Testbericht Kia EV6 Kia beweist, dass die beste E-Auto-Technologie kein Vermögen kosten muss

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Mein Akku will einfach nicht leer werden

Das Auffälligste am Innenraum ist das Raumgefühl. Von außen wirkt das Auto nicht viel größer als ein Golf. Sitzt man drin, wundert man sich ständig, dass man so viel Platz hat, dass man sich nie eingesperrt fühlt. Mir passiert das schnell, weshalb ich persönlich zu großvolumigen Autos tendiere. 

Ich konnte nicht wirklich herauszufinden, warum sich das Auto innen so luftig anfühlt. Es gibt eine schwebende Mittelkonsole, aber die allein kann es ja nicht sein. Große Menschen dürfte es allenfalls stören, dass der Fahrzeugboden hinten im Fahrzeug höher ist als gewohnt und die Beine dadurch ein wenig stärker angewinkelt sind. So haben die Entwickler wohl Platz geschaffen für die große Antriebsbatterie unter dem Fahrzeugboden. 

Der EV6 ist ein sauber designtes Fahrzeug, angenehm zu fahren und intuitiv zu bedienen. Das ist schön und nicht unbedingt selbstverständlich, aber darum soll es hier eigentlich gar nicht gehen. Der Grund für diesen Test ist der Antriebsstrang des Autos. Statt – wie sonst bei den meisten E-Autos üblich – mit 400 Volt arbeitet der Kia mit einem 800-Volt-System. Das ist eine Technik, die man sonst nur vom Porsche Taycan, dem artverwandten Audi e-tron GT und dem Schwestermodell des EV6, dem Hyundai Ioniq 5, kennt. Doch während die Technik bei Porsche und Audi um die 100.000 Euro kostet, gibt es den Kia für weniger als Hälfte. 



Was ist das Besondere an 800-Volt-Technik? Durch die höhere Spannung sind dünnere Kabel möglich, was Material, Platz und Gewicht spart. So brauchen die Autos weniger Strom, haben mehr Reichweite und kosten weniger. Am deutlichsten spüren die Kunden die Vorteile aber beim Laden: Ist bei vielen Elektroautos schon bei unter 100 Kilowatt Ladeleistung Schluss, so schafft der Kia bis zu 225 Kilowatt. An besonders leistungsstarken Schnellladesäulen (HPC, High Power Charging) kann das Auto in 18 Minuten von zehn auf 80 Prozent geladen werden.

Ich bin deshalb gespannt auf das erste Laden. Doch das ist erst mal nicht nötig, denn das Auto wurde mir gut geladen übergeben und verbraucht nicht viel. Tagelang bin ich vorwiegend im Stadtverkehr unterwegs und das Auto scheint alles zu tun, damit es nicht schnell wieder an den Stecker muss. Der 77-Kilowattstunden-Akku ist gut für eine Reichweite von 528 Kilometern im WLTP-Testzyklus. Im wahren Leben sind es eher um die 450 Kilometer, aber auch das ist ein guter Wert und voll alltagstauglich. Flotte Fahrten auf der Autobahn – bei einer Geschwindigkeit von 185 Kilometern pro Stunde ist Schluss – fressen schnell Reichweite. In der Stadt aber sind mit einer Akkuladung sicherlich gut 600 Kilometern drin. Das muss man mit einem Verbrenner erst mal schaffen. 

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von Stefan Hajek

Egal ob Stadt oder Autobahn, die Fahreigenschaften sind tadellos. Das Fahrwerk ist straff ausgelegt, aber komfortabel; die Lenkung ist leichtgängig, aber nicht instabil. Wie üblich kann man zwischen drei Fahrmodi von Eco bis Sport wählen. Im Sport-Modus beschleunigt der Testwagen in sieben Sekunden von null auf 100 Kilometer pro Stunde. Das ist die untere Grenze bei den vier angebotenen Modellvarianten. Bei gleicher Batteriegröße gibt es auch ein Modell mit 325 statt der 229 PS des Testwagens. Hier liegt die Reichweite dann bei 506 Kilometer (Testwagen: 528 Kilometer), der Stromverbrauch pro 100 Kilometer steigt von 16,5 auf 17,2 Kilowattstunden. Aber dafür beschleunigt das Auto in rund fünf Sekunden auf 100 Kilometer pro Stunde. Das Topmodell EV6 GT hat sogar 585 PS und sprintet in porschemäßigen 3,5 Sekunden von Null auf Hundert. 

Mein Akku will einfach nicht leer werden, aber ich möchte das Laden testen. Also steuere ich irgendwann mit 52 Prozent im Akku die nächste Schnellladesäule an. Die 225 Kilowatt, die der Wagen laut Prospekt schlucken würde, stellt die Ladesäule leider nicht bereit. Nur gut 70 Kilowatt will sie beim Anstöpseln maximal hergeben. Nach rund 20 Minuten sind die 80 Prozent erreicht. 

„Volltanken“ am High Power Charger in einer halben Stunde, echte Reichweiten von 300 bis weit über 450 Kilometer und das ganze zum Preis eines gut ausgestatteten VW Golf – Kia beweist mit dem EV6, dass die beste E-Auto-Technologie kein Vermögen kosten muss und dass es Elektroautos nun in jeder Hinsicht mit Verbrennern aufnehmen können. Schade nur, dass dieser Erfolg nicht aus Deutschland kommt. Un dass dieser Testbericht nicht der des ID.3 ist.

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