Nur wenige Manager würden für den Arbeitgeber ihr Leben riskieren. Akio Toyoda ist einer davon. Ende Mai setzte sich der Präsident des japanischen Autokonzerns Toyota ans Steuer eines Lexus LFA Supercar und raste mit mehr als 200 Kilometern pro Stunde durch die engen Schleifen des Nürburgrings.
Es war Toyodas dritte Teilnahme am 24-Stunden-Rennen in der Eifel. Dabei ist der Urenkel des Firmengründers Sakichi Toyoda schon 57 Jahre alt und hat das Rennhandwerk erst mit Mitte 40 gelernt. Für den Sprössling der größten Autodynastie Nippons ist die Teilnahme an dem PS-Zirkus aber kein exklusives Hobby. Für ihn steht der praktische Nutzen im Vordergrund. "Dieses Rennen hat mein Gefühl dafür geschärft, dass wir immer bessere Autos bauen müssen", schrieb Toyoda später in seinem Blog im Internet, den er unter dem Pseudonym der grünen, pelzigen Comic-Gestalt "Morizo" pflegt.
Ferdinand Piëch, aufgepasst! "Morizo" ist kein verspieltes Söhnchen reicher Eltern. Seit seinem Amtsantritt vor vier Jahren entpuppt sich Toyoda als ein Manager, der dem VW-Patron ähnlicher ist, als diesem recht sein kann. Akio Toyoda steht dem Visionär Piëch ("Ich denke gern voraus"), der seine Strategien bei Audi und Volkswagen auf Jahrzehnte angelegt hat, in nichts nach. Der Hobbyrennfahrer unterzieht den größten Autohersteller der Welt einer Neuausrichtung, die der Konzern noch nicht erlebt hat. Selbst durch schlimmste Katastrophen wie den Tsunami von 2011 lässt sich Toyoda nicht beirren. Piëch, der VW und Porsche nah an der Pleite erlebte und den VW-Skandal um gekaufte Betriebsräte überstehen musste, wird das mit Respekt beobachten.
Immer nur lächeln
Wie Piëch entstammt auch Toyoda der Gründerfamilie. Er predigt, ebenfalls ganz Piëch, die "Liebe zum Detail" und teilt sich mit dem mächtigen Alten aus Salzburg die Begeisterung für schnelle, emotionale Autos sowie für den Rennsport. Und genau wie der VW-Aufsichtsratschef ist der umtriebige Toyota-Chef keine charismatische Verkäufernatur. Oft wirkt er hölzern bei seinen öffentlichen Auftritten.
Nur in einem kleinen, für VW aber umso wichtigeren Punkt unterscheidet sich der japanische Piëch von seinem Wolfsburger Pendant: Dieser ist 76 Jahre alt und hat bereits seine Nachfolge geregelt. Die Ära Akio Toyoda dagegen hat erst begonnen.
Die Marschrichtung, die Toyoda dem Unternehmen verordnet, lässt sich auf einen Satz verdichten: Toyota soll nicht mehr allein mit den bekannten, rationalen Eigenschaften Verlässlichkeit und Sparsamkeit punkten, sondern mit besserem Design und Handling die Kunden auch emotional ansprechen. "Wir wollen unsere Kunden zum Lächeln bringen", sagt Toyoda. Damit meint er das Lächeln, das er auf den Lippen trägt, wenn er neue Modelle bei Testfahrten auf Schotter- und Schneepisten wieder und wieder um die eigene Achse wirbelt - das Lächeln des echten Autobegeisterten, des Car Guys, als der er sich gerne ausgibt.
Der Frühling ausgebrochen
Der Sinn der ganzen Veranstaltung ist Experten klar: Akio Toyoda ist angetreten, den von VW-Chef Martin Winterkorn erklärten Angriff zu parieren. 2018, so hatte Piëchs Statthalter in Wolfsburg 2007 erklärt, solle der Volkswagen-Konzern mit seinen zwölf Marken von Skoda bis Lamborghini den Branchenprimus Toyota überholen und weltgrößter Autobauer werden.
Und tatsächlich scheint es Toyoda zu gelingen, dem größten europäischen Autobauer die Aufholjagd mindestens zu erschweren. Nach einer Verdreifachung des Nettogewinns im abgelaufenen Geschäftsjahr will der japanische Riese mit seinen Marken Toyota, Lexus, Daihatsu, Hino und Scion in diesem Jahr den Gewinn um weitere 40 Prozent steigern. Der Umsatz soll um 6,5 Prozent zulegen. Da wird VW kaum mithalten können. Die Wolfsburger wollen 2013 den Umsatz zwar steigern, bleiben aber eine genaue Prognose schuldig. Und der Gewinn werde auf dem Niveau des Vorjahres stagnieren, musste VW-Chef Winterkorn zuletzt eingestehen.
Jubiläum - Toyota wird 75
Kiichiro Toyoda überzeugt in den 1930er Jahren seinen Vater, einen Textilfabrikanten und Erfinder des automatisierten Webstuhls, ein zweites Unternehmen zu gründen. Seine Vision: Die Massenfertigung von Autos. Am 3. November 1937 entsteht die Toyota Motoring Company.
75 Jahre später ist Toyota mit mehr als 200 Millionen produzierten Fahrzeugen weltweit der größte Automobilhersteller und unterhält Niederlassungen in mehr als 170 Ländern.
Mit 39 Millionen verkauften Autos ist der Toyota Corolla das meistverkaufte Fahrzeug in der Automobilgeschichte. Es wird in der elften Generation produziert. Der VW Golf bringt es auf 25 Millionen verkaufte Modelle.
Die "Kaizen" genannte Firmenphilosophie stammt aus dem Hause Toyota. Damit ist der stetige Verbesserungsprozesse in der Produktion gemeint.
In Paris zeigt Toyota Europe auf der Avenue des Champs Elysées die Ausstellung "Rendez-Vous Toyota". Bis Dezember können Besucher die beliebtesten Toyota-Modelle der letzten 75 Jahre sehen. Mit dabei sind Klassiker wie ein Toyota Land Cruiser FJ25 des Jahres 1958 oder der Toyota 2000 GT von 1967, von dem es weltweit nur noch wenige Exemplare gibt.
Wichtigster Grund für Toyodas Optimismus ist die lockere Geldpolitik in Japan. Peter Fuß, Partner bei der Unternehmensberatung Ernst & Young: "Der schwache Yen stärkt die stark exportabhängige Automobilindustrie." Doch die japanischen Autokonzerne hätten auch ihre Hausaufgaben gemacht: "Hohe Qualitätsvorgaben, Effizienzoffensiven und eine intelligente Preispolitik zeigen nun Erfolge."
Zweiter Frühling
Das erste Quartal 2013 zeigt, wie sich die Schere zwischen Toyota und Volkswagen öffnen könnte: Bei Toyota stieg der Gewinn um 111 Prozent auf 4,2 Milliarden Euro, in Wolfsburg dagegen brach er um 26 Prozent auf 2,3 Milliarden Euro ein. VW rangiert mit einer Umsatzrendite von fünf Prozent nur noch im Mittelfeld der Branche, Toyota muss sich mit 8,6 Prozent dagegen nur BMW und Hyundai geschlagen geben.
Dabei schien es eine Weile so, als hätte Toyota dem Generalangriff aus Wolfsburg nur wenig entgegenzusetzen. Millionenfache Rückrufe in den USA, zusammengebrochene Lieferketten infolge der Naturkatastrophen in Japan und Thailand, die enorme Aufwertung der Landeswährung Yen sowie anti-japanische Unruhen in China spielten VW eine gewisse Zeit in die Hände. Doch die Japaner steckten die Tiefschläge weg, und der leidgeprüfte Konzernchef sieht nun die Zeit gekommen, ungehindert zum Gegenangriff blasen zu können. "Nach vier Jahren Winter ist endlich der Frühling ausgebrochen", sagt Toyoda.
Der Mann auf der Poleposition des weltweiten Autogeschäfts hat Toyota bereits gründlich umgekrempelt. Die Fertigung wurde weiter verschlankt, die Arbeit am Hybrid, dem kombinierten Antrieb aus Elektro- und Verbrennungsmotor, intensiviert, die Fahrzeugarchitektur standardisiert und das Management internationalisiert. Das Unternehmen sucht schneller die Nähe zum Kunden und braucht weniger Zeit für Entscheidungen. Vor allem aber sorgt Toyoda dafür, dass sich der Familienkonzern wieder auf sein Kerngeschäft fokussiert, gute Autos zu bauen.
Die Krise als Katalysator
"Finanzhaie hatten Toyota gekapert", sagt Jim Press, langjähriger Toyota-Chef in den USA. Absatzzahlen und Profite wurden zum neuen Credo, Toyota galt als Bank mit angeschlossenem Autohaus. Das alte Motto "der Kunde zuerst" geriet in Vergessenheit, die einst radikale Orientierung auf Qualität wurde dem schnellen Geld geopfert. Dann aber kam 2007 die Finanzkrise, und der Umsatz brach um ein Fünftel ein. Toyota war träge geworden, konnte auf den Einbruch nicht schnell genug reagieren. Auf 22,7 Milliarden Dollar Gewinn im Jahr 2008 folgte 2009 ein Minus von 4,7 Milliarden Dollar - die ersten roten Zahlen seit 1950.
Schon vor diesem Desaster hatte die Konzernspitze die Entscheidung getroffen, Akio Toyoda zum jüngsten Toyota-Chef aller Zeiten zu machen. Formal hätte seine Familie mit ihren 0,8 Prozent Firmenanteilen keinen Anspruch auf die Konzernführung. Toyoda selbst hält nur 4,5 Millionen Aktien, die aktuell 208 Millionen Euro wert sind. Aber den Aufstieg hatte sich der studierte Jurist und Manager innerhalb wie außerhalb des Konzerns verdient. Er entwickelte - angeblich mit eigenem Geld - in den Neunzigern die bis heute populäre Online-Einkaufsmeile "Gazoo" mit Informationen über gebrauchte Toyotas. Zugleich trieb er die Produktion von Sportwagen voran. Das Amerika-Geschäft lernte er in den USA als Vertriebsmann und als Vize-Chef einer Fabrik von der Pike auf kennen. Später kurbelte er den Absatz in China an.
Toyota in der Poleposition
Verkaufte Fahrzeuge (1. Quartal 2013)
Toyota: 2.241.000
VW: 2.143.000
vor Zinsen und Steuern (Ebit) (1. Quartal 2013, in Mio. €)
Toyota: 4162
VW: 2344
Gewinn pro Mitarbeiter (1. Quartal 2013, in Mio. €)
Toyota: 38.152
VW: 20.936
Produzierte Hybridautos (2012)
Toyota: 1.266.239
VW: 17.807
Krise als Katalysator
Als Board-Mitglied von Toyota seit 2000 hatte der älteste Sohn des 88-jährigen Toyota-Ehrenvorsitzenden Shoichiro Toyoda den Angriff auf den einstigen Branchenprimus General Motors mit beschlossen und die Verkaufszahlen nach oben getrieben. Aber schon vor Ausbruch der Finanzkrise besann er sich: Toyoda schmeckte der Jubel über die hohen Absatz- und Gewinnzahlen nicht mehr. Er wollte lieber "aufregendere" Autos bauen und drängte auf eine beschleunigte Dezentralisierung des Konzerns mit seinen weltweit 320.000 Mitarbeitern, davon über drei Viertel im Ausland. Den millionenfachen Rückrufen wenige Monate nach seinem Amtsantritt konnte Toyoda deshalb sogar etwas Positives abgewinnen. "Er hat die Krise als Katalysator benutzt, um den Konzern wachzurütteln und nach seinen Wünschen zu gestalten", meint Toyota-Kenner Jeffrey Liker (siehe Interview Seite 52).
Doch es brauchte Zeit, bis alle im Management begannen, Toyodas Forderung zu leben, nämlich „immer bessere“ Autos zu bauen. Und das, obwohl die Vorgabe die Firmenphilosophie des Kaizen, der stetigen Verbesserung, widerspiegelt. Mit kleinen Änderungen leitete Toyoda die Neubesinnung ein. Er bedruckt seine Visitenkarten heute mit den englischen Slogans „Reborn“, „Fun to Drive, Again“ und „I love cars“. Im Foyer der Tokioter Konzernzentrale ließ er erstmals Toyota-Fahrzeuge aufstellen. Zuvor sah es dort aus wie im Hauptsitz eines Finanzkonzerns.
"Ich bin Geschäftsmann, kein Ingenieur"
Seit Akio Toyoda den Konzern lenkt, stimmen die 67.000 Mitarbeiter in Japan über ihr Toyota-Modell des Jahres ab. Dadurch beschäftigen sie sich mehr mit den eigenen Produkten. Mit seinem "Morizo-Preis" für besondere Leistungen setzt Akio Toyoda einen persönlichen Akzent. Zur Verblüffung der Belegschaft zeichnete er die Neuauflage des "Crown Comfort" aus. Das Standardmodell für Taxen und Fahrschulen in Japan symbolisiere Qualität, Langlebigkeit und Verlässlichkeit, begründete Toyoda seine Wahl. "Man nimmt es kaum wahr, aber ohne dieses Fahrzeug kann die Gesellschaft nicht leben."
Die Ingenieure bei Toyota haben inzwischen gelernt, dass der Konzernchef sich persönlich in die Entwicklung der Autos einmischt. "Ich bin Geschäftsmann, kein Ingenieur", macht sich Toyoda gerne klein. Dann folgt der Zusatz: "Aber ich liebe Autos." Wie einst Steve Jobs bei Apple verlangt er Perfektion, um die Fahrfreude zu erhöhen. So war ihm der Entwurf für eine Auffrischung des Lexus GS zu langweilig. "Beweist mir, dass wir dieses Modell überhaupt brauchen", verlangte er von seinen Technikern, sonst müssten sie es streichen. Darauf kreierten die Designer den trapezförmigen Diabolo-Kühlergrill, der zum neuen Kennzeichen der Luxusmarke wurde.
Mit seiner Liebe zum Detail hatte Toyoda zuerst die Ingenieure beim Supersportwagen LFA gequält, der in einer eigenen Manufaktur und einer limitierten Auflage von 500 Stück produziert wurde. Mit der gleichen Leidenschaft kümmerte er sich um den Sportwagen GT 86. Nach einer Testfahrt meinte Toyoda, der auch lizenzierter Testfahrer ist, der Prototyp "spricht nicht mit mir". Toyoda war das Fahrgefühl zu steril, zu stark von der Elektronik reguliert. "Er ist ziemlich direkt und kritisch", staunte Chefingenieur Tetsuya Tada, der die Fahreigenschaften so lange korrigierte, bis Toyoda zufrieden lächelte.
200 Testfahrten pro Jahr
Natürlich sieht sich der notorische Einmischer auch als Chefdesigner. Seine Vorgaben für künftige Modelle sind konkret: Die Motorhaube flacher, der Schwerpunkt niedriger, die Karosserie steifer - das macht die Autos schicker und das Fahrgefühl sportlicher. "Pro Jahr möchte ich über 200 Prototypen persönlich testen", sagt Akio Toyoda.
Öffentliche Auftritte dagegen sind nicht sein Ding. Da macht er auch im vierten Jahr nach dem Amtsantritt noch einen steifen Eindruck. Spontane Äußerungen sind ihm nur schwer zu entlocken. Diese Neigung wirkte sich im Winter 2009/10, als Toyota wegen angeblicher Probleme mit dem Gaspedal rund fünf Millionen Fahrzeuge in die Werkstatt zurückrufen musste, fatal aus. Statt zügig auf den Vorwurf zu reagieren, Toyota habe den Tod von Autofahrern zu verantworten, kam vom Konzernchef zunächst nichts. Erst nachdem eine Welle der öffentlichen Empörung über Toyota hereingebrochen war, meldete er sich zu Wort.
Obwohl sich später herausstellte, dass es kein Qualitätsproblem bei Toyota gab, verteidigte sich der Konzernchef in der Öffentlichkeit nicht: "Unsere Autos tragen alle meinen Namen. Wenn sie beschädigt werden, dann ist das so, als ob auch ich beschädigt werde", erklärte Toyoda demütig und versprach mit tiefer Verbeugung, persönlich dafür zu sorgen, dass die Kunden sich wieder sicher fühlen können.
So nahe am Kunden wie kein anderer Hersteller
Aus den Rückrufen lernte das Unternehmen, dass Kunden bestimmte Funktionen ihres Autos missverstehen. Statt jedoch die Kunden zu belehren, reorganisierte Toyota die Kundenkommunikation. Die Meldekette zwischen einem Kunden mit einem Problem bis zur verantwortlichen Abteilung wurde verkürzt, indem die Vertriebsregionen größere Kompetenzen erhielten. Außerdem gibt es heute in jedem großen Verkaufsgebiet in der Welt einen Qualitätsmanager.
Zudem wurden "Qualitätsoffiziere" geschult, wie dies in Japan heißt, die jeden Toyota-Fahrer aufsuchen, der ein Problem meldet. Dadurch haben die Manager heute das Ohr so nahe am Kunden wie kaum ein anderer Hersteller. Wenn der Verdacht aufkommt, dass aufgrund technischer Mängel Sicherheitsrisiken bestehen, wird schneller denn je reagiert, und die betroffenen Autos müssen zurück in die Werkstatt - so in der vergangenen Woche, als Toyota weltweit 242.000 Fahrzeuge wegen möglicher Bremsprobleme zurückrief.
Gewonnen wird der Kampf um die Weltmacht jedoch nicht bei den Kunden nur im Showroom, sondern auch in der Fabrik. Toyoda muss deshalb beweisen, dass er in der Lage ist, den Vorsprung wettzumachen, den VW sich gerade durch den Umbau des gesamten Konzerns nach dem Baukastenprinzip erarbeitet. Die Wolfsburger wollen sämtliche Autos mit gleicher Produktionstechnik und aus möglichst viel gleichen Komponenten zusammenbauen und dadurch eine zweistellige Milliardensumme pro Jahr an Kosten sparen.
Toyoda ist es inzwischen gelungen, die Fertigung so zu verschlanken, dass die Werke schon bei einer Auslastung von 70 Prozent profitabel arbeiten. Das Muster lieferte die vor zwei Jahren eingeweihte Fabrik in Miyagi im Nordosten Japans. Das Werk kommt mit deutlich weniger Platz, Maschinen und Energie als früher aus. Dadurch wurden die Fixkosten in vier Jahren um insgesamt elf Milliarden Euro pro Jahr gesenkt, jedoch ohne einen einzigen festen Mitarbeiter zu entlassen und ohne die Ausgaben für Forschung und Entwicklung herunterzufahren.
Rückstand auf Volkswagen
Ähnlich wie bei VW sollen nun auch bei Toyota die Autos gruppenweise nach einem Baukastensystem entworfen werden. Das System heißt "New Global Architecture" und soll Entwicklungszeit und -kosten um rund 30 Prozent senken. Die notwendige Standardisierung geschieht über drei Modellplattformen mit zunächst 20 bis 30 Prozent gleichen Teilen. Später soll der Anteil auf 70 bis 80 Prozent steigen. "Wir liegen zeitlich zurück", gesteht Chefentwickler Mitsuhisa Kato mit Blick auf VW.
Um seinen Einfluss zu sichern, hat Toyoda besonders loyale Manager um sich geschart. Neuer Vize-Verwaltungsratschef ist der Vater des Hybridautos Prius, Takeshi Uchiyamada, dem der Konzern den Verkauf von mittlerweile mehr als fünf Millionen der Zwitterfahrzeuge seit 1997 verdankt. In Japan fahren inzwischen die meisten der neu verkauften Toyota-Fahrzeuge sowohl mit Verbrennungs- als auch mit Elektromotor.
70-mal mehr Hybridautos als VW
Den neuen Entwicklungsvorstand Mitsuhisa Kato hatte Toyoda auf dem Höhepunkt der Rückrufkrise berufen. Kato hatte früh gewarnt, die schnelle Expansion überfordere die Ingenieure. "Wir durften nicht versagen und konnten uns daher professionell nicht entwickeln", meint er rückblickend. Der Querdenker war 2008 zur Motorsport-Tochter Toyota Technocraft abgeschoben worden. Dort lernte der bekennende Bleifuß Akio Toyoda bei den Vorbereitungen zu den Rennen auf dem Nürburgring kennen. Kato soll das von ihm erdachte Baukastensystem durchsetzen und Ingenieuren mehr Freiraum für Innovationen verschaffen.
Mit Mark Templin leitet seit April erstmals ein Ausländer eine Toyota-Abteilung in Japan, nämlich das globale Marketing für Lexus. Der US-Autoingenieur hatte für General Motors (GM) gearbeitet, bevor er 1990 zu Toyota stieß. Für die Märkte Nord- und Lateinamerika, Europa und Afrika sind künftig Nicht-Japaner verantwortlich. Eine Premiere sind auch Nicht-Japaner im Verwaltungsrat. Darunter ist der frühere GM-Vize-Präsident Mark Hogan, den Toyoda aus seiner Zeit in den USA kennt.
Drama in Deutschland
Mit der veränderten Konzernstruktur und dem Personaltableau will Toyoda das typisch japanische Gruppendenken und die Überzentralisierung von Entscheidungen überwinden. Der Neuanfang tut vor allem in Europa not, dem Heimatmarkt des Erzrivalen VW. Auf gerade mal vier Prozent Marktanteil kommt Toyota derzeit in Westeuropa, Tendenz fallend. Volkswagen dagegen wächst seit Jahren und kam Ende April auf 12,5 Prozent.
In Deutschland, wo der Anteil von Toyota am gesamten Neuwagenabsatz in den vergangenen sechs Jahren von 4,3 auf 2,7 Prozent zusammenschmolz, rebellieren inzwischen die Händler. Das Verkaufsnetz sei auf den Absatz von 120 000 Fahrzeugen pro Jahr ausgelegt, verkauft würden derzeit aber nur 80.000 Autos, schimpft der Chef des Toyota-Händlerverbandes, Michael Martin.
Ein Problem, das die deutschen Toyota-Händler haben, hat seine Ursache in einer Stärke des Konzerns: der Hybridtechnik. Die Nachfrage nach diesem Antrieb beim Kleinwagen Yaris und beim Golf-Konkurrenten Auris ist so groß, dass Toyota mit der Produktion nicht hinterherkommt.
2012 verkaufte Toyota rund 70-mal mehr Hybridautos als Volkswagen. Ferdinand Piëch, der die Technologie zur maßgeblichen Brücke ins Elektroautozeitalter erklärt hat, dürfte dieser Erfolg der Japaner übel aufstoßen. Und er muss sich auf weitere schmerzhafte Attacken einstellen.
Immerhin könnte Toyoda noch locker acht Jahre Präsident bleiben und dann noch zehn Jahre als Chairman weiterregieren.