Volkswagen Android aus Wolfsburg

VW möchte ein eigenes Betriebssystem für alle Fahrzeuge entwickeln. Quelle: dpa

Wie Volkswagen ein eigenes Betriebssystem für Autos entwickelt, was das mit der geplatzten Kooperation von BMW und Daimler beim autonomen Fahren zu tun hat und warum die Open-Source-Software Linux bald in jedem VW, Audi und Porsche steckt.

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Es war schon ein denkwürdiges Zusammentreffen zweier an sich unabhängiger Ereignisse am Freitagnachmittag um 14:07 Uhr: Seit gerade sieben Minuten hatte Christian Senger, Software-Chef des Volkswagen-Konzerns in Ingolstadt, in einer Online-Übertragung über die Digitalstrategie der Wolfsburger gesprochen, da versandten BMW und Daimler Pressemitteilungen mit einer brisanten Botschaft: Die Kooperation der beiden Autohersteller zur Entwicklung autonomer Fahrzeuge ist gescheitert.

Senger, der auch Vorstand bei der größten Konzernmarke VW und Vorstandschef der neuen VW-Tochter Car.Software.Org ist, berichtete davon, wie VW gerade ein Betriebssystem entwickelt, das bis 2025 stufenweise auf alle Neufahrzeuge aufgespielt werden soll. Weil Software die wichtigste Basis der Produkte ist, will VW sie selbst schreiben und nicht einfach zuliefern lassen. Wenn alles klappt, ist das ein Vorsprung für den Konzern, der gar nicht groß genug eingeschätzt werden kann.

Wenn der größte Autobauer der Welt sein eigenes Betriebssystem auf allen Fahrzeugen einsetzt, ist das nichts anderes, als wenn Samsung zugleich der Entwickler und Besitzer des Betriebssystems Android wäre. Das Betriebssystem von Volkswagen mit dem vorläufigen Namen VW.OS soll eine Software-Basis für jedes Auto aus dem Konzern werden, die Zug um Zug um neue Funktionen – wie etwa das autonome Fahren – erweitert werden kann.

von Martin Seiwert, Annina Reimann

Und BMW und Daimler? Sie verkünden, dass es ihnen nicht gelungen sei, bei der Entwicklung des autonomen Fahrens zusammenzufinden und dass sie lieber in Eigenregie weitermachen wollten: „Nach intensiver Prüfung“ sei man zu dem Ergebnis gekommen, so teilten die Unternehmen mit, „dass angesichts des hohen Aufwands für eine gemeinsame technologische Basis (…) derzeit der richtige Zeitpunkt für eine erfolgreiche Umsetzung der Kooperation nicht gegeben ist.“

Also: Alleingang in München und Stuttgart beim aufwändigsten Entwicklungsthema, das die Branche jemals umtrieb. Aber selbst für einen Marktführer wie Volkswagen ist das Thema weder beherrschbar, noch gäbe es derzeit einen guten Plan, wie sich Selbstfahrfunktionen angesichts des hohen Entwicklungsaufwands rechnen können. Volkswagen tut sich deshalb mit einem starken Partner zusammen: Mit der Ford-Tochter Argo AI, die – anders als die deutschen Autobauer – bei dem Thema schon wirklich weit ist. Nach einem Einstieg mit 2,6 Milliarden Euro hält VW nun 50 Prozent an Argo AI.

VW könnte damit einen Weg gefunden haben, die vielleicht größte technische Herausforderung zu bewältigen. BMW und Daimler dagegen fangen wieder von vorn an. Wie sehr die deutschen Autobauer bei dem Thema schwimmen, zeigen Abläufe rund um die Automobilmesse IAA in Frankfurt im vergangenen Herbst. Eigentlich wollten die Kooperationspartner BMW und Daimler damals verkünden, dass sich die Volkswagen-Tochter Audi ihrem Autonom-Bündnis hinzugesellen werde. Die Verträge waren fast unterschriftsreif, wie die WirtschaftsWoche damals erfuhr. Im Umfeld der Messe hätten sie besiegelt werden sollen. Was passierte? Nichts. Auf den letzten Metern schlugen Audi und der Mutterkonzern eine andere Richtung ein. Das Ergebnis ist bekannt.



VW hat die richtige Entscheidung getroffen. Wenn schon die beiden süddeutschen Konkurrenten sich nicht vertrugen – was damals schon in der Branche bekannt war – dann hätte ein Dritter die Kooperation wohl kaum gerettet. Unter der Führung von Senger haben die Wolfsburger nun einen selbstbewussten Kurs bei Software und IT eingeschlagen: Sieben Milliarden Euro stecken sie in die Car.Software.Org, wo bis Ende des Jahres schon einige Tausend Software-Experten aus den Konzernmarken (Audi, Porsche, VW) zusammengezogen werden sollen und komplettiert werden mit Mitarbeitern aus konzerneigenen Software-Schmieden in USA, China, Indien, Israel. Außerdem sollen hunderte neue Software-Experten angeworben werden.

Die Organisation will eine große, globale Software-Firma werden, eine Aktiengesellschaft, die nicht nur für VW arbeiten soll, sondern offen ist für andere Kunden. Deshalb bekommt die Firma bald einen neuen Namen, wie die WirtschaftsWoche erfahren hat, einen neuen Markenauftritt und auch ihr zentrales Produkt, das Betriebssystem VW.OS, soll bald anders heißen.

Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die Wolfsburger denken groß. Sie wollen – um im Smartphone-Bild zu bleiben – nicht ein Betriebssystem entwickeln, wie Apple es für das iPhone machte, sondern das Android fürs Auto – ein Betriebssystem, das grundsätzlich allen Autoherstellern offensteht. Dabei soll die Software Linux, die als kostenlose Windows-Alternative bekannt ist, eine tragende Rolle spielen, wie Senger verriet. Das Betriebssystem wird sich zunächst auf den E-Autos ID.3 und ID.4 finden, ab 2022 auf den neuen Elektromodellen von Porsche und Audi, ab 2025 dann auf allen Neuwagen des Konzerns. Und, wer weiß, vielleicht auch irgendwann auf einem BMW oder Daimler, wenn die stolzen Premiumhersteller einsehen, dass 2,5 Prozent Marktanteil keine gute Basis für Alleingänge sind.

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