In Europa graut schon langsam der Morgen, in New York ist es nach 21 Uhr, in Kalifornien der Abend angebrochen, als Elon Musk seine Präsentation im Silicon Valley beginnt. Kaum ein Unternehmen würde sie zu solch einem Zeitpunkt halten, noch dazu am Start zum Wochenende. Zumal es um eine Sache geht, die laut Musk „größer als die Tesla-Fahrzeugproduktion“ sein könnte. Später wird er noch ergänzen, dass sie „die ganze Menschheit verändern könnte.“ Aber der Chef von Tesla und SpaceX tickt nun mal anders. Die Analysten müssen sich ohnehin zuschalten, da Tesla als Wachstumsaktie wichtig ist. Für die Fans spielt die Uhrzeit ohnehin keine Rolle. Und die Leute, die er vor allem begeistern will, erreicht er ohnehin besser nach Arbeitsschluss: Ingenieure und Programmierer.
Vor einem Jahr hat Musk einen humanoiden Roboter namens Optimus versprochen. Damals war er nur eine Idee, dargestellt von einem Tesla-Mitarbeiter in einem Kostüm. Nun betritt der erste Prototyp langsam die Bühne, flankiert von Musk und zwei Ingenieuren, alle in schwarz gekleidet. Optimus sieht aus wie Hollywood-Designer sich schon in den fünfziger Jahren die künftigen Roboter vorgestellt haben: eine Maschine in Menschgestalt, aus Metall und Kabeln, mit einem Schädel, aber ohne Gesichtszüge. Der Roboter ist nackt, Kabel umschlingen ihn.
Zu elektronischer Musik hebt er die Arme zum Willkommen, senkt sie dann, bewegt sich vorsichtig auf der Bühne, winkt mit der rechten Hand ins Publikum und wiegt leicht die Hüften. „Das ist das erste Mal, dass der Roboter ganz frei, ohne Kabel operiert“, preist Musk den Moment. Es ist nicht ohne Risiko, denn aufrecht gehende Roboter in Menschengestalt haben die Tendenz, die Balance zu verlieren und umzufallen.
Musk lässt Videos zeigen, die den Roboter in einer Tesla-Fabrik zeigen, wie er Teile anhebt und dann in einem Büro Pakete ins Regal schiebt. Ein Ingenieur spricht davon, dass Teslas Autos und Roboter sich nur wenig unterscheiden – die Orientierung erledigt der Computer über Kameras und Software ganz so wie das Fahrassistenzsystem Autopilot von Tesla. Dann schieben drei Mitarbeiter einen Optimus in Kleidung auf die Bühne – der Körper ist jetzt mit metallisch schimmernden Platten verkleidet, mit einer Gürtelschnalle mit Texas-Stern. Er ist 73 Kilogramm schwer, in Brust und Bauch steckt ein großer Akku, dazu noch kleinere in den Armen, Oberschenkeln, Handgelenken und im Genick. Bewegt wird er von sogenannten Aktuatoren – Bauteilen, die elektrische Signale in mechanische Bewegung umsetzen können. Teslas Ingenieure haben das Design vereinfacht, indem sie eine Vielzahl von einzigartigen Aktuatoren in sechs Typen reduziert haben.
Vor zehn Jahren wäre solch eine Premiere eine ganz große Nummer gewesen, bevor der schon 1992 gegründete Roboterpionier Boston Dynamics seine Roboter öffentlich präsentierte und dann erst Videos von Roboterhunden und humanoiden Robotern ins Netz stellte, teils beängstigend echt vom Bewegungsablauf und millionenfach geklickt.
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Google hatte Boston Dynamics 2013 gekauft, um die Arbeitswelt zu revolutionieren. Das Problem war nur, dass die flexibel einsetzbaren Roboter viel zu teuer im Vergleich zu hochspezialisierten Industrierobotern waren, die seit vielen Jahren in der Produktion eingesetzt werden, wie etwa die des Augsburger Unternehmens Kuka, die auch bei Tesla in der Produktion zum Einsatz kommen.
Nur vier Jahre nach dem Kauf von Boston Dynamics reichte Google in einer Sparwelle das Unternehmen an den japanischen Investor Softbank weiter, der schließlich die Mehrheit an den Autohersteller Hyundai veräußerte. Der lässt Boston Dynamics weiterhin an einem humanoiden Roboter namens Atlas forschen. Dass Google sich von Boston Dynamics trennte, hing auch damit zusammen, dass deren Robotern etwas Gruseliges anhaftete. Seine Roboterhunde weckten Assoziationen an einen Polizeistaat. Tatsächlich hatte Musk überlegt, Optimus mit einem Ausschnitt aus Terminator vorzustellen, Arnold Schwarzeneggers Paraderolle als Cyborg. Aber dann davon abgesehen, weil es „die Leute dann vielleicht zu wörtlich nehmen würden.“ Optimus soll auch mit einem Stopp-Schalter ausgestattet sein.
Musk erwähnt Boston Dynamics bei der Optimus-Premiere zwar nicht. Aber seine Seitenhiebe sind offensichtlich. Die Menschen hätten sicherlich schon großartige Demonstrationen von humanoiden Robotern gesehen, räumt Musk ein. Die eigentliche Herausforderung sei jedoch, ihn in großen Stückzahlen und zu vertretbaren Kosten herzustellen. „Optimus wird weniger als ein Auto kosten“, kündigt Musk an. „Wahrscheinlich weniger als 20.000 Dollar.“ Dank der Expertise bei der Fertigung von Autos in Massenproduktion und dem Besitz der nötigen Software, ließe sich das erreichen.
Dann spricht er davon, dass Optimus Millionen von Menschen helfen könnte, ja gar die „Menschheit transformieren“. Arbeitskraft sei dann im Gegensatz zu heute keine Mangelware mehr. Optimus könnte nicht nur ein Fabrikarbeiter oder eine Servicekraft sein. Sondern auch ein Freund oder Gefährte, mit dem man „so sprechen kann, dass es sich natürlich anfühlt.“ In zehn Jahren würden, so Musk, „die Fähigkeiten von Optimus unglaublich sein.“ Es werde eine Zukunft im Überfluss, ohne Arbeit, jeder könne haben was er wolle, schwelgt Musk und klingt plötzlich wie ein Kommunist – jedoch wie einer, der diese Utopie jedoch mit kapitalistischen Methoden erreichen will.
Optimus scheint in Musk eine neue Wertschätzung für börsennotierte Unternehmen geweckt zu haben. Denn, so der Multimilliardär, viele Anleger würden Tesla kontrollieren und damit auch das Schicksal von Optimus. Musk hat schon mehrfach davor gewarnt, dass künstliche Intelligenz auch Gefahrenpotential birgt, vor allem wenn sie in die falschen Hände gerät. Als Sicherheitsaspekt sieht Musk dabei auch die Organisation von Tesla. Bei Tesla gäbe es nur eine Klasse von Aktien – ein Seitenhieb auf Meta und Google, wo die Gründer das Unternehmen dank Mehrfachstimmrechten kontrollieren. „Wenn ich zu verrückt agiere, kann ich gefeuert werden“, behauptet Musk. Dass er noch vor ein paar Jahren Tesla mit Hilfe von Kapital aus Saudi-Arabien von der Börse nehmen wollte – Schnee von gestern.
Ein Haken hat die durchaus beeindruckende Präsentation des Tesla-Chefs allerdings: Wann Optimus zu den versprochenen Kosten in großem Stil auf den Markt kommt und ob er tatsächlich flexibel mit Werkzeugen umgehen kann, dazu will sich Musk nicht zu genau festlegen, „in drei bis fünf Jahren vielleicht.“ Damit reiht sich Optimus in eine Reihe von Projekten ein, die alle vielversprechend sind, aber ihre Ausführung und Erfolg ungewiss – von Robotaxis bis hin zu Gehirnprothesen, die Gelähmte kurieren sollen.
Umstritten ist auch, ob Optimus eine gute Geschichte für Anleger ist. An der Wall Street regt sich Kritik, dass Musk sich zu sehr verzettelt. Und zu wenig auf die heranrollende Konkurrenz anderer E-Autohersteller achtet, vor allem jenen aus China. Musk gibt zu, dass Optimus nicht so recht zu Teslas Mission passt, den Weg zu nachhaltiger Energie zu bereiten. „Aber ich will auch von der Wahrnehmung weg, dass Tesla nur ein Autohersteller ist, wir sind führend bei künstlicher Intelligenz und Supercomputern.“
Dass es ein Fehler ist, Musk zu unterschätzen, hat der Unternehmer bereits mehrfach bewiesen: an Teslas Elektroautos und SpaceX' wiederverwendbaren Raketen. Roboter sind eine Schlüsseltechnologie. Die Optimus-Premiere weckt schmerzhafte Erinnerungen, dass Industrie-Roboterexperte Kuka an den chinesischen Midea-Konzern verscherbelt wurde. Auch weil sich in der deutschen Industrie keine Unterstützer fanden, schon gar nicht mit Visionen wie Musk.
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