Verkehrswende Der Verbrenner-Ausstieg in acht Jahren ist alles andere als eine irre Idee

Quelle: imago images

Lange habe ich ein Verbot neuer Verbrenner für einen Irrweg gehalten. Doch der Boom der E-Autos und das Klimaschutzgesetz schaffen eine neue Situation: 2030 kann und muss Schluss sein mit neuen Benzinern und Dieseln. Ein Kommentar.

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In Deutschland die Verbrenner verbieten? Ganz schlechte Idee, dachte ich lange Zeit. Ich denke es nicht mehr. Marktforscher stellen den Deutschen seit Jahren die Frage, ob sie ein Verbrennerverbot befürworten. Die Umfragen haben immer das gleiche Ergebnis: Nein, die Deutschen wollen kein Verbrennerverbot. Natürlich nicht. Verbote klingen im Allgemeinen unangenehm und im Besonderen – etwa bei unseren liebgewonnenen Autos – oft noch viel unangenehmer. Auch wenn wir um die segensreiche Wirkung von Verboten (Gift im Essen, Pfusch am Bau, Waffen in Schulen) sehr wohl wissen, wollen wir uns erst mal nichts verbieten lassen.

Das ist gut so. Wer Verbote mag, sollte schnell einen Termin beim Psychologen machen, denn da ist irgendwas schief gelaufen in der Kindheit. Aber: Für den, der partout keine Verbote akzeptiert, gilt das gleiche. Manchmal ist das platte Nein die wirksamste Lösung eines Problems, die beste Antwort eines Vaters oder einer Mutter, eines Unternehmens oder einer Gesellschaft auf eine Bedrohung. Man darf verbieten und soll es auch, vorausgesetzt natürlich, es ist wirklich nötig.

Ist es das beim Verbrenner-Pkw? Bei den Dieselautos und Benzinern, die hundert Jahre lang eine kaum verzichtbare Stütze der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung waren? Darüber gibt es in der Ampelkoalition sehr unterschiedliche Auffassungen: Für viele Grünen sind Verbrenner in Zeiten des Klimawandels – nun ja – Gift, Pfusch, Waffen. Die Partei will ein Verbrennerverbot in Deutschland bis 2030. Im SPD-FDP-Lager sind die Verbrenner und vor allem seine Hersteller besser gelitten: Ewig sollen die Autobauer mit den Verbrennern bitte nicht weitermachen, aber wirklich verbieten will man ihnen nichts. Wegen der Arbeitsplätze. Wegen der Freiheit.

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Die Koalitionäre haben sich in ihrem Vertrag deshalb auf eine hübsche Formel geeinigt: „Unser Ziel sind mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw bis 2030.“ Statt eines kontroversen Verbots ein nettes Ziel. Genauso gut könnte man statt eines Zigarettenverbots für Kinder parteiübergreifend frohlocken: „Unser Ziel sind mindestens 95 Lebensjahre für alle, die ab 2030 geboren werden.“ 

Es war schon bei der Vertragsunterzeichnung klar, dass dieser Harmonie-Lack die Risse in der Koalitionskarosserie nicht dauerhaft verbergen wird. Nun, da das EU-Parlament die CO2-Vorgaben für die Autoindustrie für 2030 deutlich verschärfen will, zeigt sich, wie wenig das 15-Millionen-Ziel wert ist. Die Grünen fordern gemeinsam mit dem EU-Parlament eine deutliche Verschärfung (minus 75 Prozent CO2 bis 2030), die FDP beharrt auf der Position der EU-Kommission (minus 55 Prozent). Angeblich soll Kanzler Olaf Scholz (SPD) den Streit zugunsten der FDP entschieden haben. 

Selbst wenn dieser Streit beigelegt sein sollte – es wird nicht der letzte Kampf der Koalitionäre ums Auto gewesen sein. Denn weder gibt es in der Koalition einen konkreten Plan, wie man 15 Millionen E-Autos auf die Straßen bringen will, noch stellt sich die Koalition der Tatsache, dass diese 15 Millionen E-Autos wohl noch nicht mal ausreichen, um die gesetzlich festgeschriebenen Klimaziele bis 2030 zu erreichen. Das hat eine Studie des Wuppertal Instituts im Auftrag von Greenpeace ergeben. Im WirtschaftsWoche-Podcast High Voltage erklärte Studienautor Thorsten Koska, warum es 2030 nicht 15 Millionen, sondern 20 Millionen E-Autos auf deutschen Straßen geben müsste, damit wir die Klimaziele schaffen – warum es aber schwer werden dürfte, auch nur die 15 Millionen zu erreichen. 

Den Podcast mit Thorsten Koska hören Sie hier

Es gibt viele umständliche und teure Wege, wenigstens die 15 Millionen Batterieautos zu schaffen: Noch mehr Geld für Kaufprämien, noch mehr staatlich geförderte Ladeinfrastruktur, noch mehr Steuervorteile für elektrische Dienstwagen, vergünstigten Ladestrom, und, und, und. Oder: einen Verkaufsstopp für nicht emissionsfreie Autos ab 2030. 

Jawohl, ein Verbot! 

Die besten Argumente dafür liefert – die Autoindustrie. Sie lässt zwar noch ihren Verband VDA gegen das Verbrennerverbot kämpfen, weil sie sich möglichst große Freiheiten erhalten will. Das ist verständlich. Doch zugleich tut sie alles, um den Verbrenner bis 2030 zumindest in Deutschland und etlichen anderen Ländern weitgehend zu den Akten legen zu können. In manchen Ländern, etwa in China, könnte die Umstellung wegen fehlender Ladeinfrastruktur einige Jahre länger dauern.

Nehmen wir mal den mit Abstand wichtigsten Player der Branche hierzulande, Volkswagen. Der Konzern hat sich zum Klimaziel von Paris, das Klimaneutralität bis 2050 vorsieht, bekannt und dementsprechend als erster Autobauer schon vor Jahren öffentlich vorgerechnet: Wenn ab 2050 keine Autos mehr CO2 ausstoßen dürfen, dann muss der Verkauf von Verbrennern weltweit 2035 enden (weil Autos rund 15 Jahre alt werden). In Deutschland gilt inzwischen das Klimaschutzgesetz, das Klimaneutralität bis 2045 vorschreibt. Nach Adam Riese muss der Verbrenner-Verkauf dann fünf Jahre früher, also 2030 enden. Das sind keine ökodiktatorischen Hirngespinste, das ist die Gesetzeslage in Deutschland.

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Wer die Meinung der Autoindustrie nicht beim VDA abfragt, sondern bei den Herstellern etwas genauer hinhört, der stellt fest: Ein Verbrenner-Aus rund ums Jahr 2030 ist für viele überhaupt kein Horrorszenario. Die VW-Konzerntochter Porsche etwa will 2030 über 80 Prozent E-Autos verkaufen – weltweit. In Deutschland soll die Quote noch höher sein. Audi will 2033 die Verbrenner-Produktion einstellen und kann sich gut vorstellen, dass in Deutschland noch früher keine Verbrenner mehr verkauft werden. Die Marke VW will 2030 in ganz Europa „über 70 Prozent“ reine E-Autos verkaufen und ab 2033 weltweit die Produktion von Verbrennern einstellen. Auch hier gilt: In Deutschland könnte der Anteil 2030 eher im Bereich von 100 Prozent liegen als im Bereich von 70 Prozent. VW-Chef Herbert Diess hat bereits bekannt: „Wir können ein Verbrennerverbot bewältigen.“ 

Daimler will 2030 in der Lage sein, alle Marktsegmente mit E-Autos abzudecken. Die BMW-Tochter Mini will Anfang der 2030er-Jahre nur noch rein elektrische Autos verkaufen. Die Toyota-Tochter Lexus soll ab 2030 rein elektrisch sein, Renault strebt für 2030 in Europa einen E-Auto-Anteil von mindestens 90 Prozent an. Opel, Citroën und Peugeot wollen sogar schon 2028 zu reinen Elektromarken werden, bei Alfa Romeo soll es bereits 2027 so weit sein. Fiat will ab 2030 nur noch E-Autos verkaufen. Für Ford gilt zumindest in Europa dasselbe. Auch Volvo will 2030 definitiv das Verbrenner-Kapitel beenden. Konkurrent Jaguar Land Rover will schon 2025 zur reinen Elektromarke werden.

Diese Pläne der Autobauer zeigen: Der Verbrenner-Ausstieg in acht Jahren ist alles andere als eine irre Idee. Dem E-Auto gehört die Zukunft, darin sind sich praktisch alle Hersteller einig. Wenn Deutschland Autoland bleiben möchte, muss es die zukünftige Technik nicht irgendwann und irgendwie beherrschen, sondern möglichst als Erster und am besten. Warum sich also nicht mit einem Verbrennerverbot an die Spitze der Entwicklung setzen? Es gäbe dann einen klaren Fahrplan für Hersteller und Autofahrer. Wer als Autofahrer am Verbrenner hängt, könnte sich 2030 nochmal einen neuen Benziner oder Diesel kaufen und ihn 15 Jahre lang fahren. 23 Jahre ab heute sollten zur Entwöhnung nun wirklich ausreichen.

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Wie moderat ein Verbrenner-Verkaufsverbot für das Jahr 2030 wäre, zeigt die Studie des Wuppertal Instituts. Um 2030 die eigentlich notwendigen 20 Millionen E-Autos zu haben, müsste der Verkauf neuer Verbrenner schon 2025 enden. Damit wären Industrie und Verbraucher aber tatsächlich ziemlich überfordert. So müssen wir nun irgendwie versuchen, mit anderen Maßnahmen – etwa mit Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerung – die vorgeschriebenen Ziele zu erreichen.

Das ist die Lage, in die die Autoindustrie sich und das Land gebracht hat, weil sie seit Jahrzehnten Klimaschutz verspricht, aber bei den tatsächlichen Emissionen auf der Stelle tritt. Wenn jetzt noch manche Hersteller wegen eines möglichen Verbrenner-Zulassungsverbots ab 2030 den Untergang des automobilen Abendlandes beschwören, sollten wir mal was Neues probieren: Die Autobauer zur Ausnahme mal nicht über die deutsche Klimaschutzpolitik entscheiden lassen. Denn darin sind sie nachweislich schlecht. Einmal bitte nicht auf die jammernden Kinder hören. Sie jammern immer, wenn ein Verbot droht. Auch wenn es gut ist für sie.

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