweise 35 Prozent der neu zugelassenen leichten Lkw (bis sechs Tonnen) und 26 Prozent der neuen schweren Lkw (schwerer als 15 Tonnen) mit alternativen Antrieben ausgestattet sein. Das geht aus einer Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) vor, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt.

Zum Vergleich: In einer Studie von Ende 2017 hatten die Berater von BCG prognostiziert, dass der globale Marktanteil von Pkw-Verbrennungsmotoren von damals 96 Prozent auf 50 Prozent im Jahr 2030 zurückgehen wird. Hier geht der Wechsel offenbar deutlich schneller voran.

Die prognostizierten 35 Prozent der Lkw mit alternativen Antrieben seien „schon ziemlich viel angesichts der relativ langen Entwicklungszyklen in der Lkw-Branche“, sagt Sebastian Wolff, der an der TU München die Forschungsgruppe Fahrzeugkonzepte leitet. Sein Forschungsschwerpunkt: alternative Antriebe für Nutzfahrzeuge. Bei Lkw, sagt er, „können gerne mal zehn Jahre vergehen von der Entwicklung bis zur Straßenzulassung, das geht deutlich langsamer als bei Pkw. Das liegt auch daran, dass die Hersteller im Lkw-Bereich viel niedrigere Stückzahlen produzieren und verkaufen als die Pkw-Hersteller. Man muss einen Lkw also auch deutlich länger verkaufen.“

Strenge CO2-Vorgaben setzen aber die Lastwagen-Branche ebenso unter Druck wie die Auto-Gilde. Rund ein Viertel der Treibhausgase, welche die Mobilität in Deutschland verursacht, stößt der Straßengüterverkehr aus: etwa 40 Millionen Tonnen CO2. Laut EU-Vorgabe soll von 2025 an jeder Lkw-Hersteller im Schnitt 15 Prozent weniger CO2 mit seinen Neufahrzeugen erzeugen als 2018, ab 2030 schon 30 Prozent weniger. Wie auch bei Pkw gibt es bei Nutzfahrzeugen nicht die eine Lösung für das Emissionsproblem.

Lkw-Markt wächst nur langsam

Der globale Lkw-Markt ist naturgemäß kleiner als der Pkw-Markt, dennoch sind die Zahlen beachtlich: Im Jahr 2018 waren weltweit rund 120 Millionen Nutzfahrzeuge zugelassen. Von den 14,7 Millionen verkauften Fahrzeugen im vergangenen Jahr waren 11,4 Millionen leichte Nutzfahrzeuge (bis zu sechs Tonnen). 3,3 Millionen waren mittlere (sechs bis 15 Tonnen) und schwere Nutzfahrzeuge (über 15 Tonnen). Marktführer ist Daimler mit einem Weltmarktanteil von elf Prozent und mehr als 500.000 verkauften Lkw allein im vergangenen Jahr.

Auf den Rängen zwei bis vier folgen die chinesischen Hersteller FAW (mit 265.000 verkauften Lkw), Dongfeng (257.000) und China National Heavy Duty Truck (204.000). Der schwedische Konzern Volvo Trucks kommt mit 176.000 abgesetzten Lastwagen auf Platz fünf. Etwa gleichauf rangiert die neu an die Börse gebrachte Nutzfahrzeug-Sparte von VW mit Namen Traton (176.000 Lkw und rund 57.000 Busse). Boston Consulting Group schätzt die jährliche Wachstumsrate für Nutzfahrzeuge auf zwei Prozent bis zum Jahr 2030.

„Die Antriebsart steht und fällt mit der Infrastruktur“

Die BCG-Studienautoren gehen von drei zukunftsfähigen Antriebssträngen für die Lkw-Branche aus: Flüssiges Erdgas (Potenzial vor allem in China und den USA), Wasserstoff-Brennstoffzelle (Potenzial vor allem in China und Frankreich, besonders geeignet für Langstrecken) und Batterieantrieb (für kürzere Strecken in der Stadt). Für den Batterieantrieb sieht BCG gerade in Europa die größten Chancen, sich flächendeckend durchzusetzen: bis zu 70 Prozent der Lkw, die im Jahr 2030 ohne Verbrenner angetrieben werden, könnten laut den Beratern mit Batterieantrieb fahren.

„Die Antriebsart steht und fällt mit der Infrastruktur“, sagt Wolff. „In Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern können Lkw-Hersteller von der politischen Strategie profitieren, die ja vielerorts den Batterieantrieb fördert. Und ein Lkw kann problemlos auch an den schon vorhandenen Pkw-Schnellladestationen aufladen.“

Auch in den USA sind E-Trucks ein Thema: Elektro-Pionier Tesla hat Ende 2017 seinen Elektro-Lkw namens Semi vorgestellt, die Deutsche Post DHL hat bereits zehn Exemplare für den US-Markt bestellt. Allerdings sieht auch Wolff das Problem der Langstrecke: „Wenn ein Lastwagen, wie etwa teilweise in den USA, bis zu 800 Kilometer am Tag fährt, dann würde die Batterie sechs bis sieben Tonnen wiegen. Das ist technisch zwar möglich, aber wohl nicht mehr wirtschaftlich.“

Wird das autonome Fahren den Nutzfahrzeugmarkt revolutionieren?

Auch zum zweiten Megatrend der Automobilbranche, dem autonomen Fahren, wagt BCG eine Prognose für die Lkw-Branche: Im Jahr 2030, so schreiben die Autoren, werde das autonome Fahren im Lkw-Segment kaum eine Rolle spielen. Nur rund zehn Prozent der leichten Nutzfahrzeuge und 20 Prozent der schweren Nutzfahrzeuge werden der Studie zufolge im Jahr 2030 autonom vom Band laufen.

Damit deckt sich diese Vorhersage mit den Prognosen zum autonomen Fahren im Pkw-Bereich: Laut einer Studie des Prognos-Forschungsinstituts für den ADAC bewegt sich der Anteil von Neufahrzeugen, bei denen sich der Fahrer auf der Autobahn zurücklehnen kann, im Jahr 2030 bei unter zehn Prozent. Erst bis 2040 wird er demnach auf zehn bis 20 Prozent ansteigen.

Das größte Potenzial für die Technik des autonomen Fahrens identifiziert BCG auf der Langstrecke sowie auf abgesperrten Geländen wie etwa einem Hafen. „Beim autonomen Fahren stehen die Lkw-Hersteller vor den selben technischen Herausforderungen wie Pkw-Bauer“, sagt auch Wolff: „Das wird also noch länger dauern.“

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Größtes Potenzial der Lkw-Branche: Dienstleistungen

Doch der autonom fahrende Lkw beschäftigt die Branche: Das zu Google gehörenden Software-Unternehmen Waymo gilt als führend gilt auf dem Gebiet des autonomen Fahrens. Dessen Chef John Krafcik hatte auf der IAA angekündigt, stärker das Segment selbstfahrende Trucks bearbeiten zu wollen. Und Waymo-Mitgründer und KI-Professor Sebastian Thrun sagte kürzlich, autonome Autos „ergeben langfristig nur als Lieferwagen und Robotaxis richtig Sinn“. Volvo und der US-Chipspezialist Nvidia verkündeten im Juni, dass sie ihre 2017 gestartete Kooperation für autonome Fahrzeuge auch auf die Trucks ausweiten. Die Zusammenarbeit soll auf eine Plattform für Lkw hinauslaufen, mit Anwendungen etwa im Güterverkehr, bei der Müllentsorgung und in der Bau- und Forstwirtschaft.

Das monetär größte Potenzial bis zum Jahr 2030 sehen die Berater von Boston Consulting für die Lkw-Branche und ihre Zulieferer jedoch im Bereich Dienstleistungen: Weil der weltweite Umsatz mit herkömmlichen Verbrenner-Lkw in den kommenden elf Jahren um schätzungsweise 2,5 Milliarden Euro schrumpfen wird, gelte es, andere Bereiche auszubauen. Als Beispiele nennen die Studienautoren das Lkw-Flottenmanagement und sogenannte Pay-per-Sales, sprich: Lkw-Verleih. Derzeit verdient die Lkw-Branche mit solcherlei Dienstleistungen umgerechnet rund 910 Millionen Euro, bis zum Jahr 2030 könnte das Geschäft allerdings auf über neun Milliarden Euro wachsen.

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Hersteller Traton (MAN, Scania) etwa hat bereits Ende 2017 mit seiner digitalen Logistikplattform Rio eine Voraussetzung für solcherlei Dienstleistungen geschaffen. Seit Mai arbeitet Rio auch mit dem Lkw-Vermieter Euro-Leasing zusammen. Weitere Beispiele, die BCG hervorhebt, sind Daimlers Plattform Van2Share und die Plattform Superfleet, Ende 2017 vom chinesischen Lkw- und Bus-Hersteller Foton und dem chinesischen Logistiker G7 gegründet. Der französische Hersteller Renault verkündete im April 2018 eine Car-Sharing-Partnerschaft mit dem Möbelkonzern Ikea. Und der Stuttgarter Industriekonzern Bosch startete Ende vergangenen Jahres eine ähnliche Verleih-Kooperation bezüglich Elektro-Vans mit der Baumarktkette Toom.

„Lkw-Hersteller könnten sich durchaus zu Transportdienstleistern weiterentwickeln, so könnten sie sich auch unabhängiger machen von der Stückzahl“, meint Sebastian Wolff von der TU München. „Hierbei schielt die Lkw- wohl auf die Pkw-Branche, wo Carsharing ja präsent ist. Vielleicht denken sich manche: Wenn das dort klappt, dann klappt es – unter anderen Bedingungen – auch bei uns.“

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