Türkischer Elektroautohersteller Togg „Viele Hersteller haben hohe Ziele und können sie dann nicht einhalten“

Stefan Bratzel Quelle: dpa

Der türkische Elektroautohersteller Togg will ab 2022 Autos nach Deutschland verkaufen. Wie schwer er es haben wird erzählt Automobilforscher Stefan Bratzel im Interview.

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Prof. Dr. Stefan Bratzel ist Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Er promovierte an der Freien Universität Berlin in Politikwissenschaften und arbeitete danach in der Automobilbranche, unter anderem als Produktmanager bei der Daimlertochter Smart. Seit 2004 forscht Bratzel an den Erfolgsbedingungen von Automobilherstellern und der Zukunft der Mobilität.

WirtschaftsWoche: Der türkische Präsident Erdogan hat Anfang des Jahres mit viel Spektakel den neuen Elektroautohersteller Togg vorgestellt. Jetzt ist bekannt, dass die türkischen E-Autos ab 2022 in den Verkauf gehen und sofort auch nach Deutschland exportiert werden sollen. Hat Togg auf dem deutschen Markt überhaupt eine Chance?
Stefan Bratzel: Es wird für Togg sehr schwierig werden. Unheimlich viele Start-ups versuchen die etablierten Automobilhersteller und Tesla anzugreifen. Nur wenige werden das längerfristig schaffen. Togg wird nur eine Chance haben, wenn die Autos deutlich günstiger oder besser als die der Konkurrenz sind. Ich kann aber bisher nicht erkennen, dass ihnen das gelingen wird. Hinzu kommt, dass eine neue Marke aus der Türkei wie Togg bei vielen vorneweg nicht auf Begeisterung stoßen wird.

Es kommt ja häufiger vor, dass neue Autohersteller vollmundig den Markteintritt ankündigen und es dann nie dazu kommt. Für wie realistisch halten Sie es, dass Togg tatsächlich ab 2022 Elektroautos verkauft?
Viele Hersteller haben hohe Ziele und können sie dann nicht einhalten. Selbst Tesla ist mit vielen Schritten zwar erfolgreich gewesen – aber erst später als geplant. Wenn Togg es tatsächlich schafft seine Zeitleiste einzuhalten, kann man den Hut ziehen. Dann wären sie einer der wenigen, die das tatsächlich hinkriegen. Die Chancen sind aber eher mittelprächtig. Zumal erstmal wahrscheinlich nur auf dem türkischen Markt eine Chance besteht, größere Marktanteile zu erlangen.

Diese Start-ups wollen auf den deutschen Markt
Togg: Der türkische Staatspräsident Erdogan stellte im Dezember vergangenen Jahres mit dem Elektroautohersteller Togg („Turkey's Automobile Initiative Group“) das neue Prestigeprojekt seiner Regierung vor. Ab Ende 2022 sollen die elektrischen SUVs und Limousinen des neu gegründeten Autobauers auch auf deutschen Straßen rollen. Hinter dem Joint Venture Togg stecken die Anadolu Group, der Nutzfahrzeughersteller Kok Group und BMC sowie der Mobilfunkbetreiber Turkcell und die Zorlu Holding, der Mutterkonzern des TV-Herstellers Vestel. Kunden sollen für den Elektro-SUV zwei Akkus zur Auswahl haben, entweder mit einer Reichweite von 300 Kilometern oder mit einer Reichweite von 500 Kilometern. Der Motor soll im Basismodell 203 PS stark sein. Auf Wunsch könne ein zweiter Motor die Leistung verdoppeln. Zum Preis ist noch nichts bekannt. Quelle: Togg
Aiways: Der Elektro-SUV U5 des 2017 in China gegründeten Start-ups Aiways ist in Deutschland bereits bestellbar und soll im Oktober an die Kunden geliefert werden. Mit einem Basispreis von 37.990 Euro gehört Aiways zu den günstigeren Anbietern. Der U5 hat 150 kW (204 PS), kommt auf eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h und soll eine Reichweite von bis zu 410 Kilometern erreichen. Viele Komponenten des Aiways stammen von deutschen Zulieferern: das Lenksystem kommt beispielsweise von Bosch, die Karosserie hat Benteler Automotive mitentwickelt. Quelle: Aiways
Polestar: Ihre ersten Elektrolimousinen lieferte die schwedische Marke Polestar bereits im August an deutsche Kunden. Das Start-up gehört zur Muttermarke Volvo und damit zum chinesischen Automobilgiganten Geely. Beim Vertrieb arbeitet Polestar mit Volvo zusammen und hat damit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Start-ups. Der Polestar 2 besitzt einen Allrad-Elektroantrieb mit 300 kW (408 PS) und kommt auf eine Höchstgeschwindigkeit von über 200 km/h. Die Batterie hat eine Kapazität von 78 kWh und soll eine Reichweite von bis zu 470 Kilometern ermöglichen. Das hat einen stolzen Preis: Der Polestar 2 kostet in der Basisausstattung 53.540 Euro. Quelle: Polestar
BYD: BYD („Build Your Dreams“) war lange der größte E-Auto-Hersteller der Welt. Das chinesische Unternehmen startete als Batteriekonzern und gründete 2003 eine Tochtergesellschaft für die Autoproduktion. 2008 stieg Star-Investor Warren Buffett ein und investierte eine Viertelmilliarde Euro. BYD ist schon seit einigen Jahren mit elektrisch angetriebenen Linien- und Reisebussen auf dem europäischen Markt aktiv. Mit dem BYD Tang EV soll 2021 auch der Verkauf von PKW in Europa starten. Den umgerechnet 56.000 Euro teuren Elektro-SUV wird es zunächst aber nur in Norwegen geben. Weitere europäische Länder sollen folgen. Der Allradantrieb des BYD Tang EV bringt eine Leistung von 360 kW (490 PS) und ermöglicht eine Höchstgeschwindigkeit von 180 km/h. Die Reichweite soll bei 500 Kilometern liegen. Quelle: BYD
Zetta (Russland): Mit dem Elektroautohersteller Zetta hat die russische Regierung ein ähnliches Projekt angestoßen wie die Türkei. Ende 2020 soll das kastenförmige E-Auto laut russischem Industrie- und Handelsministerium in Serienproduktion gehen. Die Autos werden erst einmal auf dem heimischen Markt verkauft, mittelfristig visiert Zetta aber den europäischen Markt an. Dafür setzt das Unternehmen auf einen absoluten Kampfpreis – das günstigste Modell soll laut russischen Medienberichten umgerechnet nur rund 5200 Euro kosten. Trotzdem soll die Höchstgeschwindigkeit bei 120 km/h und die Reichweite bei knapp 200 Kilometern liegen. Das erscheint bei einer Batteriekapazität von 10 kWh allerdings eher unrealistisch. Quelle: Russisches Industrie- und Handelsministerium
Byton: Das chinesische Elektroauto-Start-up Byton galt einmal als großer Tesla-Konkurrent. Ursprünglich wollte Byton Ende 2021 seinen Elektro-SUV M-Byte zu einem Basispreis von 45.000 Euro nach Deutschland bringen. Der hinterradgetriebene M-Byte hat einen 200-kW-Elektromotor (272 PS), der auf eine Reichweite von bis zu 360 Kilometern kommen soll. Doch die Corona-Pandemie durchkreuzte Bytons Europa-Pläne. Das Start-up geriet in finanzielle Schwierigkeiten und musste mehrfach die Produktion anhalten. Es folgten Entlassungen, momentan ist das Unternehmen auf der Suche nach einer neuen Finanzierung. Was das für den Start des M-Byte in Deutschland bedeutet, ist noch unklar. Quelle: Byton

Wobei dort ja die Ladeinfrastruktur noch nicht so weit ausgebaut ist.
Ja, da geht es wahrscheinlich nur um Istanbul, Ankara und einige wenige andere Städte.

Kann die Technik von Togg mit der von deutschen Autobauern oder Tesla mithalten?
Togg wird allenfalls an den Durchschnitt der anderen Anbieter herankommen und das auch nur, wenn sie auf den ein oder anderen bekannten Zulieferer setzen. Es wäre sehr verwunderlich, wenn Togg plötzlich Alleinstellungsmerkmale haben würde, die andere Hersteller nicht besitzen. Man braucht außerdem Plattformen, die bestimmte Stückzahlen hergeben, um die vorhandenen Fixkosten auf möglichst viele Fahrzeuge umlegen zu können. Mit seinem modularen Elektrobaukasten ist VW in Deutschland neben Tesla ein starker Wettbewerber. Ich bin nicht sicher, ob Togg auf ähnliche Preise kommen kann.

Wo liegen für junge, internationale Elektroautohersteller die Schwierigkeiten eines Markteintritts in Deutschland?
Die Qualität spielt in Europa eine größere Rolle als in Amerika oder in China. In China müssen die Autos dafür mehr Vernetzungsfeatures mitbringen. Die Reichweite ist dort hingegen nicht so wichtig, weil man sich hauptsächlich in den jeweiligen Regionen, z.B. in Shanghai, bewegt. Für Deutschland als Flächenland ist die Reichweite entscheidender. In China treten derzeit einheimische Start-ups gegen Tesla an, und selbst dort haben sie nur eine Chance, wenn sie deutlich günstiger als prestigeträchtige Marken wie Tesla sind.

Russland hat mit dem E-Auto-Hersteller Zetta ein ähnliches Projekt angestoßen wie die Türkei. Laut russischen Medienberichten soll das günstigste Modell mit einem Kampfpreis von umgerechnet 5200 Euro auf den Markt kommen – mittelfristig auch in Europa. Kann das klappen?
Ich halte das für völlig unrealistisch. Vor allem für so einen Preis. Die Hauptkostenfaktoren sind die Batteriezellen. Die kosten schon mal hundert Euro pro Kilowattstunde. Man kann natürlich ganz wenig Energiekapazität einbauen, zum Beispiel nur 20 Kilowattstunden. Selbst da wäre man schon bei 2000 Euro für die Batterie und kommt dann nur rund 100 Kilometer weit.

Auch in China und den USA gibt es jede Menge junge Elektroauto-Start-ups. Können die den Vorsprung der etablierten Marken und von Branchenführer Tesla überhaupt aufholen?
Die Aussichten sind eher schlecht. Selbst Unternehmen, die sehr viel Geld investieren, scheitern teilweise. Der Staubsaugerhersteller Dyson hat über zwei Milliarden Euro in die Entwicklung seines Elektroautos gesetzt und trotzdem vor einem Jahr dankend aufgegeben. Mit weniger Geld ist es noch schwieriger. Tesla hat es als einer der wenigen geschafft. Die waren früh dran, hatten eine tolle Technologie und haben die Marke richtig aufgebaut. Aber selbst Tesla stand kurz vor dem Scheitern, auch wenn es mittlerweile nicht mehr danach aussieht. Daran erkennt man: Es ist nicht einfach den Elektromobilitätsmarkt aufzurollen. Das dauert Jahre und benötigt Investitionen über Milliarden Euros.

Chinesische Autobauer haben schon häufiger Europa-Expansionen geplant, geklappt hat das allerdings nie. Könnte das bei den chinesischen Elektroautos anders werden?
Es wird zu einer Konsolidierung kommen. Nur ganz wenige der unzähligen Hersteller werden es schaffen. Einige große Anbieter, wie Geely, BYD oder SAIC, haben gute Chancen.

Mit Aiways gibt es bereits ein chinesisches Start-up, das seinen Elektro-SUV ab Herbst 2020 an Kunden in Deutschland ausliefern will. Kann das Unternehmen auf dem deutschen Markt Erfolg haben?
Hinter Aiways steckt einiges an Geld. Aber Stand heute ist das noch ein ganz schwieriges Unterfangen. Den Markteintritt in Europa hinzukriegen ist schwierig, da habe ich noch viele Fragezeichen. 

Was müsste ein internationaler Elektroautohersteller mitbringen, um auf dem deutschen Markt erfolgreich zu sein?
Man muss ein Elektroauto auf den Markt bringen, dass vergleichbar zu den Branchenführern in Sachen Reichweite, Stromverbrauch und Kosten pro Kilowattstunde ist. Idealerweise haben die Autos ein Alleinstellungsmerkmal oder sind zu einem günstigeren Preis als die Konkurrenz zu kaufen. Und dann muss noch ein funktionierendes Servicenetz mit entsprechender Ersatzteilversorgung aufgebaut werden.

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