WirtschaftsWoche: Herr Figgemeier, Tesla eröffnet in diesen Tagen seine eigene Batteriefabrik, die deutschen Autobauer zieren sich noch bei diesem Schritt. Braucht ein Autobauer eine eigene Zellfertigung?
Egbert Figgemeier: Eine eigene Zellfertigung ist für einen Autobauer sehr wichtig, da die Zellchemie das Fahrzeug stark beeinflusst – ähnlich wie heute der Motor. Ich kann einen Hochleistungs-Rennmotor einbauen, der aber ständig gewartet werden muss. Oder einen sehr robusten Motor, der weniger leistet, aber ungleich länger hält.
Also liegt das Know-how künftig nicht mehr im Motor, sondern in der Batteriezelle?
Genau. Wenn ich das nicht beherrsche, werde ich es auf lange Sicht schwer haben, mein Auto so zu designen, wie ich es möchte. Ein Elektroauto wird um die Batterie herum gebaut. Beim Verbrenner hat der große Motor das Grund-Layout vorgegeben. Der Elektromotor, egal ob als Achsmotor oder Zentralmotor, spielt bei der Größe keine nennenswerte Rolle mehr. Das entscheidende Element bei der Konstruktion ist die Batterie.
Die deutschen Autobauer fokussieren sich auf das sogenannte Packaging, also das Zusammenfügen von Zellen zu größeren Batteriemodulen. Die Zelle selbst ist für sie ein austauschbares Zulieferer-Teil. Wo liegt das größere Potenzial für Verbesserungen – im Modul oder in der Zelle?
Die Haupt-Stellschrauben sind das Material der Anode und Kathode in der Zelle selbst. Wenn die Basis nicht auf High-Power ausgelegt ist, holen Sie das auch nicht mehr aus einem Modul raus. Hier steckt in einer intelligenten Schaltung der Module noch ein gewisses Potenzial, das der Zellchemie ist aber deutlich höher.
Wie kann eine solche Verbesserung aussehen?
Bei uns liegt der Fokus derzeit auf einem neuen Anodenmaterial, bei dem Silizium das Graphit ersetzt. Das hat das Potenzial, die Reichweite auf Zellebene um bis zu 40 Prozent zu erhöhen. Dazu muss aber die gesamte Chemie stimmen, also auch die Kathode muss zur Anode passen, ebenso der Elektrolyt und der Separator.
40 Prozent mehr Reichweite klingt super. Wann kommt das in einem Elektroauto?
Neue Batterietechnologien kommen nicht direkt in einen Akku für ein Elektroauto. Bei Powertools und Smartphones sind die Anforderungen bei Lebensdauer und Ladezyklen geringer, zudem sind die Batterien ungleich kleiner und leichter auszutauschen. Deshalb wird die Silizium-Anode hier bereits verwendet. Aus unserer Sicht wird sie bald auch den Sprung in Batterien für Elektroautos schaffen.
Technische Hintergründe zu Akkus
Eine Batterie hat die Aufgabe, beim Aufladen möglichst viele Elektronen aufzunehmen und diese mit möglichst wenigen Verlusten zu speichern. Beim Entladen gibt sie die Elektronen dann wieder ab, um mit diesem Strom zum Beispiel einen Elektromotor oder ein Handy zu betreiben.
Im Akku übernehmen die sogenannten Lithium-Ionen diese Speicheraufgabe: Diesen Atomen fehlt ein Elektron. Daher sind sie elektrisch positiv geladen. Beim Aufladen strömen negativ geladene Elektronen in den Akku und sammeln sich in einem dichten Geflecht aus dem leitfähigen Kohlenstoff Graphit. Dorthin wandern dann auch die positiv geladenen Lithium-Ionen. Jedes von ihnen bindet ein Elektron – man könnte auch sagen, dass jedes Ion ein Elektron festhält, um die Ladungsneutralität zu gewährleisten. Beim Entladen des Akkus verlassen die Elektronen das Graphit nach und nach wieder. Damit wandern auch die positiv geladenen Lithium-Ionen aus dem Graphit-Netzwerk heraus. Später kann der Ladezyklus dann von neuem beginnen.
Je mehr Lithium-Ionen in einen Akku hineinpassen, umso mehr Elektronen und damit Energie können auf gleichem Raum gespeichert werden. Daher arbeitet Bosch schon länger unter anderem daran, den Graphit-Anteil zu reduzieren oder ganz auf das Graphit zu verzichten. Dies würde die Energiedichte des Akkus deutlich steigern. Das scheint jetzt dem Start-up Seeo, das Bosch gekauft hat, gelungen zu sein.
Wieso gibt es diese Verzögerung?
Ein Akkuschrauber wird nicht tausend bis zweitausend Mal geladen. Ein klassischer Autobauer hat aber genau diese Anforderung. Er will auf den Maximalfall vorbereitet sein. Eine Elektroauto-Batterie sollte mindestens zehn Jahre halten. Bei der konservativen Annahme, dass ein Autofahrer vor jedem Ladevorgang vollständig entlädt, entspricht dies je nach Größe der Batterie einer Laufleistung von 300.000 bis 400.000 Kilometern. Das ist wünschenswert, aber nicht unbedingt realistisch.
Neue Autobauer – wie eben Tesla – haben andere Anforderungen?
In der Realität werden die meisten Elektroautos mit 60 oder gar 80 Prozent Rest-Kapazität nachgeladen. Unter diesen Voraussetzungen würden Batterien mit neuen Materialien wie zum Beispiel Silizium wesentlich länger halten. Genau das können innovative Hersteller wie Tesla einplanen und die Batterie mit Blick auf das Fahrverhalten der Kunden optimieren. Je größer die E-Flotte, desto größer die Daten über das konkrete Fahr- und Ladeverhalten. Darauf können sie ihre Zellen künftig ausrichten.