Testbericht Kia EV6 Kia beweist, dass die beste E-Auto-Technologie kein Vermögen kosten muss

Kia EV6: Dieses Auto bietet, was VWs ID.3 hätte liefern müssen Quelle: Kia

Das Elektroauto EV6 von Kia ist so groß wie ein VW Passat, technisch so fortschrittlich wie der Porsche Taycan, kostet aber nur so viel wie ein gut ausgestatteter VW Golf. Kann das sein? Ein Testbericht. 

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Der Disclaimer gleich mal vorneweg: Wir sind kein Automagazin. Wir testen nicht ständig Autos, sondern nur dann, wenn sie eine herausragende Bedeutung für den Hersteller oder vielleicht sogar für den gesamten Markt haben. Zuletzt war das beim ID.3 von Volkswagen der Fall, weil dieses als „elektrischer Golf“ angetretene E-Auto prototypisch für den Wandel des Konzerns steht. Oder der Porsche Taycan, weil damit eine der renommiertesten Automarken zeigen will, dass Elektroautos höchsten Qualitätsansprüchen genügen können und dass sie auch als Sportwagen funktionieren, also die absolute Top-Liga des Automobils nicht scheuen müssen. 

Und nun, als nächster im Test, der Kia EV6? Warum ausgerechnet der? Weil der ADAC über das Auto schreibt: „Batterietechnik und Fahrleistungen wie ein Porsche Taycan“. Ist das Mittelklasseauto aus Korea technisch wirklich auf Augenhöhe mit Porsche, dann wäre das eine kleine Sensation. Denn für den Preis eines Taycans bekommt man locker zwei EV6. Stimmen die Herstellerangaben, dann beweist der EV6, dass die beste Oberklasse-E-Auto-Technik schon in der Mittelklasse angekommen ist. Dass man für gut 30.000 Euro ein Elektroauto bekommt, das bei Alltagstauglichkeit, Fahrspaß und Komfort mit Verbrennern locker mithalten kann und dabei ökonomisch und ökologisch klar überlegen ist. 

Es gibt Testwagen, mit denen wird man einfach nicht warm. Sie erschließen sich einem einfach nicht, ständig stört etwas und man ist froh, sie irgendwann wieder los zu sein. Es gibt welche, die ihre Stärken gut zu verstecken wissen, die man erst auf den zweiten Blick mag. Und dann gibt es welche, bei denen passt es von der ersten Sekunde an. 

Quelle: Kia

Der EV6 gehört für mich in letztere Kategorie. Das Auto tut, was man von ihm erwartet – und mehr. In der Tiefgarage unseres Verlags nähere ich mich dem Wagen zum ersten Mal. Ich sehe ein Mittelklasseauto mit einem eigenständigen, modernen Design, weit entfernt von den reduzierten Bauhaus-Konturen der VW-Modelle. Es ist keine gewöhnliche Limousine, kein SUV, kein Cross-over, sondern am ehesten eine Art hohes Shooting Break. 

Das Auto erkennt meinen Schlüssel, geht auf, schaltet das Licht an, der Fahrersitz fährt zurück. Ich setze mich. Der Sitz fährt nach vorn. Passt. Wie kann das Auto meine Beinlänge kennen? Kennt Kia meine Körpergröße und hat sie netterweise schon mal eingestellt? Sicher nicht. Wahrscheinlich ist es nur ein Zufall, aber ich fühle mich schon mal ernst genommen von dem Wagen. 

Lenkrad anpassen, Spiegel einstellen, ein kurzer Blick über die Instrumente. Alles ist schnell zu verstehen, die Menüführung auf dem Display schlüssig, das Handbuch kann heute (und für den Rest der Testwoche) im Handschuhfach bleiben. Was für ein Unterschied zum VW ID.3, der die Fahrer zumindest vor den jüngsten Software-Updates mit üblen Softwareschwächen nervte und der manchmal minutenlang hochfährt, bevor der volle Funktionsumfang geladen ist. 

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von Martin Seiwert

Erst einmal geht es nun im Schritttempo durch die Tiefgarage. Das ist eine gute Gelegenheit, um sich den Sound des Autos anzuhören. Also Scheiben runter und Ohren auf. Wunderbar unaufdringlich hat Kia das für E-Autos vorgeschriebene Warngeräusch komponiert. Eine Wohltat, verglichen mit den vielen raumschiffartig dröhnenden, pfeifenden oder surrenden E-Auto-Sounds anderer Hersteller. (Mehr zum Thema E-Auto-Motorsounds hören Sie in dieser Folge des High-Voltage-Podcasts: „Motorsound: Können E-Autos gut klingen?“)

Vor dem Verlagsgebäude gibt es eine Baustelle mit eilig aufgestellten Tempo-30-Schildern. Na, wird der Kia die Beschilderung richtig lesen? Macht er. Das Head-Up-Display mit Augmented-Reality-Funktion blendet zuverlässig die Geschwindigkeit in die Windschutzscheibe ein. Es reichen zwei Ampelstopps, um das iPhone per Bluetooth in die Fahrzeug-IT einzubinden. Mit dem vorhandenen Kabel geht es noch schneller. Das Kia-Navi bringt mich ohne unklare Befehle oder andere böse Überraschungen auf dem kürzesten Weg nach Hause, wo ich mir das Auto in Ruhe ansehe. 

Kias EV6: unaufgeregter Innenraum. Quelle: Kia

Man kann das auffällige äußere Design mit dominantem Lichtbogen am Heck mögen oder nicht. Unprofessionell oder billig jedenfalls ist es nicht. Genauso wie der Innenraum: wenig Aufregendes findet sich hier, auch keine besonders wertigen Elemente, aber eben auch keine Schwächen. Für Kunststoffe im Innenraum wurden 100 alte Getränkeflaschen pro Fahrzeug recycelt, sagt Kia. Das ist keine große Sache für die Umwelt, aber ein Anfang.  

Mein Akku will einfach nicht leer werden

Das Auffälligste am Innenraum ist das Raumgefühl. Von außen wirkt das Auto nicht viel größer als ein Golf. Sitzt man drin, wundert man sich ständig, dass man so viel Platz hat, dass man sich nie eingesperrt fühlt. Mir passiert das schnell, weshalb ich persönlich zu großvolumigen Autos tendiere. 

Ich konnte nicht wirklich herauszufinden, warum sich das Auto innen so luftig anfühlt. Es gibt eine schwebende Mittelkonsole, aber die allein kann es ja nicht sein. Große Menschen dürfte es allenfalls stören, dass der Fahrzeugboden hinten im Fahrzeug höher ist als gewohnt und die Beine dadurch ein wenig stärker angewinkelt sind. So haben die Entwickler wohl Platz geschaffen für die große Antriebsbatterie unter dem Fahrzeugboden. 

Der EV6 ist ein sauber designtes Fahrzeug, angenehm zu fahren und intuitiv zu bedienen. Das ist schön und nicht unbedingt selbstverständlich, aber darum soll es hier eigentlich gar nicht gehen. Der Grund für diesen Test ist der Antriebsstrang des Autos. Statt – wie sonst bei den meisten E-Autos üblich – mit 400 Volt arbeitet der Kia mit einem 800-Volt-System. Das ist eine Technik, die man sonst nur vom Porsche Taycan, dem artverwandten Audi e-tron GT und dem Schwestermodell des EV6, dem Hyundai Ioniq 5, kennt. Doch während die Technik bei Porsche und Audi um die 100.000 Euro kostet, gibt es den Kia für weniger als Hälfte. 



Was ist das Besondere an 800-Volt-Technik? Durch die höhere Spannung sind dünnere Kabel möglich, was Material, Platz und Gewicht spart. So brauchen die Autos weniger Strom, haben mehr Reichweite und kosten weniger. Am deutlichsten spüren die Kunden die Vorteile aber beim Laden: Ist bei vielen Elektroautos schon bei unter 100 Kilowatt Ladeleistung Schluss, so schafft der Kia bis zu 225 Kilowatt. An besonders leistungsstarken Schnellladesäulen (HPC, High Power Charging) kann das Auto in 18 Minuten von zehn auf 80 Prozent geladen werden.

Ich bin deshalb gespannt auf das erste Laden. Doch das ist erst mal nicht nötig, denn das Auto wurde mir gut geladen übergeben und verbraucht nicht viel. Tagelang bin ich vorwiegend im Stadtverkehr unterwegs und das Auto scheint alles zu tun, damit es nicht schnell wieder an den Stecker muss. Der 77-Kilowattstunden-Akku ist gut für eine Reichweite von 528 Kilometern im WLTP-Testzyklus. Im wahren Leben sind es eher um die 450 Kilometer, aber auch das ist ein guter Wert und voll alltagstauglich. Flotte Fahrten auf der Autobahn – bei einer Geschwindigkeit von 185 Kilometern pro Stunde ist Schluss – fressen schnell Reichweite. In der Stadt aber sind mit einer Akkuladung sicherlich gut 600 Kilometern drin. Das muss man mit einem Verbrenner erst mal schaffen. 

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Egal ob Stadt oder Autobahn, die Fahreigenschaften sind tadellos. Das Fahrwerk ist straff ausgelegt, aber komfortabel; die Lenkung ist leichtgängig, aber nicht instabil. Wie üblich kann man zwischen drei Fahrmodi von Eco bis Sport wählen. Im Sport-Modus beschleunigt der Testwagen in sieben Sekunden von null auf 100 Kilometer pro Stunde. Das ist die untere Grenze bei den vier angebotenen Modellvarianten. Bei gleicher Batteriegröße gibt es auch ein Modell mit 325 statt der 229 PS des Testwagens. Hier liegt die Reichweite dann bei 506 Kilometer (Testwagen: 528 Kilometer), der Stromverbrauch pro 100 Kilometer steigt von 16,5 auf 17,2 Kilowattstunden. Aber dafür beschleunigt das Auto in rund fünf Sekunden auf 100 Kilometer pro Stunde. Das Topmodell EV6 GT hat sogar 585 PS und sprintet in porschemäßigen 3,5 Sekunden von Null auf Hundert. 

Mein Akku will einfach nicht leer werden, aber ich möchte das Laden testen. Also steuere ich irgendwann mit 52 Prozent im Akku die nächste Schnellladesäule an. Die 225 Kilowatt, die der Wagen laut Prospekt schlucken würde, stellt die Ladesäule leider nicht bereit. Nur gut 70 Kilowatt will sie beim Anstöpseln maximal hergeben. Nach rund 20 Minuten sind die 80 Prozent erreicht. 

„Volltanken“ am High Power Charger in einer halben Stunde, echte Reichweiten von 300 bis weit über 450 Kilometer und das ganze zum Preis eines gut ausgestatteten VW Golf – Kia beweist mit dem EV6, dass die beste E-Auto-Technologie kein Vermögen kosten muss und dass es Elektroautos nun in jeder Hinsicht mit Verbrennern aufnehmen können. Schade nur, dass dieser Erfolg nicht aus Deutschland kommt. Un dass dieser Testbericht nicht der des ID.3 ist.

Mehr zum Thema: Für viele Autofahrer ist der Motorsound nicht weniger wichtig als das Design. Aber wie klingen E-Autos? Die Sounddesigner von Audi, BMW und Mercedes stellen im Podcast Klänge vor und erklären, worauf es ankommt.

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