Unter Martin Winterkorn hatte sich der Konzern vor allem einem Ziel verschrieben: noch vor Toyota größter Autobauer der Welt zu werden. Das haben die Wolfsburger 2014 deutlich vor Plan bereits geschafft. Und auch 2015 dürfte der Konzern, Skandal hin oder her, laut einer aktuellen Prognose den inoffiziellen Titel der globalen Nummer eins verteidigen.
Stimmen zum Abgas-Skandal bei VW
Osterloh fordert im Skandal um manipulierte Abgastests in den USA ein entschiedenes Durchgreifen auch innerhalb des Konzerns. „Das muss jetzt mit aller Konsequenz und Offenheit aufgeklärt werden; und wir müssen Konsequenzen daraus ziehen“, sagte er dem Magazin „Stern“. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Osterloh, der als einer der mächtigsten Männer bei Volkswagen auch Mitglied des Aufsichtsrats ist, äußerte sich geschockt über die Vorwürfe und forderte: „Wir müssen verloren gegangenes Vertrauen bei unseren Kunden zurückgewinnen.“ Vor allem Konzernchef Martin Winterkorn stehe dabei nun in der Pflicht.
„Eine Manipulation von Emissionstests ist völlig inakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen“, sagte der SPD-Politiker, der als amtierender Regierungschef in Niedersachsen Mitglied im Präsidium des Aufsichtsrates von VW ist. „Es muss selbstverständlicher Anspruch des VW-Konzerns sein, die gesetzlichen Vorschriften einzuhalten.“ Er habe die Nachricht "mit Besorgnis zur Kenntnis genommen. Die gegen VW in den USA erhobenen Vorwürfe wiegen schwer“, sagte Weil. Er gehe davon aus, dass diese Vorfälle „schnell und gründlich aufgeklärt werden. Erst danach kann über mögliche Folgen entschieden werden."
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat eine rasche und volle Aufklärung der Abgas-Manipulationen des Volkswagen-Konzerns gefordert. Merkel sprach sich „angesichts der schwierigen Lage“ für „volle Transparenz“ aus und forderte: „Ich hoffe, dass möglichst schnell die Fakten auch auf den Tisch kommen.“
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat die Abgas-Manipulationen scharf kritisiert. Der Vizekanzler geht aber von keinem nachhaltigen Schaden für die deutsche Industrie insgesamt aus. „Dass das ein schlimmer Vorfall ist, ist glaube ich klar“.Natürlich gebe es Sorge, dass der exzellente Ruf der deutschen Automobilindustrie und vor allem von Volkswagen darunter leidet: „Ich bin aber sicher, dass das Unternehmen schnell und restlos den Fall aufklären und die denkbar eingetreten Schäden wieder gut machen wird.“ Der Fall sei aber nicht typisch. „Der Begriff „Made in Germany“ ist weltweit ein Qualitätsbegriff.“ Deshalb müsse schnell aufgeklärt werden: „Aber ich glaube nicht, dass das ein dauerhafter und prinzipieller Schaden für die deutsche Industrie ist.“ Gabriel sprach sich dafür aus, Messfehler oder Manipulationen vielleicht einmal insgesamt zu überprüfen.
Die Bundesregierung fordert von den Autoherstellern „belastbare Informationen“, um mögliche Manipulationen bei Abgastests auch in Deutschland prüfen zu können. Diese Überprüfung müsse durch das Kraftfahrtbundesamt vorgenommen werden, sagte ein Sprecher des Umweltministeriums. Er forderte zudem die Hersteller auf, eng mit den US-Behörden zusammenzuarbeiten, um eine „lückenlose Aufklärung“ zu ermöglichen. Der Sprecher sagte, seinem Haus lägen „keine weiteren Kenntnisse über mögliche Schummeleien deutscher Automobilproduzenten vor“.
CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt hat Volkswagen aufgefordert, Kunden "vollumfänglich aufzuklären", um dadurch Vertrauen zurückzugewinnen. Er betonte, die Regierung wolle selbst aktiv dafür sorgen, dass derartige Manipulationen in Zukunft nicht wieder vorkämen.
Volkswagen-Chef Martin Winterkorn kann nach Meinung von Autofachmann Ferdinand Dudenhöffer angesichts des Abgas-Skandals in den USA nicht im Amt bleiben. Winterkorn, in dessen Verantwortung auch die konzernweite Forschung und Entwicklung falle, habe entweder von den Manipulationen gewusst oder aber er sei ahnungslos und habe seinen Geschäftsbereich nicht im Griff, sagte der Direktor des CAR-Instituts der Universität Duisburg-Essen der „Frankfurter Rundschau“. „In beiden Fällen würde ich sagen, dass Winterkorn an der Konzernspitze nicht mehr tragbar ist.“ Der „Westdeutschen Allgemeinen“ sagte er: „Jeder Politiker könnte bei einer solchen Angelegenheit nicht in seinem Amt bleiben.“
In Europa werden die Auto-Abgaswerte nach Angaben des TÜV Süd bereits während der Produktion streng überwacht. „Da gibt es klare Regeln“, sagte ein Sprecher. Für alle Fahrzeuge, die in der EU zugelassen werden sollen, müssten die Hersteller externe Kontrollen sicherstellen. „Die Fahrzeuge werden nach dem Zufallsprinzip vom Band genommen und kontrolliert“, sagte er. Allein der TÜV Süd nehme pro Jahr mehr als tausend dieser Kontrollen vor.
BMW ist nach eigenen Angaben von dem Skandal nicht betroffen. Bei Überprüfungen eines Dieselfahrzeugs habe es keine auffälligen Abweichungen der Werte gegeben, erklärte das Unternehmen. Bei BMW habe sich die EPA nicht gemeldet, hieß es in München. Wie sich der Skandal auf den Absatz von Diesel-Fahrzeugen in den USA auswirken werde, lässt sich nach Einschätzung von BMW noch nicht beurteilen. Für BMW machen diese Fahrzeuge bislang erst einen kleinen Anteil aus: In den letzten Jahren habe der Absatz von Dieselwagen in den USA drei bis sechs Prozent des gesamten Absatzes ausgemacht - höchstens rund 20.000 Fahrzeuge jährlich.
Daimler ist nach eigenen Angaben nicht von den Ermittlungen der US-Umweltschutzbehörde EPA wegen Abgas-Manipulationen betroffen. "Es gibt nach unseren Erkenntnissen keine Untersuchungen zu Mercedes-Benz", teilte der Stuttgarter Konzern am Montag mit.
Nach Meinung von Experten des DIW wird der VW-Abgasskandal im schlimmsten Fall auch die deutsche Konjunktur belasten. "Die Autoindustrie ist technologisch eine der Schlüsselbranchen, es ist die Leitindustrie schlechthin in Deutschland", sagt Industrieexperte Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. "Wenn es zu Absatzeinbußen kommt, könnte es auch Zulieferer treffen und damit die gesamte Wirtschaft."
Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, hat von VW eine schnelle Aufklärung des Abgasskandals gefordert. "Wir kritisieren jegliche Manipulation scharf", sagte er. "Jedes Unternehmen muss sich an die geltenden Regeln halten." Er begrüße aber, dass VW die Vorwürfe von unabhängigen Fachleuten prüfen lassen wolle. "Jedes Fehlverhalten muss lückenlos aufgeklärt werden. Jetzt helfen nur Transparenz, Offenheit und Tempo."
Trotz Dieselgate wird VW den Experten von IHS Automotive zufolge 9,96 Millionen Fahrzeuge bis sechs Tonnen absetzen. Da bei Konkurrent Toyota das Minus mit 2,7 Prozent aber größer ausfällt, kommen die Japaner demnach nur auf 9,86 Millionen Fahrzeuge. Nach den ersten neun Monaten hatte Toyota Volkswagen wieder knapp überholt. Doch das wird VW durch seine erfolgreichen Konzernmarken wieder wettmachen, so IHS.
Selbst Skoda verdient mehr pro Auto
In Sachen Absatz ist die Marke VW der mit Abstand stärkste Vertreter des Konzerns. Nicht nur hierzulande verkaufen sich Golf, Passat, Tiguan und Co. blendend. Die Verkäufe florieren zwar, doch an einer entscheidenden Stelle hakt das Geschäft: An den Autos mit dem VW-Logo verdient der Konzern kaum noch Geld. Bei Umsatz und Absatz liegt die Marke VW konzernintern deutlich vorne. Die größten Beiträge zum operativen Ergebnis kommen aber von Audi und Porsche. Sogar bei der einstigen Billig-Tochter Skoda ist die Rendite höher.
Das Rendite-Problem hatte auch Winterkorn bereits erkannt und dem Konzern 2014 ein Milliarden-Sparprogramm auferlegt. Die technische Komplexität war – nicht zuletzt wegen Winterkorns Detailversessenheit und Neigung zu kostspieligen Änderungen kurz vor Produktionsbeginn – dramatisch gestiegen, ohne dass dies in höhere Preise umgesetzt werden konnte.
Die Grundlagen für Müller hat Winterkorn selbst gelegt. Er hat nicht nur das Sparprogramm auf den Weg gebracht, sondern auch zusammen mit dem damaligen Aufsichtsratsboss Ferdinand Piëch Herbert Diess von BMW zu Volkswagen geholt. Der VW-Markenchef gilt als harter Kostensenker. Mit dem teuren Prestige-Modell Phaeton aus den Piëch-Zeiten hat der seit Juli aktive Diess den ersten Kandidaten ausgemacht. Ein Nachfolger kommt, wenn überhaupt, als Elektroauto. Unrentable Modelle wie der dreitürige Polo und das Cabrio Eos wurden schon zuvor gestrichen. Weitere Entscheidungen werden folgen.
Auch der von Winterkorn erdachte und während des Skandals vorgezogene Konzernumbau spielt der neuen VW-Spitze in die Karten. Wichtige Entscheidungen in Sachen Vertrieb und Entwicklung sollen nicht mehr zentral in Wolfsburg, sondern in den jeweils zuständigen Markengruppen gefällt werden. Die viel zitierten Strukturen sollen flexibler, das Gesprächsklima offener und die Entscheidungswege einfacher werden.
Für Bratzel ein überfälliger Schritt. „Ein organisatorisch-kultureller Wandel mit flexiblen Strukturen und schnellen Reaktionsmustern ist ohnehin eine Voraussetzung, um im künftigen Wettbewerb zu bestehen“, so der Professor. „Dabei sollte trotz der aktuellen Krise nicht in Vergessenheit geraten, dass der Volkswagen-Konzern auch enorme Stärken besitzt, die für den anstehenden Wandel genutzt werden können: ein breites Produkt- und Markenportfolio, eine hohe Innovationsstärke in wichtigen Technologiefeldern und viele hochqualifizierte Beschäftigte.“