Wer von Westen über die Zeppelinstraße in das knapp 60.000 Einwohner große Friedrichshafen am Bodensee kommt, passiert nach drei Kilometern auf der rechten Seite den Campus der Zeppelin Universität. Knapp zwei Kilometer weiter liegt das Graf-Zeppelin-Haus, noch mal einen Kilometer weiter das Zeppelin Museum. Alle drei nach dem Luftschiff-Konstrukteur benannten Institutionen werden von der stadteigenen Zeppelin-Stiftung finanziert – genau wie das örtliche Klinikum, das Medienhaus am See, die Volkshochschule und etliche Jugendtreffs und Kindergärten.
Die weltweit größten Autozulieferer
Faurecia (Frankreich)
Umsatz 2016: 18,711 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 18,770 Milliarden Euro
Veränderung: -0,3 Prozent
Hauptprodukte: Sitze und Innenausstattung
Quelle: Berylls Strategy Advisors, Stand: Juni 2017
Michelin (Frankreich)
Umsatz 2016: 20,907 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 21,199 Milliarden Euro
Veränderung: -1,4 Prozent
Hauptprodukte: Reifen
Bridgestone-Firestone (Japan)
Umsatz 2016: 22,485 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 24,094 Milliarden Euro
Veränderung: -6,7 Prozent
Hauptprodukte: Reifen
Aisin (Japan)
Umsatz 2016: 27,977 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 24,133 Milliarden Euro
Veränderung: +15,9 Prozent
Hauptprodukte: Getriebe, Bremssysteme, Karosserie- und Motorenteile
Hyundai Mobis (Südkorea)
Umsatz 2016: 30,227 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 28,096 Milliarden Euro
Veränderung: +7,6 Prozent
Hauptprodukte: Cockpit-, Frontend- und Chassismodule
ZF Friedrichshafen (Deutschland)
Umsatz 2016: 32,353 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 27,113 Milliarden Euro
Veränderung: +19,3 Prozent
Hauptprodukte: Fahrwerks- und Antriebssysteme, Elektronik/Software
Magna (Kanada)
Umsatz 2016: 34,587 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 29,408 Milliarden Euro
Veränderung: +17,6 Prozent
Hauptprodukte: Karosserie & Fahrwerksysteme, Exterieur-Ausstattungen
Denso (Japan)
Umsatz 2016: 36,301 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 34,299 Milliarden Euro
Veränderung: +5,8 Prozent
Hauptprodukte: Klimasysteme, Motorsteuerung, Human-Machine-Interface
Continental (Deutschland)
Umsatz 2016: 40,550 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 39,232 Milliarden Euro
Veränderung: +3,4 Prozent
Hauptprodukte: Brems-, Fahrwerk- und Sicherheitssysteme, Reifen
Bosch (Deutschland)
Umsatz 2016: 43.936 Milliarden Euro
Umsatz 2015: 41,657 Milliarden Euro
Veränderung: +5,5 Prozent
Hauptprodukte: Antriebs-, Sicherheits- und Komfortsysteme
Gefüllt wird deren Topf vom Getriebehersteller ZF Friedrichshafen. Der Stiftung gehören 94 Prozent des Autozulieferers, der seinem Eigentümer eine kleine Dividende zahlt – 2013 gerade mal 30 Millionen Euro. Der Rest vom Gewinn, im vergangenen Jahr gut 430 Millionen, bleibt im Unternehmen. Gut eine Milliarde Euro hat ZF dank der gewinnschonenden Stiftungskonstruktion auf der hohen Kante.
Preis und Risiko sind hoch
Mit dem dicken Finanzpolster im Rücken kann ZF die vergangene Woche verkündete Übernahme des fast gleich großen US-Autoelektrikspezialisten TRW stemmen. Die Strategie passt: „Der Zusammenschluss folgt der industriellen Logik der Branche“, sagt Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Allerdings ging in der Euphorie unter, dass Preis und Risiko hoch sind. Mehr als zehn Milliarden Euro zahlt ZF für TRW, und ob die Integration funktioniert, ist fraglich: „Das Management der jeweiligen Sparten zusammenzubringen wird eine Herkulesaufgabe“, warnt Bratzel.
Der Deal ist eine der größten Übernahmen des Jahres und das wichtigste Ereignis in der Geschichte des 1915 gegründeten Unternehmens. Zusammen kommen der Getriebe- und Fahrwerkspezialist ZF und der Autoelektronikhersteller TRW aus Livionia bei Detroit im US-Staat Michigan auf weltweit 138.000 Mitarbeiter und 30 Milliarden Euro Umsatz. Damit wird ZF zum weltweit drittgrößten Autozulieferer nach den ebenfalls deutschen Wettbewerbern Bosch und Continental.
Der Preis dürfte das geringere Problem sein: Der erst seit Mai 2012 amtierende ZF-Vorstandschef Stefan Sommer zahlt den TRW-Aktionären 9,5 Milliarden Euro, zudem übernimmt ZF rund 800 Millionen Euro Schulden von dem künftig als separate ZF-Division geführten Unternehmen. Rund eine Milliarde Euro dürfte ZF von Bosch für die Hälfte des gemeinsam betriebenen Joint Ventures ZF Lenksysteme bekommen. Bei dem restlichen Kaufpreis helfen Deutsche Bank und Citigroup mit Anleihen und Krediten.
„TRW fügt sich hervorragend in unsere langfristige Strategie ein“, sagt Sommer. Tatsächlich ergänzen sich die beiden Partner im Prinzip gut, Überschneidungen gibt es kaum. Automarktexperten wie Bratzel sehen Sommers Pläne darum grundsätzlich positiv: „Es gibt einen Trend zur Größe, um mit der Globalisierung in den wichtigen Märkten präsent zu sein, vor allem in den USA und China.“
Bessere Position für ZF birgt Gefahren
Technologisch passt die Übernahme ebenfalls: ZF ist Spezialist für Getriebe und Fahrwerkskomponenten, TRW fertigt vor allem Sicherheitstechnik und Elektronik. Mit der Übernahme kauft sich ZF bisher fehlendes Know-how, um bei Zukunftsthemen wie Elektromobilität, Internet-Vernetzung von Fahrzeugen und Technik für automatisiertes oder teilautomatisiertes Fahren mitmischen zu können – alles Bereiche, in denen Bosch und Continental bislang die Nase deutlich vorn haben.
Der Aufstieg in die neue Liga, die bessere Positionierung in den wichtigen globalen Märkten und bei zukunftsträchtigen Technologien birgt für ZF allerdings auch große Risiken. In der überschaubaren Welt der Getriebehersteller verfügt ZF als Weltmarktführer über jahrzehntelange Erfahrung. Bei Zukunftsthemen wie der Elektromobilität, beim automatisierten Fahren, bei der Entwicklung energieeffizienter Motoren oder bei der internetbasierten Vernetzung des Autos sind die Manager vom Bodensee dagegen eher Anfänger und müssen den Vorsprung von Bosch und Continental erst noch aufholen.
Bosch kann womöglich sogar von der ZF-Aufholjagd und der TRW-Übernahme profitieren: Weil ZF sich aus kartellrechtlichen Gründen – auch TRW fertigt elektrische Lenkungen – aus dem mit Bosch gemeinsam betriebenen Joint Venture ZF Lenksysteme zurückzieht, übernimmt der bisherige Partner den Laden ganz. Elektrische Lenkungen sind einer der Hauptkomponenten für automatisiertes Fahren. Mit der Komplettübernahme holt Bosch sich zusätzliches Know-how ins Haus.
Auch bei wichtigen Kennzahlen wie Profitabilität und Forschungsinvestitionen schneidet ZF im Vergleich zu den beiden Marktführern schlechter ab. Der Reifen- und Elektronikhersteller Continental aus Hannover kommt auf eine Umsatzrendite von 9,8 Prozent, Bosch auf 6,1 Prozent. ZF ist mit nur knapp fünf Prozent vergleichsweise ertragsschwach. Bei Forschung und Entwicklung läuft ZF ebenfalls hinterher: Bosch investiert hier fast zehn Prozent seiner Umsätze, Conti immerhin 5,6 Prozent. ZF bisher knapp fünf Prozent.
Womit die Zulieferer zu kämpfen haben
Immer mehr Innovationen müssen von den Zulieferern selbst kommen. Die Forschungs- und Entwicklungsausgaben steigen dadurch stark an. Die Zulieferer müssen stärker in Vorleistung gehen und tragen damit ein höheres unternehmerisches Risiko.
Die Autokonzerne bauen immer mehr Werke in Asien oder Mexiko. Damit steigt der Druck auf die Zulieferer, ebenfalls in neue Standorte zu investieren.
Global agierende Autokonzerne schreiben ihre Aufträge immer öfter für die weltweite Produktion aus. Viele mittelständische Zulieferer können weder die geforderten Stückzahlen herstellen noch den Konzernen einfach ins Ausland nachfolgen.
Autokonzerne wie PSA und GM bilden immer öfter Einkaufsgemeinschaften, gleichzeitig steigt die Zahl von Modulbaukästen für die identische Teile in sehr hoher Stückzahl benötigt werden. Beides führt dazu, dass der Preisdruck steigt. Die Zahl der Zulieferer, die das leisten kann, sinkt.
Was in der Euphorie über die neue globale Präsenz, über Skalenvorteile und technisches Synergiepotenzial ebenfalls völlig untergeht: Wenn der Kaufpreis bezahlt ist, geht die eigentliche Arbeit erst los. Bevor der erste Synergie-Euro verdient wird, muss das übernommene Unternehmen integriert werden. „Die Gefahren, die in der operativen Umsetzung der Integration lauern, werden in der Regel erst nach Vertragsunterzeichnung deutlich – also, wenn man das Problem bereits am Bein hat“, warnt Johannes Gerds, Inhaber der Düsseldorfer Managementberatung InnoCorp.
Unterschiedliche Kulturen
Auch was in der Theorie strategisch passt, muss in der Praxis nicht unbedingt reibungslos funktionieren. Die Übernahme von Continental durch den Kugel- und Wälzlagerhersteller Schaeffler etwa hat bis heute kaum neue gemeinsame Produkte hervorgebracht, obwohl die Begründung damals ganz ähnlich war wie heute bei ZF und TRW: Das elektronische Know-how von Conti sei die ideale Ergänzung der mechanischen Kompetenz von Schaeffler. Davon ist wenig zu sehen, den Schuldenberg aus der Übernahme abzutragen wird Schaeffler allerdings noch Jahre kosten.
Integration könnte das Management für Jahre beschäftigen
Bei grenzüberschreitenden Fusionen dieser Größenordnung ist das Risiko besonders groß. Häufig gehen die Übernahmen schief und bringen nur selten die erhofften Ergebnisse. Abschreckende Beispiele gibt es reichlich: Die als „Hochzeit im Himmel“ gepriesene Daimler-Chrysler-Fusion scheiterte krachend.
Erschwerend kommt hinzu: Bei ZF und TRW prallen völlig unterschiedlich geprägte Managementkulturen aufeinander. ZF mit der Stiftung im Hintergrund ist ein sehr deutscher und traditionell langfristig orientierter Konzern, TRW ein durch und durch amerikanisches Unternehmen, das bisher an der Börse notiert war. Auch wenn es vermutlich einfacher ist, TRW in ZF zu integrieren als umgekehrt, „prallen da zwei Kulturen aufeinander“, sagt Experte Bratzel, „da kann es schon mal knirschen“.
Übernahme in gegenseitigen Einvernehmen
Einen Vorteil, etwa im Gegensatz zur Conti-Übernahme durch Schaeffler, sieht er zwar darin, dass die Fusion bei ZF und TRW im gegenseitigen Einvernehmen erfolgt. Dennoch werde die Integration ein Großteil des Managements noch lange beschäftigen – im schlimmsten Fall für Jahre. Etliche Top-Leute dürften einen Großteil ihrer Zeit im Jet zwischen Friedrichshafen und Livonia verbringen. Entscheidungen darüber, wie die zukünftige Geschäftsführung sich zusammensetzt und die Zuständigkeiten zwischen der Zentrale in Deutschland und der Divisionsleitung in den USA aufgeteilt werden, sind noch nicht gefallen. Fest steht nur, dass der Hauptsitz am Bodensee bleibt.
Sommers Argument, ZF habe Erfahrung mit der Integration aufgekaufter Unternehmen, kann dabei auch nicht recht überzeugen: Die beiden letzten Übernahmen des Getriebebauers waren deutlich kleiner. Der Schweinfurter Fahrwerkskomponentenhersteller Mannesmann Sachs, den ZF 2001 kaufte, hatte damals rund zwei Milliarden Euro Umsatz und 16.500 Mitarbeiter, der belgische Windkraftausrüster Hansen Transmissions zählte gerade mal knapp 400 Millionen Euro Umsatz und rund 1500 Beschäftigte.
Bei der Integration unterschiedlicher Kulturen ist einer der wichtigsten Faktoren die Kommunikationsfähigkeit der Leute an der Spitze. Sommer hat da womöglich Nachholbedarf: Nachdem Mitte Juli erste Gerüchte über die TRW-Übernahme die Runde machten, ging der ZF-Chef erst mal für ein paar Wochen auf mediale Tauchstation.