In Frankreich ist Valeo ein Industrieriese, so bekannt wie hierzulande Bosch. In Deutschland sind die Franzosen, obwohl seit vielen Jahren mit den deutschen Autoherstellern dick im Geschäft, noch weniger bekannt. Das ändert sich allerdings nach und nach. Denn immer öfter taucht der Name in Zusammenhang mit Neuheiten bei Oberklasse-Fahrzeugen wie etwa LED-Matrixscheinwerfern oder Fahrassistenzsystemen auf.
Kurz vor Weihnachten gab Valeo bekannt, sowohl den hessischen Mittelständler Peiker (310 Millionen Euro Umsatz, 1000 Mitarbeiter im In- und Ausland), als auch den bayerischen Weltmarktführer Spheros (250 Millionen Euro Umsatz, 1100 Mitarbeiter) übernehmen zu wollen. Mit Peiker baut Valeo seine Angebotspalette im Bereich Konnektivität aus. Die Hessen gelten als führend im Bereich Bord-Telematiksysteme. Mit Spheros ergänzt Valeo seine Klimatechniksparte. Der Betrieb aus Gilching bei München ist Weltmarktführer im Bereich Klima- und Lüftungssysteme für Omnibusse.
zur Person
Ziems ist seit 1997 Geschäftsführer von Valeo Deutschland.
WirtschaftsWoche: Herr Ziems, mit der Übernahme von Peiker und Spheros ist die Zahl der Valeo-Mitarbeiter in Deutschland auf einen Schlag um knapp 900 auf 5400 gestiegen. Wie viele sollen in diesem Jahr noch dazu kommen?
Alexander Ziems: Wenn die Übernahmen von den Behörden abgesegnet wurden – wir rechnen damit im zweiten Quartal – steht die Integration dieser Mitarbeiter im Fokus. Spheros wie Peiker stärken und ergänzen uns, sind strategisch wichtig. Weitere Akquisitionen sehe ich derzeit nicht. Wir wollen qualitativ wachsen, das hängt nicht von der Anzahl der Mitarbeiter ab. Aber wir stellen kontinuierlich etwa 150 Ingenieure pro Jahr in Deutschland ein.
Valeo unterhält fünf Werke und sechs Forschungseinrichtungen in Deutschland. Bleibt es dabei oder brauchen Sie bald mehr?
Wenn wir alle Standorte – also Montage, Produktion, Forschung und Entwicklung sowie Vertriebsstützpunkte und so weiter dazuzählen – unterhalten wir sogar einige mehr. 2015 haben wir mit der Montage für Frontendträger an zwei deutschen Standorten begonnen. Dazu kommen Forschungs- und Entwicklungsstandorte sowie Verwaltung und Vertriebsstützpunkte. Wir haben einen Kälte- und Klimawindkanal in Hockenheim, nicht zu vergessen unsere Kollegen für den Bereich des Ersatzteilgeschäfts in Ratingen bei Düsseldorf – um nur einige Beispiele zu nennen.
Besonders wichtig ist uns die Forschung und Entwicklung im Bereich autonomen Fahrens. Die Zentrale hierfür ist in Bietigheim-Bissingen. Den dort eben fertiggestellten Neubau müssen wir tatsächlich gleich wieder um drei Stockwerke aufstocken, um alle dann 1000 Ingenieure dort unterzubringen.
Sie rücken Bosch und Continental auf den Pelz...
Wir gehen unseren eigenen Weg. Natürlich stehen wir beim Thema autonomes Fahren im direkten Wettbewerb. Wir haben einen Know-how-Vorsprung und um den zu halten, müssen wir intensiv weiter daran arbeiten. Der Return wird noch einige Jahre auf sich warten lassen. Wir gehen hier mit unseren intensiven F&E Aktivitäten ganz schön in Vorleistung.
Das müssen Sie genauer erklären.
Manches Produkt, das wir heute entwickeln, wird erst 2020 in Serie gehen. Meist kommen hochwertige Sensoren zunächst in Oberklassefahrzeugen mit geringeren Verkaufszahlen zum Einsatz. Bis sich die Entwicklung über die Stückzahlen rechnet, dauert es also.
Über Valeo
Im Jahr 2014 setzte Valeo weltweit 12,7 Milliarden Euro um und investierte mehr als 10 % des Erstausstattungsumsatzes in Forschung und Entwicklung. Valeo betreibt 135 Werke, 16 Forschungszentren, 35 Entwicklungszentren und 15 Vertriebsplattformen und beschäftigt 82.700 Menschen in 30 Ländern weltweit.
Aktien von Valeo werden an der Pariser Wertpapierbörse gehandelt und das Unternehmen gehört zum französischen Leitindex CAC 40.
Komfort- und Fahrassistenzsysteme: Schnittstellensysteme zwischen dem Fahrer, dem Fahrzeug und dem Fahrzeugumfeld. Beispiele: Parkassistent, Spurhalteassistent, Tot-Winkel-Assistent, automatisiertes Fahren.
Antriebssysteme: Antriebssysteme zur Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs und der CO2-Emissionen, auch für Hybrid- und Elektrofahrzeuge
Thermische Systeme: Systeme, Module und Komponenten für das thermische Energiemanagement des Antriebssystems sowie den Fahrzeuginnenraum, sprich Klimaanlagen, Innenraumfilter und Heizsysteme.
Sichtsysteme: Scheibenwischer, Scheinwerfer, Innenraumbeleuchtung
Ist das bei anderen Technologien anders?
Ja. Bei einer Klimaanlage etwa machen sie nicht diese riesigen Entwicklungssprünge wie bei der Sensorik. Lasertechnologie, Radartechnologie, die Kombination von verschiedenen Sensoren sind hochkomplexe Teile, die es so auf dem Markt noch gar nicht gibt. Sie brauchen Jahre bis sie so etwas entwickelt haben. Sie brauchen eine große Mannschaft, die sich teilweise mit noch nicht vorhanden Technologien überlegen muss, wie sie Sensoren für das autonome Fahren entwickeln kann, die unter allen Umstände zuverlässig funktionieren. Diese Aufwendungen sind sehr viel höher als für ein klassisches Produkt wie einen Scheibenwischer zum Beispiel.
Also ist die Sensorik beziehungsweise das autonome Fahren wirtschaftlich für Sie ein höheres Risiko?
Wir glauben alle fest daran, dass das autonome Fahren kommen wird. Man muss nur den Atem haben, durchzuhalten bis es sich auszahlt. Manchmal braucht man dazu – siehe Peiker – aber vielleicht einen Partner, der einem dabei hilft.
"Wir sind mit China nicht unzufrieden"
Im Jahr 2014 Jahr trug das Geschäft mit deutschen Kunden etwa 30 Prozent zum Konzernumsatz von rund 13 Milliarden Euro bei. Welches Ziel haben Sie sich für 2016 gesteckt?
Wir waren 2015 einer der am schnellsten wachsenden Zulieferer weltweit. Das wollen wir auch 2016 schaffen. Wir werden mit Sicherheit schneller wachsen als der Markt – organisch, also auch ohne Zukäufe. Vor allem in den Kernbereichen des autonomen Fahrens und der Einsparung von Kohlendioxid, sehen wir uns hervorragend aufgestellt. Wir investieren immerhin zehn Prozent unseres Umsatzes aus dem Geschäft mit den Autoherstellern in Forschung und Entwicklung. Das ist sehr viel und soll unsere Wettbewerbsfähigkeit für die nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, sicherstellen.
Wie konnten Sie sich 2015 in den einzelnen Regionen behaupten? Kam es zu größeren Verwerfungen?
Größere Verwerfungen kann ich hier nicht erkennen. Brasilien bereitet uns etwas Kopfschmerzen. Das trifft nicht nur auf uns, sondern natürlich auf alle vor Ort produzierende Unternehmen zu. Russland läuft bekanntermaßen schlecht, aber dort sind wir nicht so stark vertreten. Volkswagen hat in China 2015 nicht das erreicht, was sich der Konzern vorgenommen hatte – das trifft uns auch. Unzufrieden sind wir dennoch nicht, weil wir stark auf die chinesischen Hersteller gesetzt haben und die verkaufen derzeit sehr gut.
Werden die chinesischen Hersteller zur ernsthaften Bedrohungen für Volumenhersteller wie Volkswagen?
VW ist in einem Marktsegment aktiv, das von den chinesischen Herstellern massiv attackiert wird. Ich denke, das liegt weniger an der Modellpalette, sondern viel mehr an den Preisen. Wir sehen einen Trend zu "buy chinese", das wird sich unter Umständen künftig auf die Wirtschaft auswirken.
Die größten deutschen Autozulieferer
Freudenberg
Auf Platz 10 schafft es 2017 der Zulieferer mit einem Unternehmensumsatz von 4,21 Milliarden Euro. Das entspricht einer Umsatzsteigerung von 40,1 Prozent zum Vorjahr. Freudenberg liegt damit international auf Platz zwei der Wachstumschampions. Mehr Wachstum konnte nur der chinesische Zulieferer Weichai Power mit 68 Prozent erzielen. Freudenberg beliefert die Automobilindustrie mit Produkten aus den Bereichen Dichtungs- und Schwingungstechnik sowie Vliesstoffe und Filtration. Das Unternehmen steckt aber auch hinter Haushaltsprodukten wie Vileda und O-Cedar.
Quelle: Berylls
Eberspächer
4,48 Milliarden Euro Umsatz machte der Automobilzulieferer 2017. Das sind 3,6 Prozent mehr als 2016. Das Wachstum verdankt Eberspächer insbesondere der steigenden globalen Nachfrage nach Abgasreinigungstechnologien. In dem Geschäftsbereich „Exhaust Technology“ konnte Eberspächer den Umsatz um 4 Prozent auf 3,9 Milliarden Euro steigern.
Brose
Auf Platz 8 der größten Automobilzulieferer Deutschlands liegt Brose. Mit einem Umsatz von 6,31 Milliarden Euro bleibt das Unternehmen aus Coburg international weiterhin auf Platz 40. Brose beschäftigt derzeit 26.000 Mitarbeiter in 23 Ländern und will weiter wachsen. Brose-Chef Kurt Sauernheimer kündigte Zukäufe im Wert von 2,5 Milliarden Euro an.
Hella KG Hueck
In der Automobilsparte bündelt Hella die drei Komponenten Entwicklung, Herstellung sowie Vermarktung. Der Konzern profitierte insbesondere von der hohen Nachfrage nach Licht- und Elektronikprodukten. 2017 erreichte das Unternehmen aus Lippstadt einen Umsatz von 6,39 Milliarden Euro. Seit 2015 ist der Konzern im MDax gelistet.
Thyssen-Krupp Automotive
Mit einer Umsatzsteigerung von 12,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr schafft die Automobilsparte von Thyssen-Krupp 2017 den Sprung unter die 30 größten Zulieferer weltweit. Damit beträgt der Umsatz des Unternehmens 7,73 Milliarden Euro. Zu Thyssenkrupp Automotive gehören weltweit acht Standorte mit 1500 Mitarbeitern.
Schaeffler
Seit 2015 ist der Familienkonzern aus Herzogenaurach noch wenig erfolgreich an der Börse. Dem auf Präzisionstechnik spezialisierten Zulieferer steht derzeit ein großer Umbau bevor, um den Sprung ins Elektrozeitalter zu schaffen. Bisher ist das Unternehmen noch mit rund 50 Prozent vom Verbrennungsmotor abhängig. In Folge des Umbaus werden 950 Stellen wegfallen. Den Umsatz konnte Schaeffler 2017 mit 5,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr steigern und erreicht mit 10,87 Milliarden Euro Umsatz den fünften Platz im Deutschland-Ranking.
Mahle
Das Stuttgarter Unternehmen besteht aus vier Geschäftsbereichen: Motorsysteme und -komponenten, Filtration und Motorperipherie, Geschäftsbereich Thermomanagement, Geschäftsbereich Aftermarket und Division Mechatronik. 2017 machte der Autozulieferer insgesamt 12,78 Milliarden Euro Umsatz (2016: 12, 32 Milliarden).
ZF Friedrichshafen
Auf den vierten Platz schafft es ein deutsches Unternehmen: ZF Friedrichshafen verzeichnet einen Jahresumsatz von 33,53 Milliarden Euro und steigt danke eines Wachstums von 3,6 Prozent um einen Platz auf. 1915 gründete die Zeppelin-GmbH zusammen mit einer Zahnräderfabrik das Unternehmen am Bodensee gegründet mit dem Ziel, Zahnräder nach einer neuen Technologie herzustellen.
Continental
Auch der zweitplatzierte kann seine Vorjahresplatzierung halten. Der 1871 gegründete Konzern entwickelte sich von einem reinen Reifenhersteller zu einem der führenden Automobilzulieferer weltweit: 235.000 Mitarbeiter arbeiten an 400 Standorten in 61 Ländern, seit 2012 wird Conti im Dax gehandelt. Mit einer Beteiligung der Schaeffler Holding in Höhe von 46 Prozent ist Continental ein Schwesterunternehmen der Schaeffler AG. 44,01 Milliarden Euro Umsatz verzeichnete das Unternehmer im 2017 und damit 8,5 Prozent mehr als im Vorjahr.
Bosch
1886 in Stuttgart gegründet, ist Bosch zu einem multinationalen Unternehmen mit 450 Tochtergesellschaften gewachsen. Neben Gebrauchsgütern und Industrietechnik ist Bosch 2004 in den Bereichen Automobilelektronik und -mechatronik erstmals zum weltgrößten Automobilzulieferer gewachsen. 2012 fielen die Deutschen kurzzeitig hinter Denso und Continental Automotive auf den dritten Platz zurück, konnten aber drei Jahre später ihre Spitzenposition zurückgewinnen. Dank eines Wachstums von 7,8 Prozent und einem Jahresumsatz von 47,38 Milliarden Euro bleibt Bosch auch in diesem Jahr auf dem ersten Platz. 2017 war die Automobilsparte für 61 Prozent des gesamten Konzernumsatzes des Unternehmens verantwortlich.
Beunruhigt Sie das?
Nein, wir haben keine so große Abhängigkeit von den westlichen Herstellern wie vielleicht mancher unserer Wettbewerber. Wir haben über Jahre gute Beziehungen zu Herstellern wie Gheely oder Great Wall aufgebaut. Das zahlt sich nun aus. Außerdem behaupten sich beispielsweise die deutschen Hersteller im internationalen Vergleich gesehen weiterhin sehr gut und sind offenkundig im globalen Wettbewerb gut aufgestellt.
Nach den jüngsten Übernahmen, welche Technologien hätten Sie gerne noch unter dem eigenen Dach?
Wenn überhaupt, suchen wir dort nach Verstärkung wo sich optimale Synergien für uns und die aufgekauften Unternehmen ergeben. Aber unser Fokus liegt auf organischem Wachstum. Das gelingt uns sehr erfolgreich, wie wir in den zurückliegenden Jahren bewiesen haben.
Womit die Zulieferer zu kämpfen haben
Immer mehr Innovationen müssen von den Zulieferern selbst kommen. Die Forschungs- und Entwicklungsausgaben steigen dadurch stark an. Die Zulieferer müssen stärker in Vorleistung gehen und tragen damit ein höheres unternehmerisches Risiko.
Die Autokonzerne bauen immer mehr Werke in Asien oder Mexiko. Damit steigt der Druck auf die Zulieferer, ebenfalls in neue Standorte zu investieren.
Global agierende Autokonzerne schreiben ihre Aufträge immer öfter für die weltweite Produktion aus. Viele mittelständische Zulieferer können weder die geforderten Stückzahlen herstellen noch den Konzernen einfach ins Ausland nachfolgen.
Autokonzerne wie PSA und GM bilden immer öfter Einkaufsgemeinschaften, gleichzeitig steigt die Zahl von Modulbaukästen für die identische Teile in sehr hoher Stückzahl benötigt werden. Beides führt dazu, dass der Preisdruck steigt. Die Zahl der Zulieferer, die das leisten kann, sinkt.
Auch der kanadisch-österreichische Zulieferer Magna hat sich voriges Jahr mit dem Kauf eines deutschen Mittelständlers, dem Getriebespezialisten Getrag verstärkt. Sind deutsche Betriebe generell interessantere Akquise-Kandidaten?
In Deutschland haben wir eine ganze Menge mittelständischer Unternehmen mit speziellem, sehr wertvollem Know-how. Die kann man durchaus als Sahnestückchen bezeichnen. Und viele der globalen Unternehmen haben genau daran ein ausgeprägtes Interesse.
Zuliefererindustrie – Fakten und Trends
Die deutsche Autozulieferindustrie setzte 2013 insgesamt 70 Milliarden Euro um, weltweit machten die 300 größten Unternehmen der Branche einen Umsatz von 720 Milliarden Euro.
In Deutschland arbeiten gut 300.000 Menschen für die Zuliefererindustrie. Der Anteil an der Bruttowertschöpfung Deutschlands liegt bei rund vier Prozent.
Bis 2020 entfällt nahezu 80 Prozent des Branchenwachstums auf die Emerging Markets. Dort werden neue Kapazitäten aufgebaut und lokale Lieferanten-Strukturen gebraucht. Die Zulieferer müssen ihre Preise und Produkte diesen Märkten anpassen.
In Europa wird die Nachfrage mittelfristig stagnieren. Ein Glück für die Zulieferer bleibt das weltweit überdurchschnittlich wachsende Premiumsegment. Das dürfte dafür sorgen, dass die Produktion in den nächsten Jahren mindestens stabil bleibt.
In welchem Land sehen Sie derzeit die größte Expertise für Zukunftstechnologien wie automatisiertes Fahren und vernetzte Dienste im Auto?
Ich sehe Deutschland in einer Vorreiterrolle. Die deutschen Autobauer sind in diesem Bereich aufgrund ihrer Modellpalette und Kundenstruktur die Treiber. Auch durch den Ausbau der digitalen Infrastruktur sind hier gute Voraussetzungen vorhanden. Ein gutes Beispiel ist Daimler mit der E-Klasse. Valeo ist einer der Weltmarktführer im Bereich Fahrassistenzsysteme. Erst kürzlich haben wir auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas unser Modell 'Cruise4U' vorgestellt. Das ist ein Fahrzeug, das autonom fahren kann, zum Beispiel auf Autobahnen, in Stausituationen oder im Berufsverkehr. Je nach Verkehrslage kann der Fahrer frei wählen, ob er lieber selbst fährt oder sich sicher und bequem fahren lässt.