Herr Hück, die Automobilkonzerne warnen vor der gesetzlichen Regulierung von Werkverträgen: Arbeitsplätze würden ins Ausland verlagert. Ist das Lobbyisten-Latein oder eine ernste Gefahr?
Uwe Hück: Die Gewerkschaften haben stets dafür plädiert, Werk- und Dienstleistungsverträge nicht per Gesetz zu regeln, sondern auf betrieblicher Ebene, per Tarifvertrag und über Betriebsvereinbarungen vor Ort. Bei jeder Tarifverhandlung haben wir einen Tarifvertrag für Werk- und Dienstleistungen gefordert. Die Arbeitgeber haben das abgelehnt. Deshalb ist der Gesetzgeber nun gezwungen, ein Gesetz zu verabschieden, obwohl das uns als Wirtschaftsstandort ein Stück Beweglichkeit nehmen wird.
Zur Person
Uwe Hück ist Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Porsche AG, Vorsitzender des Konzernbetriebsrats und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender.
Die Sorgen der Arbeitgeber sind also berechtigt?
Ich habe Bauchschmerzen bei einer Regulierung der Werkverträge per Gesetz. Sie stellt eine hohe Gefahr für die Flexibilität dar, die die Unternehmen benötigen. Jedes Unternehmen atmet ja unterschiedlich und benötigt andere Instrumente, um erfolgreich zu sein. Daher sollten Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Gewerkschaften vor Ort entscheiden. Das sollte nicht über ein Bundesgesetz reguliert werden.
Wie finden Sie den vorliegenden Referentenentwurf des Bundesarbeitsministeriums?
Was Andrea Nahles vorgelegt hat, ist nicht zu hundert Prozent das, was wir vor Ort brauchen. Mir fehlen im Gesetzesentwurf zum Beispiel konkrete Regularien für die Mitbestimmung der Arbeitnehmervertretung.
Welche Regularien meinen Sie?
Solche, wie wir sie bei der Porsche AG im Rahmen der sehr weitgehenden Betriebsvereinbarung zur sachbezogenen Mitbestimmung bei Werk- und Dienstleistungsverträgen beschlossen haben. Diese umfasst jede Art von Dienstleistung, also nicht nur den Bereich Automobil und produktionsnahe Dienstleistungen, sondern auch die Security-Leute und die Putztrupps. Bei Porsche geht dadurch seit Mitte letzten Jahres jeder Werkvertrag über den Tisch des Betriebsrates.
Und was passiert dort?
Wichtigstes Instrument ist die Ampelregelung: Rot gekennzeichnete Werkverträge darf der Arbeitgeber nicht umsetzen. Werkverträge, bei denen der Betriebsrat alternative Lösungen vorschlagen kann, werden blau markiert. Ein grünes Kreuz bedeutet „grünes Licht“ für den Werkvertrag – wenn die definierten Mindeststandards eingehalten werden. Vierteljährlich muss der Arbeitgeber im Wirtschaftsausschuss der Arbeitnehmervertretung die geplanten Werk- und Dienstleistungsverträge vorlegen.
Porsche und die Hedgefonds
Wegen des gescheiterten Übernahmeversuchs von Volkswagen im Jahr 2009 hat die Porsche Automobil Holding SE (Porsche SE/PSE) als Dachgesellschaft des Sport- und Geländewagenbauers diverse Rechtsstreitigkeiten am Hals. Auch im aktuellen Fall geht es um den spektakulären Wirtschaftskrimi: Mehrere Hedgefonds fühlen sich rückblickend getäuscht und wollen deswegen Geld zurück, das sie damals an der Börse verloren haben. Insgesamt geht es noch um fast 1,2 Milliarden Euro. Die PSE hält die Forderung für unbegründet.
Im Mittelpunkt stehen Pressemitteilungen aus dem Jahr 2008. Damals hatte die Holding zunächst bestritten, ihren Anteil am VW-Konzern auf 75 Prozent aufstocken zu wollen. Einige Monate später gab sie dann aber bekannt, genau diesen Plan zu verfolgen. Die Aktienkurse schossen nach oben - Anleger, die auf fallende Kurse gewettet hatten, verloren viel Geld. Sie werfen der PSE vor, die Öffentlichkeit über ihre wahren Absichten bewusst im Unklaren gelassen zu haben.
Ganz anders: Die Holding habe ihre Pläne stets nach bestem Wissen und Gewissen kundgetan, heißt es dort. Erst zum Zeitpunkt der endgültigen Pressemitteilung sei die Entscheidung, den viel größeren VW-Konzern übernehmen zu wollen, gefallen. Eine Haftung für die darauffolgenden heftigen Kursreaktionen lehnt die PSE ab.
So einige. Schauplätze sind Braunschweig, Stuttgart, Hannover oder auch Frankfurt. Manche Klagen wanderten von einem Gericht zum anderen, weil die Zuständigkeiten umstritten waren. Der aktuelle Prozess wechselte etwa von New York nach Deutschland. Die PSE hatte stets darauf gepocht, dass der Fall vor deutschen Gerichten verhandelt werden müsse, weil sie hier auch ihren Sitz habe.
Im Zusammenhang mit dem Versuch der VW-Übernahme wurde Porsches früherer Finanzchef Holger Härter bereits wegen Kreditbetrugs zu einer Geldstrafe verurteilt. Um Anleger, die sich falsch informiert fühlten, ging es dabei jedoch nicht. Entscheidungen gibt es sonst nur in kleineren Fällen. Das Landgericht Stuttgart hat die Klage der Hedgefonds zudem bereits abgewiesen. Die Fonds wehrten sich jedoch dagegen, so dass der Streit vorm Oberlandesgericht weiterging.
Beim Namen Porsche denken die meisten zuerst an die Stuttgarter Sport- und Geländewagenschmiede. Diese hat mit den Klagen aber nicht direkt etwas zu tun. Die Vorwürfe richten sich gegen die Dachgesellschaft Porsche SE, zur Zeit der Übernahmeschlacht gehörte das operative Porsche-Geschäft aber noch zu dieser Holding. Neben der Porsche AG war die Holding auch damals schon an Volkswagen beteiligt. Um den Ausbau dieser VW-Beteiligung geht es im aktuellen Streit.
Es lief für die Stuttgarter nicht nach Plan. Die Porsche SE verhob sich bei dem Versuch, sich die Macht bei VW zu sichern. Am Ende kam es daher anders: Im August 2012 drehte Volkswagen den Spieß um und verleibte sich das Porsche-Geschäft, das bis dahin unter dem Dach der Porsche SE war, komplett ein. Die Porsche SE selbst ist seitdem ausschließlich an Volkswagen beteiligt - profitiert darüber aber letztlich noch immer von den Erfolgen der Sportwagenschmiede.
Welche Bedingungen gelten dabei für die Dienstleister?
Die Betriebsvereinbarung legt fest, dass die Dienstleister ihre Beschäftigten mindestens nach Branchentarif zu bezahlen haben, wobei für alle Beschäftigten auf dem Firmengelände ein Mindeststundensatz gilt. In Fällen, in denen der Branchentarifvertrag ein höheres Entgelt vorsieht, gilt dieses. Wenn ein Dienstleister – egal welcher Branche – einen Tarifvertrag mit der IG Metall geschlossen hat, ist dieser anzuwenden.
"Menschen dürfen nicht mehr wie Sachen behandelt werden"
Wie hoch ist aktuell der Mindeststundensatz?
Ausschlaggebend ist die Altersarmutsgrenze. Porsche hat sich verpflichtet, sicherzustellen, dass jeder Arbeitnehmer, der auf dem Betriebsgelände tätig ist, ein Gehalt bezieht, das nicht zu Altersarmut führt. Als die Betriebsvereinbarung im Frühjahr 2015 geschlossen wurde, lag die Altersarmutsgrenze bei 10,50 Euro. Im November hat der Bundestag sie auf 11,50 Euro angehoben. Entsprechend werden wir Betriebsräte nun zeitnah mit dem Arbeitgeber über die Anpassung bei Porsche auf die Untergrenze von 11,50 Euro verhandeln.
Können Dienstleister Porsche die Mehrkosten in Rechnung stellen?
Ich kann mir vorstellen, dass Porsche drauflegen muss. Schließlich wollen wir die Untergrenze von 11,50 Euro, weil Löhne, die zu Altersarmut führen, nicht zu Porsche passen.
Aber für die Vergabe von Werkverträgen ist nicht die Personalabteilung, sondern der Einkauf zuständig. Und der soll um jeden Preis Kosten sparen.
Es findet ein Umdenken statt, das zu einem Kulturwandel führen wird, insbesondere im Einkauf. Menschen dürfen nicht mehr wie Sachen behandelt werden, die von Einkaufsabteilungen „eingekauft“ werden. Zulieferer zulasten der dort gezahlten Löhne auszuquetschen, muss aufhören.
Die Kultur bisher ist aber, dass Automobilhersteller Zulieferer und Dienstleister ausquetschen.
Große Unternehmen dürfen kleine Unternehmen nicht in die Sackgasse manövrieren, um die Rendite zu erhöhen. „Leben und leben lassen“ muss in Deutschland wieder Motto werden. In Zuffenhausen etwa haben wir die Löhne der Frauen, die in der Küche des Restaurants des Porsche-Museums arbeiten, erheblich nach oben korrigiert.
Um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens machen Sie sich keine Sorgen?
Wettbewerbsfähig ist Porsche nicht dadurch, dass wir Köchinnen und Putzfrauen ausbeuten. Wettbewerbsfähigkeit hängt nicht von der Bezahlung der Arbeitnehmer ab. Die Herausforderungen sind zukunftsweisende Fahrzeugmodelle mit neuen Antriebstechnologien und die Industrie 4.0. Deutschland muss sehr schnell die Infrastrukturen für die Elektromobilität schaffen. Dazu benötigen wir flexible Arbeitsplätze und – im Kampf um qualifiziertes Personal – die Fähigkeit, Arbeitnehmer zu begeistern.
Im Porsche-Werk in Leipzig werden viele nicht begeistert sein. Denn ausgerechnet dort gilt die sachbezogene Mitbestimmung nicht, obwohl der Anteil an Fremd-Arbeitskräfte viel höher ist als in Zuffenhausen, Weissach und Ludwigsburg. Warum ist das so?
Weil der Standort Leipzig eine eigenständige GmbH ist. Als Porsche 1998 entschied, den Cayenne in Leipzig zu produzieren, war das noch auf der grünen Wiese. Wir hatten beschlossen, Stamm-Mitarbeiter nur in der Produktion zu beschäftigen. Das waren am Anfang nur etwa 200 Menschen. Leipzig war damals kein vollwertiges Werk. Dort fand nur die Hochzeit statt: Die Antriebseinheit aus Motor, Getriebe, Achsen und Abgasanlage wurde mit der Karosserie verschraubt. Alle anderen Tätigkeiten lagerte Porsche per Dienst- oder Werkvertrag aus. Inzwischen aber ist Porsche Leipzig eine vollwertige Fabrik und hat ein enormes Wachstum hinter sich. Bei den Arbeitsbedingungen wurde jedoch nicht in allen Bereichen adäquat nachgezogen. Das Beschäftigungsmodell, das momentan in Leipzig praktiziert wird, hat sich überlebt. Wir sind dabei, das zu korrigieren.
"Keine Billigkonkurrenz im eigenen Unternehmen"
Wie?
Aktuell verhandeln wir mit dem Arbeitgeber eine neue Standortsicherung für Porsche Leipzig. Wir überlegen, die Porsche Leipzig GmbH in die AG zu holen. Unabhängig davon wollen wir auch am Standort Leipzig die sachbezogene Mitbestimmung einführen. Die neuen Bundesländer dürfen nicht länger ein Versuchslabor für die Umgehung von Tarifstandards sein. Wir dürfen uns keine Billigkonkurrenz im eigenen Unternehmen machen. Ein Anfang ist gemacht: Inzwischen haben so gut wie alle Dienstleister auf dem Werksgelände und darüber hinaus in Leipzig einen Tarifvertrag mit der IG Metall.
Rund der Hälfte der Leipziger Werkvertragskräfte nutzt aber weder dieser Tarifvertrag noch die sachbezogene Mitbestimmung. Denn ihre Betriebe liegen außerhalb des Werkszauns und damit außerhalb der Einflusszone des Betriebsrats.
Es gilt das Territorialprinzip. Wir haben deshalb viele Dienstleister im Umfeld von Porsche mit guten Tarifverträgen ausgestattet. Als Betriebsrat versuchen wir, auch faire Dienstleistungs- und Werkverträge zu realisieren, wenn die Firmen nicht auf unserem Betriebsgelände tätig sind. So sind in den Ausschreibungen des Einkaufs Mindestbedingungen wie Bezahlung, Mindeststundensatz, Arbeitszeit, Arbeitssicherheit, Vorhandensein einer Arbeitnehmervertretung et cetera festgeschrieben. Ein Dienstleister erhält nur dann den Auftrag von Porsche, wenn er nachweist, dass er diese Bedingungen erfüllt. Die Arbeitnehmervertretung in Leipzig kämpft zudem dafür, extern vergebene Dienstleistungen wieder zurück zu Porsche zu holen.
Mit Erfolg?
Ja. Porsche Leipzig macht beispielsweise die Instandhaltung, die vorher komplett von Voith Industrial Services geleistet wurde, nun zum Teil in Eigenleistung. In diesem Bereich wurden Einstellungen vorgenommen. Die Porsche AG erbringt den Werksschutz in Eigenleistung und erwägt, auch die Feuerwehr inzusourcen. Und wir holen auch an anderen Standorten Leute rein. Ein Ingenieur, der in der Entwicklung in Weissach arbeitet, darf maximal zwei Jahre per Werkvertrag beauftragt werden. Wenn er sich danach auf eine offene Planstelle bei Porsche bewirbt, wird er bei gleicher Qualifikation bevorzugt und hat einen Rechtsanspruch vor anderen externen Bewerbern.
Warum regeln Sie Werkverträge - anstatt den Verzicht auf das von den Gewerkschaften bekämpfte Instrument zu fordern?
Man soll Werk- und Dienstleistungsverträge nicht verteufeln. Das macht übrigens auch die IG Metall nicht. Wir sind nicht grundsätzlich gegen Werkverträge. Aber wir wehren uns gegen das Aushebeln von Tarifstandards und Billiglöhnen. Wenn wir Werkverträge anständig praktizieren, sind sie nicht schlimm. Ich bin ein Fan des Werk- und Dienstleistungsvertrags. Unternehmen können ja nicht alles selber machen, sondern müssen sich auf Ihre Kernkompetenz konzentrieren. In Bereichen wie IT und Entwicklung etwa sind Dienstleister nötig. Und wenn Bosch für uns Teile eines Motors entwickelt hat, müssen die Bosch-Leute auch ins Werk kommen. Der Umgang mit Werkverträgen muss aber anständig, offen und transparent sein und mit Beteiligung der Betriebsräte stattfinden. Wir haben bei Porsche dieses Flexibilitäts-Instrument aus der dunklen Ecke herausgeholt. Arbeitgeber aber, die noch in illegaler und missbräuchlicher Weise Werkverträge anwenden, werden auf die Schnauze fallen.
Und dass der Leiharbeiter-Anteil an der Porsche-Belegschaft im Leipziger Werk bei 18 Prozent liegt, nehmen Sie hin?
Die Porsche AG beschäftigt in der Produktion – in Zuffenhausen haben wir rund 9000 Arbeitnehmer, davon knapp 5000 in der Produktion – so gut wie keine Leiharbeiter, weil das dort verboten ist. Dort sind nur befristet Beschäftigte tätig, die für Flexibilität sorgen. Auch bei der Porsche Leipzig GmbH verfolgen wir das Ziel, keine Leiharbeiter mehr in der Produktion zu haben. In Zuffenhausen gibt es auch keine einzige Ansiedlung von beauftragten Unternehmen auf oder vor dem Werksgelände. Das sollte auch für Leipzig unser Langfristziel sein. Letztlich wollen wir in Leipzig dieselben Standards wie in Zuffenhausen.
Bis es so weit ist, verbessern wir im Werk Leipzig die Konditionen der Leiharbeiter in der Produktion. Im Januar haben wir ihre Leistungsprämie von 5 auf 15 Prozent des Grundeinkommens erhöht und damit dem Niveau der Stammkräfte angeglichen.
Damit sind die Leipziger Leiharbeiter den Stamm-Arbeitskräften gleich gestellt?
Fast. Unser Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wird nun nicht nur auf den Grundlohn angewendet, sondern auch auf das Leistungsentgelt. Festangestellte bekommen allerdings – wenn die Arbeitsqualität stimmt – am Quartalsende weitere 10 Prozent als Quartalsbonus.