Trotz Abgasskandal Die vergessenen Baustellen des Volkswagen-Konzerns

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Das hausgemachte Problem: die schwache Rendite

Unter Martin Winterkorn hatte sich der Konzern vor allem einem Ziel verschrieben: noch vor Toyota größter Autobauer der Welt zu werden. Das haben die Wolfsburger 2014 deutlich vor Plan bereits geschafft. Und auch 2015 dürfte der Konzern, Skandal hin oder her, laut einer aktuellen Prognose den inoffiziellen Titel der globalen Nummer eins verteidigen.

Stimmen zum Abgas-Skandal bei VW

Trotz Dieselgate wird VW den Experten von IHS Automotive zufolge 9,96 Millionen Fahrzeuge bis sechs Tonnen absetzen. Da bei Konkurrent Toyota das Minus mit 2,7 Prozent aber größer ausfällt, kommen die Japaner demnach nur auf 9,86 Millionen Fahrzeuge. Nach den ersten neun Monaten hatte Toyota Volkswagen wieder knapp überholt. Doch das wird VW durch seine erfolgreichen Konzernmarken wieder wettmachen, so IHS.

Selbst Skoda verdient mehr pro Auto

In Sachen Absatz ist die Marke VW der mit Abstand stärkste Vertreter des Konzerns. Nicht nur hierzulande verkaufen sich Golf, Passat, Tiguan und Co. blendend. Die Verkäufe florieren zwar, doch an einer entscheidenden Stelle hakt das Geschäft: An den Autos mit dem VW-Logo verdient der Konzern kaum noch Geld. Bei Umsatz und Absatz liegt die Marke VW konzernintern deutlich vorne. Die größten Beiträge zum operativen Ergebnis kommen aber von Audi und Porsche. Sogar bei der einstigen Billig-Tochter Skoda ist die Rendite höher.

Das Rendite-Problem hatte auch Winterkorn bereits erkannt und dem Konzern 2014 ein Milliarden-Sparprogramm auferlegt. Die technische Komplexität war – nicht zuletzt wegen Winterkorns Detailversessenheit und Neigung zu kostspieligen Änderungen kurz vor Produktionsbeginn – dramatisch gestiegen, ohne dass dies in höhere Preise umgesetzt werden konnte.

Das neue Who is Who im VW-Konzern
Stefan Knirsch Quelle: Audi
Hinrich Woebcken Quelle: dpa
Neuer Generalbevollmächtigter für die Aggregate-Entwicklung: Ulrich EichhornVolkswagen hat einen neuen Koordinator für die Aggregate-Entwicklung auf Konzernebene. Der WirtschaftsWoche bestätigte Ulrich Eichhorn, dass er im Frühjahr zu VW zurückkehrt. Der 54-Jährige kommt vom Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA), wo er die Verantwortung für die Bereiche Technik und Umwelt inne hatte. Zuvor war Eichhorn neun Jahre lang Entwicklungsvorstand bei der VW-Tochter Bentley. Eichhorn wird nicht Mitglied des Vorstands, sondern berichtet als Generalbevollmächtigter direkt an VW-Chef Matthias Müller – ähnlich wie der neue Chef-Stratege Thomas Sedran. Quelle: Presse
Der neue Generalbevollmächtigte für Außen- und Regierungsbeziehungen: Thomas StegEs ist kein Wechsel der Funktion, sondern der Zuordnung: Thomas Steg ist seit 2012 Generalbevollmächtigter des Volkswagen-Konzerns für Außen- und Regierungsbeziehungen. Bislang war dieser Bereich Bestandteil der Konzernkommunikation. Jetzt ist das Team um Steg als eigenständiger Bereich in das Ressort von VW-Chef Matthias Müller zugeordnet, an den Steg persönlich berichtet. Der diplomierte Sozialwissenschaftler wird zusätzlich das Thema Nachhaltigkeit verantworten. „Mit der Bündelung der Konzernzuständigkeiten und der neuen Zuordnung des Themas Nachhaltigkeit trägt Volkswagen dessen wachsendem Gewicht Rechnung“, teilte der Konzern mit. Steg begann seine berufliche Laufbahn 1986 als Redakteur der Braunschweiger Zeitung. Danach war er Pressesprecher zunächst des DGB Niedersachsen/Bremen, ab 1991 des Niedersächsischen Sozialministeriums und ab 1995 der SPD-Landtagsfraktion Niedersachsen. 1998 übernahm er im Bundeskanzleramt die stellvertretende Leitung des Büros von Bundeskanzler Gerhard Schröder, ab 2002 war er stellvertretender Regierungssprecher, ab 2009 selbstständiger Kommunikationsberater. Quelle: Presse
Der neue VW-Entwicklungsvorstand: Frank WelschKurz nach dem Bekanntwerden von Dieselgate wurde der Entwicklungsvorstand der Marke VW, Heinz-Jakob Neußer, beurlaubt. Bei der Aufsichtsratssitzung am 9. Dezember ernannte das Kontrollgremium Frank Welsch zu seinem Nachfolger. Der promovierte Maschinenbau-Ingenieur ist seit 1994 im Konzern. Über verschiedene Stationen in der Karosserie-Entwicklung, als Entwicklungsleiter in Shanghai und Leiter der Entwicklung Karosserie, Ausstattung und Sicherheit der Marke Volkswagen arbeitete er sich zum Entwicklungsvorstand von Skoda hoch. Diesen Posten hatte Welsch seit 2012 inne.Sein Vorgänger Neußer verlässt den Konzern allerdings nicht, sondern steht laut VW-Mitteilung "dem Unternehmen für eine andere Aufgabe zur Verfügung". Quelle: Volkswagen
Der neue VW-Beschaffungsvorstand: Ralf BrandstätterRalf Brandstätter wird Vorstand für Beschaffung der Marke Volkswagen. Der 47-Jährige folgt in seiner neuen Funktion auf Francisco Javier Garcia Sanz, der die Aufgabe als Markenvorstand in Personalunion zusätzlich zu seiner Funktion als Konzernvorstand für den Geschäftsbereich Beschaffung wahrgenommen hatte. In Zukunft wird Garcia Sanz zusätzlich zu seinen Aufgaben als Konzernvorstand Beschaffung die Aufarbeitung der Diesel-Thematik betreuen. Brandstätter kam 1993 in den Konzern. Seit dem ist der Wirtschaftsingenieur in verschiedensten Posten für die Beschaffung verantwortlich gewesen, zuletzt als Leiter Beschaffung neue Produktanläufe. Zwischenzeitlich war er auch Mitglied des Seat-Vorstands. Seit Oktober 2015 ist Brandstätter auch Generalbevollmächtigter der Volkswagen AG. Brandstätter berichtet wie der ebenfalls neu berufene Entwicklungschef Frank Welsch direkt an VW-Markenvorstand Herbert Diess. Quelle: Volkswagen
Neuer VW-Personalvorstand: Karlheinz BlessingMitten in der größten Krise der Konzerngeschichte bekommt Volkswagen mit dem Stahlmanager Karlheinz Blessing einen neuen Personalvorstand. Der Aufsichtsrat stimmte am 9. Dezember bei seiner Sitzung dem Vorschlag der Arbeitnehmerseite für den vakanten Spitzenposten bei Europas größtem Autobauer zu. Blessing folgt damit auf den bisherigen Personalvorstand Horst Neumann, dieser war Ende November in den Ruhestand gegangen. Der Ernennung war eine lange Suche nach einem geeigneten Kandidaten vorausgegangen. Blessing (58) ist seit 2011 Vorstandsvorsitzender der Stahlherstellers Dillinger Hütte. Zuvor war er Büroleiter des damaligen IG Metall-Vorsitzenden Franz Steinkühler und Anfang der 1990er Jahre Bundesgeschäftsführer der SPD. 1993 ersetzte er als Arbeitsdirektor bei der Dillinger Hütte Peter Hartz, der damals zu VW nach Wolfsburg ging. Blessing sei gut in der IG Metall vernetzt, habe aber auch unternehmerische Erfahrung, hieß es in den Konzernkreisen. Quelle: dpa

Die Grundlagen für Müller hat Winterkorn selbst gelegt. Er hat nicht nur das Sparprogramm auf den Weg gebracht, sondern auch zusammen mit dem damaligen Aufsichtsratsboss Ferdinand Piëch Herbert Diess von BMW zu Volkswagen geholt. Der VW-Markenchef gilt als harter Kostensenker. Mit dem teuren Prestige-Modell Phaeton aus den Piëch-Zeiten hat der seit Juli aktive Diess den ersten Kandidaten ausgemacht. Ein Nachfolger kommt, wenn überhaupt, als Elektroauto. Unrentable Modelle wie der dreitürige Polo und das Cabrio Eos wurden schon zuvor gestrichen. Weitere Entscheidungen werden folgen.

Auch der von Winterkorn erdachte und während des Skandals vorgezogene Konzernumbau spielt der neuen VW-Spitze in die Karten. Wichtige Entscheidungen in Sachen Vertrieb und Entwicklung sollen nicht mehr zentral in Wolfsburg, sondern in den jeweils zuständigen Markengruppen gefällt werden. Die viel zitierten Strukturen sollen flexibler, das Gesprächsklima offener und die Entscheidungswege einfacher werden.

Für Bratzel ein überfälliger Schritt. „Ein organisatorisch-kultureller Wandel mit flexiblen Strukturen und schnellen Reaktionsmustern ist ohnehin eine Voraussetzung, um im künftigen Wettbewerb zu bestehen“, so der Professor. „Dabei sollte trotz der aktuellen Krise nicht in Vergessenheit geraten, dass der Volkswagen-Konzern auch enorme Stärken besitzt, die für den anstehenden Wandel genutzt werden können: ein breites Produkt- und Markenportfolio, eine hohe Innovationsstärke in wichtigen Technologiefeldern und viele hochqualifizierte Beschäftigte.“

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