Das Weihnachtsgeschäft ist vorbei, jetzt muss der Konsum mit Lockangeboten auf möglichst hohem Niveau gehalten werden. Vielleicht so? Weil der 499 Euro teure Tablet-PC iPad von Apple wie geschnitten Brot läuft, wird er nur noch im Paket mit anderen Produkten und Leistungen des gleichen Herstellers verkauft: dem Schreibtischcomputer iMac, dem Kopfhörer Monster Inspiration und der Geräteversicherung AppleCare Protection Plan. Paketpreis: 2227 Euro.
Riskante Sparmanöver der Edelmarken
Daimler sparte sich die Entwicklung eines eigenen kleinen Nutzfahrzeugs und verkauft stattdessen den leicht modifizierten Renault Kangoo als Mercedes Citan. Bei Qualität und Sicherheit kein Mercedes-Niveau, urteilt „Auto Motor und Sport“.
BMW will aus Kostengründen gleiche Teile in möglichst vielen Modellen verwenden. Die Mini-Modelle und die Fahrzeuge der 1er-Reihe erhalten eine einheitliche Fahrzeugplattform. Die Folge: Beim 1er wird der traditionelle BMW-Heckantrieb dem Frontantrieb geopfert.
Der Kleinwagen Skoda Fabia hat fast die gleiche Technik wie der Audi A1, weil der VW-Konzern mit technischer Gleichschaltung die Herstellungskosten drückt. Der Audi ist wesentlich teurer, aber nur bei Design und Oberflächenmaterial besser, warnen Experten.
Die Geschichte ist frei erfunden, aber was bei Konsumgütern undenkbar ist, ist bei Deutschlands Autoherstellern der Normalfall: Produkte, die nur in kostspieligen Paketen angeboten werden. Wer etwa einen BMW 5er mit schlüsselloser Schließtechnik haben will, muss auch eine sogenannte Ambientebeleuchtung für den Innenraum erwerben. Die Mercedes A-Klasse gibt es nur dann mit Spurhalte- und Totwinkelassistent (892 Euro), wenn Navigationsgerät, CD-Radio und Lederlenkrad für zusätzliche 1482 Euro geordert werden. Abzocke sei das, schimpft das Fachblatt „Auto Motor und Sport“. Besonders verbreitet sei diese Unsitte bei den Premiummarken BMW, Mercedes und Audi.
Begehrliche Marken
So sehr die teuren Ausstattungspakete auch schmerzen mögen – Käufer von Premiumprodukten wissen, was sie tun, und brauchen in der Regel nicht auf den Eurocent zu achten. Dank Autotests, Tüv-Statistiken, ADAC-Analysen und Fahrzeugkonfiguratoren im Internet ist kaum ein Markt heute so transparent wie das Geschäft mit Neuwagen. Wer wollte, könnte leicht auf günstigere Produkte umschwenken.
Dass die deutschen Edelmarken dennoch alle Verkaufsrekorde brechen, ist das Ergebnis geschickten Marketings: Wie kaum eine andere Branche verstehen es die heimischen Autokonzerne, ihre Produkte so begehrlich zu machen, dass ihre Kunden fast alles akzeptieren – auch sündhaft teure Zusatzausstattungen von mitunter zweifelhaftem Mehrwert wie belederten Armauflagen oder beleuchteten Einstiegsleisten aus Edelstahl.
„50 bis 150 Prozent“ des Einkaufspreises könnten die Autobauer bei solchen Zusatzausstattungen als Gewinn verbuchen, sagt ein Insider. „Der Gewinn pro Fahrzeug kommt hauptsächlich aus diesen Sonderausstattungen.“ Deshalb gebe es heute beispielsweise kaum noch Fahrzeuge mit klassischen Autoradios im genormten Schacht. Die Audiosysteme sind inzwischen voll integriert und müssen deshalb teuer ab Werk geordert werden. Gut für die Autoindustrie, schlecht für Pfennigfuchser.
Doch wie stabil ist ein solches Geschäftsmodell, das darauf abzielt, dem Kunden möglichst viel Geld aus der Tasche zu ziehen? Unter dem teuren Lack der Premiumautos finde sich immer häufiger eher durchschnittliche Massenware, beklagt nicht nur Auto-Professor Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen.
Alles Lüge?
Auch Automagazine enthüllen immer wieder Qualitätsmängel und Ausstattungsdefizite, die so gar nicht zum Image der deutschen Edelmarken passen wollen: Bei der neuen A-Klasse von Mercedes wird die aufgestellte Motorhaube von einer Eisenstange statt mit einem Gasdruckdämpfer gehalten, BMW etwa verzichtet aus Kostengründen auf Scharnierabdeckungen oder eine Klarlackschicht auf der Innenseite des Kofferraumdeckels. „Premium? Alles Lüge!“, polterte unlängst die „Auto Bild“. Premium sei „nichts weiter als die Erfindung der Marketingstrategen, mehr Geld für gewöhnliche Ware einzunehmen“.
Erfolg mit Made in Germany
Aber wie lange geht diese Strategie von BMW, Mercedes und Audi noch gut? Wie lange sind die Kunden noch bereit, für durchschnittliche Qualität überdurchschnittliche Preise zu zahlen? Norbert Reithofer gibt sich entspannt. Im Interview mit der WirtschaftsWoche behauptet der BMW-Chef, die Premiumautos aus eigener Fertigung seien Massenmarken bei der Produktsubstanz „weiterhin überlegen“, BMW bei „Kundenzufriedenheit und Markenwert führend“.
Die aktuellen Verkaufszahlen geben Reithofer und seinen Kollegen bei Daimler oder Audi recht: BMW verkaufte 2012 erstmals mehr als 1,8 Millionen Fahrzeuge, Audi übertraf bereits im November den Absatz des gesamten Vorjahres, und Mercedes freut sich nach dem verkaufsstärksten November aller Zeiten auf das beste Jahr der Firmengeschichte. Tiefes Elend dagegen bei den französischen und italienischen Autoherstellern, die mit ihren Massenmarken Peugeot, Renault und Fiat rote Zahlen schreiben, während die edlen Schlitten der Deutschen zweistellige Umsatzrenditen einfahren.
Rund 4000 Euro verdienten BMW und Audi 2012 mit jedem verkauften Auto, selbst erfolgreiche Massenmarken wie Toyota müssen sich mit weniger als 1000 Euro begnügen. Auch die in der kommenden Woche beginnende Automesse in Detroit dürfte zum Triumphzug deutscher Premiummarken werden.
Mit ihrer Hochpreispolitik ist den heimischen Autobauern gelungen, woran andere deutsche Technikbranchen gescheitert sind. Frühere Vorzeigeindustrien wie die Unterhaltungselektronik, Textilhersteller, Solarwirtschaft oder Telekommunikation sind nurmehr ein Schatten ihrer selbst und haben Hunderttausende Jobs in Niedriglohnländer verlagert. Die Autokonzerne dagegen machten made in Germany zum Rückgrat ihres Erfolgs.
Zwar kommen die Fahrzeuge in immer geringerer Zahl aus deutschen Landen – in ausländischen Wachstumsmärkten wie China oder Brasilien fertigen sie fast doppelt so viele Autos wie im Geburtsland von Autoerfinder Carl Benz. Aber das Image deutscher Qualität ist geblieben. Und diese Führungsposition lassen sich die deutschen Hersteller viel kosten: Jeder dritte Euro, der 2011 in Deutschland für Forschung und Entwicklung ausgegeben wurde, stammte aus der Autoindustrie.
Länger Arbeiten für's Auto
Mit einer cleveren Mischung aus Innovation, Design, hochwertiger Produktanmutung und intensiver Markenpflege entzog sich die deutsche Autoindustrie dem sonst üblichen Preisverfall bei technischen Gütern. Den drei Premiummarken gelang es sogar, ihr Preisniveau über die Jahre zu erhöhen: Musste ein deutscher Durchschnittsverdiener Mitte der Siebzigerjahre rund 800 Stunden für einen neuen 3er-BMW arbeiten, sind es heute schon über 1800 Stunden. In der Unterhaltungselektronik verlief die Entwicklung umgekehrt: Mitte der Siebzigerjahre musste ein Deutscher noch 300 Stunden für einen neuen Fernseher arbeiten, heute lediglich 30.
Kein Grund zur Entspannung
Ausruhen können sich die deutschen Autokonzerne auf ihren starken Marken allerdings nicht. Hoch profitable Massenhersteller wie Hyundai laufen sich längst für den Einstieg in das Premiumsegment warm, die in den USA erfolgreichen Luxusableger von Nissan (Infiniti) und Toyota (Lexus) greifen Mercedes & Co. bereits direkt an. Zudem wird es für die vergleichsweise kleinen Anbieter BMW und Daimler immer schwieriger, im Wettlauf um Mengenvorteile bei Einkauf und Produktion gegen Megakonzerne wie VW, Toyota oder Hyundai zu bestehen. Denn nur mit einer immer größeren Modellvielfalt können die Autobauer die unterschiedlichen Bedürfnisse von Kunden in aller Welt bedienen – für kleine Hersteller mit begrenzten Ressourcen ist das ein Kraftakt.
Wollen die deutschen Edelmarken weiter mithalten und dabei auch noch zweistellige Umsatzrenditen erwirtschaften, müssen sie sparen, wo immer es geht. Das Risiko ist nur: Wer zu viel spart, verspielt schnell sein Markenimage.
Am leichtesten fällt das Spiel Audi. Die Ingolstädter haben den großen VW-Konzern im Rücken, der sie mit vergleichsweise günstigen Teilen versorgt. Allerdings wächst darüber die Gefahr, dass die Kunden VW-Technik unter dem Audi-Blech erkennen und zum kostengünstigeren Original wechseln. Autoexperte Dudenhöffer: „Audi A1, VW Polo und Skoda Fabia haben eine unterschiedliche Optik, bauen aber auf der gleichen Technik auf. Als Differenzierungsmerkmale bleiben allein Design, Fahreigenschaften und die Narbung des Armaturenbretts.“
Sparen, was das Zeug hält
Trotzdem sucht auch BMW in der Gleichteilestrategie sein Heil: Je größer die Stückzahlen zugekaufter Komponenten, umso niedriger deren Preise. So werden der Mini und der 1er-BMW künftig eine Plattform teilen. Die Folge: Als erster BMW überhaupt bekommt der 1er ab 2014 Frontantrieb – ein Alleinstellungsmerkmal geht dadurch verloren. In Internet-Foren spucken BMW-Fans bereits Gift und Galle.
Und dabei bleibt es nicht. Sogar Grenzen zwischen der Mittel- und Oberklasse sollen fallen: „Es wird sich auch die 3er-Serie Komponenten mit Fahrzeugen der 5er- und 7er-Reihe teilen“, kündigt Markus Braunsperger, Leiter Technische Integration bei BMW, an: „In Einzelfällen ist auch denkbar, dass Technik über das gesamte Produktportfolio hinweg eingesetzt wird.“
So will VW seine Töchter im neuen System auf Linie bringen
Beispiel: Kilmaanlagen
Bisher: 102 Varianten in 20 Modellen
Neu: 28 Varianten
- einfachere Entwicklung von Fahrzeugen
- verbesserte Qualitätskontrolle der verwendeten Teile
- günstigere Einkaufspreise durch höhere Stückzahlen
Beispiel: Fixierung des Motors
Bisher: 309 Positionen
Neu: 36 Positionen
- einfachere Entwicklung
- schneller Montage
- Verwendung gleicher Montagemaschinen
- niedrigere Kosten für Montagemaschinen
- niedrigere Kosten auch für Modelle mit geringen Stückzahlen
Beispiel: Herstellung von Golf und Audi A3 in China
Bisher: Eine VW-Fabrik baut zwei Golf-Modelle, eine Audi-Fabrik zwei A3-Modelle
Neu: Im chinesischen Werk Foshan baut eine einzige Fabrik je zwei Golf- und A3-Modelle
- Autos aller Marken werden in mehreren Werken gebaut
- Schnellere Reaktion auf Nachfrageschwankungen
- bessere Auslastung von Werken
Beispiel: Lackierer-Werkstätten
Bisher: 90 Fabriken mit 90 individuellen Lackiermethoden
Neu: 90 Fabriken mit gleicher Lackiermethode und gleichen Lernwerkstätten
- gleich hohe Qualifikation der Arbeiter
- geringere Fehlerzahl
- schnellere Produktion
Auf diese Weise spart Volkswagen 1500 Euro pro Auto und verdoppelt damit seinen Gewinn.
Die Strategie ist ein Spiel mit dem Feuer. Erkennt der Käufer eines 80 000 Euro teuren BMW 7er, dass sein teuer bezahltes Schiebedach auch im 40 000 Euro billigeren 3er steckt, könnte das sorgsam gepflegte BMW-Markenimage Schaden nehmen: Die Strategie mit den gleichen Teilen „hat Grenzen“, räumt Braunsperger ein. BMW-Kunden erwarteten, „dass sich die Fahrzeugklassen technisch differenzieren. Eine simple technische Gleichschaltung würden sie nicht akzeptieren.“
Ein unbarmherziges Fazit
Wie riskant rigide Sparmaßnahmen sein können, musste Daimler erfahren. Als Folge der später missglückten Fusion mit dem US-Hersteller Chrysler opferte Daimler Anfang des Jahrhunderts zahlreiche Qualitätsmaßstäbe – und leidet bis heute darunter, wie die „Auto Bild“-Ausgabe vom 19. Oktober 2012 dokumentiert. „Fragen Sie mal Mercedes-Fahrer zum Thema Rost“, empört sich ein Kommentator. „Bei denen wütet die braune Pest viel zu oft an Türkanten und Kofferraumklappen.“ Und beim Vergleichstest von Kompaktwagen der Marken Mercedes, Audi, BMW und VW siegt in der gleichen Ausgabe der neue VW Golf 7.
Die neue Mercedes A-Klasse, mit der Daimler in puncto Qualität und Wertigkeit ein neues Kapitel aufschlagen wollte, landete auf dem letzten Platz. „Es fehlt am Feinschliff“, so das unbarmherzige Fazit der Tester – ein vernichtendes Urteil für eine Marke, die sich 2010 den Slogan „Das Beste oder nichts“ verpasste.
Ungleichmäßige Spaltmaße
„Auto Motor und Sport“ nahm im Dezember eine besonders extreme Variante der aktuellen Mercedes-Sparstrategie aufs Korn: den Citan. Das kompakte Nutzfahrzeug mit Mercedes-Stern im Kühlergrill ist tatsächlich eine nur schlecht kaschierte Variante des über 2500 Euro billigeren Schwestermodells Renault Kangoo. Bei der Qualitätsanmutung lag der Kangoo-Daimler klar hinter dem gleichfalls getesteten VW-Transporter. „Abstehende Gummidichtungen, ungleichmäßige Spaltmaße und leger geschnittene Verkleidungen passten nicht zum strengen Qualitätsanspruch von Daimler“, so das harsche Urteil der Fachjournalisten.
Mangelnder Federungskomfort, unpräzise Lenkung, lückenhafte Sicherheitsausstattung, schlechtes Bremsverhalten – der Test kam für die Marke mit dem Stern einer Ohrfeige gleich. Bleibt „Das Beste oder nichts“ am Ende ein leeres Versprechen? Noch können die Stuttgarter die wertvollste Automarke der Welt ihr Eigen nennen, aber eine sichere Bank ist das nicht. Zumal in der Konzernzentrale bereits das nächste Sparprogramm ausgebrütet wird, um so jährlich zwei Milliarden Euro an Kosten zu senken. Durch die Effizienzsteigerung will Konzernchef Dieter Zetsche bis 2020 Daimler zum profitabelsten und größten Premiumhersteller machen. BMW und Audi verfolgen allerdings das gleiche Ziel.
Wachstum mit Kleinwagen
Bei ihrem Streben nach Größe lassen sich die Hersteller immer mehr auf einen direkten Wettbewerb mit technisch kaum weniger versierten Massenmarken wie VW oder Toyota ein. Den Startschuss dazu feuerten Audi, BMW und Mercedes vor rund 15 Jahren selbst ab, als sie sich entschieden auch kompakte und kleine Autos zu bauen, obwohl die Margen in diesem Segment wegen des höheren Wettbewerbs viel geringer sind. Die an hohe Gewinne gewöhnten Premiummarken könnten hier kaum überleben, unkten Experten schon damals.
Heute ist jeder dritte in Deutschland verkaufte Audi ein Kompaktwagen, jeder zehnte ein Kleinwagen, so das Ergebnis einer Studie des Center Automotive Research (CAR) für die WirtschaftsWoche. Bei BMW und Mini liegt der Kompakt- und Kleinwagenanteil bei 43 Prozent, Mercedes kommt auf 39 Prozent (siehe Grafik). Neben der Bedienung neuer Wachstumsmärkte sei das Vordringen in andere Fahrzeugsegmente die „zweite zentrale Wachstumsstrategie“ der deutschen Premiummarken, sagt Studienleiter Dudenhöffer. „In den letzten 20 Jahren erhöhte sich die Modellvielfalt pro Jahrzehnt um 50 Prozent.“
Noch können die Autokonzerne mit dieser Strategie gut leben. Statt sich im umkämpften Kleinwagensegment aufzureiben, definierten die Premiummarken ein neues Segment: kleine, aber teure Autos mit Luxuscharakter. „Damit haben die deutschen Premiumhersteller ihren Markt wesentlich erweitert“, lobt Dudenhöffer. Rabattschlachten seien in diesem Markt bislang kein Thema: „Sie schaffen es, sich vom Rabattwettbewerb fernzuhalten.“
Ob Premium und Turbo-Wachstum, Qualität und Gleichteilestrategie auf Dauer wirklich zusammenpassen, ist offen. Im Tüv-Report 2013 der zuverlässigsten Autos konnte keines der Modelle von Mercedes, BMW oder Audi einen Spitzenplatz belegen, die Edelmarken rangieren eher im Mittelfeld. Aber: Die Autokäufer schreckt das ganz offensichtlich nicht ab. Immerhin haben deutsche Premiummarken die geringsten Wertverluste im Gebrauchtwagengeschäft.