Umbau bei Volkswagen Es geht um 80 weitere Jahre für VW. Oder 18.

Vertreten bei VW das Land Niedersachsen: Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Kultusministerin Julia Hamburg (Grüne). Quelle: dpa Picture-Alliance

VW-Markenchef Thomas Schäfer muss massiv sparen, soll die Marke überlebensfähig bleiben. Es geht um Milliarden, tausende Stellen – und um den Großaktionär Niedersachsen, der über Wohl oder Wehe des Konzerns entscheidet.

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Wer in den ältesten Produktionshallen des Wolfsburger VW-Werks ganz genau hinsieht, kann sie hier und da noch entdecken: Einschusslöcher an Wänden und Pfeilern. Das Volkswagen-Werk war eines der Prestigeprojekte des Naziregimes und als solches ein wichtiges Angriffsziel der Alliierten. Natürlich hätten die Schäden in den mehr als 70 Jahren nach Kriegsende längst repariert werden können. Aber die Wolfsburger bewahren die Narben, auch mit Stolz: Trotz der düsteren Anfänge mit Kriegswirtschaft und NS-Zwangsarbeit, trotz etlicher Korruptionsaffären, trotz des Dieselskandals mit seinen epischen Folgen lebt Volkswagen noch. Und das ganz gut: 2022 war der Konzern nach Umsatz der größte Autobauer der Welt.

Was Volkswagen und die Millionen Mitarbeiter, die über die Jahrzehnte dort arbeiteten, aus dem schwierigen Erbe machten, ist bewundernswert. Zugleich ist die Historie auch der größte Ballast des Konzerns: Die alten Hallen selbst verhindern eine moderne Autoproduktion. Und auch die aus der Historie geborene Eigentümerstruktur des Konzerns blockiert immer wieder notwendige Umbauten des Unternehmens. So steht Volkswagen jetzt wieder an einem Punkt, an dem eigentlich massiv gespart und umgebaut werden müsste, an dem sich tatsächlich aber wohl nicht viel bewegen wird.

Es sei denn, das Land Niedersachsen, das VW-Großaktionär ist und in den Personen von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Kultusministerin Julia Hamburg (Grüne) im Aufsichtsrat des Konzerns vertreten ist, ist ausnahmsweise mal mutig und stellt die langfristigen Interessen des Konzerns über kurzfristige politische Erwägungen – also die nächste Wahl.

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Das VW-Management und die Aktionäre des Porsche-Piech-Clans wollen modernisieren, transformieren und Arbeitsplätze, die nicht mehr gebraucht werden, streichen. Der Betriebsrat um Daniela Cavallo muss qua Aufgabenstellung einen Arbeitsplatzabbau bekämpfen. Und das Land? Das muss sich mal wieder entscheiden. Hinter den Kulissen wird es zwischen Staatskanzlei, Betriebsrat und Konzern schon bald heiß hergehen. Mitte Juni lädt der Betriebsrat zur Betriebsversammlung. Gut möglich, dass dann schon feststeht, wie Niedersachsen entscheiden wird.

Dass bei Volkswagen nicht einfach die betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten zählen, liegt am politischen Erbe des Konzerns. Weil die Nazis das Unternehmen teils mit dem Vermögen enteigneter Gewerkschaften und dem Einsatz von Zwangsarbeitern erbaut hatten, sollte das Unternehmen nach dem Krieg zumindest teilweise den Bürgern gehören. So kam es zu dem 20-Prozent-Anteil, den das Land Niedersachsen an dem Konzern hält.

Stellt heute jemand Arbeitsplätze bei Volkswagen in Frage, schlägt die IG Metall, die bei VW stärker vertreten ist als bei jedem anderen Autobauer, Alarm. Weil Unruhe bei VW der niedersächsischen Landesregierung gefährlich werden kann, weiß die Gewerkschaft diesen VW-Großaktionär traditionell auf ihrer Seite. Land und Betriebsrat kommen im Aufsichtsrat auf 70 Prozent der Stimmen und können jeden Sparplan verhindern, jeden VW-Chef absägen.

Der Fall Herbert Diess

Wie das geht, durfte Herbert Diess, Vorgänger des heutigen VW-Chefs erfahren. Es war im September 2021, als sich bei Diess einiges angestaut hatte: Die Pläne der Marke VW für das Wolfsburger Elektroautoprojekt Trinity sind ihm zu wenig revolutionär, zu halbherzig, die Langfristplanungen für die deutschen Standorte sind ihm zu unkonkret. An einem Sonntagmorgen macht er seinem Ärger Luft, schriftlich: In den Plänen sei „noch nicht viel Substanz drin“, mailt er an einige Konzernmanager. Da müsse man noch „deutlich nachhelfen“. Themen wie Abbau und Umbau seien noch nicht adressiert. In Wolfsburg arbeiteten 65.000 Menschen, schreibt Diess. „Ziel?“, fragt er. „30?“

30.000 also. Das würde einen Abbau von 35.000 Mitarbeitern bedeuten. Die Antwort folgt prompt: „Deine Einschätzung teile ich vollständig“, schreibt einer der Adressierten. Man habe sich Ist-Zahlen zu Wolfsburg zeigen lassen und sei „geschockt“ ob deren Dimension. Man müsse ein Zielbild entwickeln und Abbau- und Umbaumaßnahmen definieren. Wenn er einen „klaren Auftrag“ bekäme, könne er einen Maßnahmenplan entwickeln, schreibt der Manager. „Klarer Auftrag!“, antwortet Diess.

Später landet auch Personalvorstand Gunnar Kilian auf dem Verteiler des Mailwechsels. Der frühere Betriebsratsfunktionär schreibt „Herbert“, dass die Umsetzung der strategischen Personalplanung laufe. Allerdings meldet Kilian auch Bedenken an: „Deine 30.000“, schreibt er, „halte ich allerdings für eine überzeichnete Linie.“

Das war nett formuliert. Tatsächlich aber stieß Diess mit der Frage nach einer konkreten Belegschaftsplanung in ein Wespennest. Als ehemaliger Funktionär des Volkswagen-Gesamtbetriebsrats wusste Kilian das sehr genau. Doch war es nicht Diess Pflicht, Fakten einzufordern, seien sie auch noch so heikel? „Strategiepapiere gibt es tonnenweise“, sagt ein Insider aus der Konzernspitze, „aber kaum eines enthält konkreten Zahlen zum Personalbedarf“, weil viele im Management dieses heiße Eisen scheuten.

Diess scheute den Machtkampf nicht – und war fünf Monate später weg

Diess scheute sich nicht, ging in den Machtkampf mit Betriebsrat und Land – und bekam kein halbes Jahr später von VW-Betriebsratschefin Cavallo seine Grenzen aufgezeigt: Trotz anhaltender Chipkrise und unsicheren Autokonjunktur seien mit dem Betriebsrat weitere Sparrunden nicht zu machen, ließ Cavallo den Konzernchef per Interview mit der Deutschen Presse-Agentur wissen: „Von unserer Seite bestünde derzeit keine Bereitschaft über die bestehenden Programme zur Kostensenkung hinaus“.

Diess blieb stur – und war fünf Monate später weg, abgesägt von Betriebsrat und Land, wohl im Schulterschluss mit den Porsche-Piech-Großaktionären.

Es kam mit Oliver Blume ein neuer Konzernchef, der weiter umbauen will, allerdings nicht so konfliktreich wie Herbert Diess. Blume und der Chef der Marke VW, Thomas Schäfer, sind nun an dem Punkt, an dem Diess vor eineinhalb Jahren war. Sie sehen, dass die Marke VW nicht profitabel genug arbeitet. Und was heißt das für ds Stammwerk Wolfsburg? 30?

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Ein Blick auf Wettbewerber zeigt die Lücken, die VW schließen muss. Trotz rückläufiger Gewinne war etwa Konkurrent Tesla in den vergangenen Monaten mit knapp 12 Prozent Umsatzrendite vier Mal so profitabel wie die Marke VW. 2022 schaffte Tesla 15,5 Prozent Umsatzrendite, die Marke VW nur 3,2 Prozent. Bei Tesla erwirtschaftete ein Mitarbeiter im vergangenen Jahr über 90.000 Euro Gewinn – bei der Marke VW waren es 15.000.

Nun könnte man einwenden, dass Tesla als reine Elektromarke im Premiumsegment kein guter Vergleich ist. Doch auch der Vergleich mit den traditionellen Herstellern, die auf VW an der Weltspitze folgen, ist für die Wolfsburger nicht schmeichelhaft: Auf einen Toyota-Mitarbeiter etwa entfielen 2022 über 50.000 Euro Gewinn, bei Stellantis mit Marken wie Opel, Citroën, Peugeot, Fiat, Jeep, Maserati oder Chrysler waren es 59.000 Euro.

Gigantische Innovationen nötig, um mit China und den USA mitzuhalten

Es kommen gigantische Investitionen auf Volkswagen zu, will der alte Autobauer VW überhaupt noch mit neuen, schlanken, hochmodernen Elektro-Konkurrenten etwa aus China oder USA mithalten. Diese Ausgaben von morgen kann er nur stemmen, wenn er heute ausreichend Geld verdient. Deshalb hat VW-Marken-Chef Schäfer recht, wenn er sich mit drei Prozentumsatzrendite nicht abfinden will.

Schon jetzt fallen notwendige Großprojekte dem Geldmangel zum Opfer: Ein hochmodernes Produktionswerk für das Trinity-Projekt, mit dem VW bei den Produktionsverfahren zu Tesla aufschließen wollte, ist gestrichen. Und das neben Salzgitter zweite deutsche Batteriewerk des Konzerns, eigentlich vorgesehen in Emden? Wird es wohl nicht geben.

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