
Audi hat im Rechtsstreit mit einem im Dieselskandal gekündigten Entwicklungsingenieur die Veröffentlichung von Dokumenten zum Hergang der Abgasmanipulation verhindert. Im Verfahren vor dem Arbeitsgericht Heilbronn über die Weiterbeschäftigung des Ingenieurs Ulrich Weiß entschied das Gericht, auf Antrag von Audi als vertraulich deklarierte Unterlagen nur hinter verschlossenen Türen vortragen zu lassen. Auch Erläuterungen des Anwalts zu einer E-Mail von 2012, die auf eine frühe Kenntnis von Audi-Chef Rupert Stadler über zu hohe Schadstoffemissionen von Dieselautos hindeuten, konnte der Anwalt von Weiß, Hans-Georg Kauffeld, nicht vortragen. "Es tut mir Leid, dass die Öffentlichkeit ausgeschlossen war", sagte Kauffeld. Er dürfe zu den vertraulichen Dokumenten keinerlei Angaben machen.
In der Mail informierte ein Mitarbeiter der Entwicklung im Juni 2012 über einen Beschluss in einem Führungsgremium, dem Stadler angehörte, vom April 2012. Im Rahmen der "Clean-Diesel-Strategie" für die USA sei beschlossen worden, "erstmal dreckig bezüglich RDE anzulaufen". RDE ist das Messverfahren von Schadstoffen im normalen Straßenverkehr. Die Abgasmanipulation bestand darin, dass eine Software für gesetzeskonforme Stickoxid-Werte nur auf dem Prüfstand sorgte, während sie auf der Straße weitaus höher lagen. Zum weiteren Zusammenhang dieser Mail wurde nichts bekannt. Ein Audi-Sprecher wollte sich dazu nicht äußern.
Audi fuhr schweres Geschütz gegen den klagenden ehemaligen Entwicklungschef für Dieselmotoren auf. Dieser sei nach seiner Freistellung im November 2015 vergangene Woche fristlos gekündigt worden, weil er im September 2015 über die Abgasmanipulation bescheid gewusst habe, seine Vorgesetzten jedoch nicht informiert habe. Zudem soll Weiß Dokumente selbst vernichtet und seine Mitarbeiter dazu angehalten haben.
Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa
Neue Modelle werden in Deutschland und der EU nach dem Modifizierten Neuen Fahrzyklus (MNEFZ) getestet. Die Tests laufen unter Laborbedingungen, das heißt auf einem Prüfstand mit Rollen. Dies soll die Ergebnisse vergleichbar machen. Der Test dauert etwa 20 Minuten und simuliert verschiedene Fahrsituationen wie Kaltstart, Beschleunigung oder Autobahn-Geschwindigkeiten.
Getestet wird von Organisationen wie dem TÜV oder der DEKRA unter Beteiligung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Dieses untersteht wiederum dem Verkehrsministerium.
Die Prüfungen der neuen Modelle werden von ADAC und Umweltverbänden seit längerem als unrealistisch kritisiert. So kann etwa die Batterie beim Test entladen werden und muss nicht - mit entsprechendem Sprit-Verbrauch - wieder auf alten Stand gebracht werden. Der Reifendruck kann erhöht und die Spureinstellungen der Räder verändert werden. Vermutet wird, dass etwa der Spritverbrauch im Alltag so häufig um rund ein Fünftel höher ist als im Test.
Neben den Tests für neue Modelle gibt es laut ADAC zwei weitere Prüfvorgänge, die allerdings weitgehend in der Hand der Unternehmen selbst sind. So werde nach einigen Jahren der Test bei den Modellen wiederholt, um zu sehen, ob die Fahrzeuge noch so montiert werden, dass sie den bisherigen Angaben entsprechen, sagte ADAC-Experte Axel Knöfel. Zudem machten die Unternehmen auch Prüfungen von Gebrauchtwagen, sogenannte In-Use-Compliance. Die Tests liefen wieder unter den genannten Laborbedingungen. Die Ergebnisse würdem dann dem KBA mitgeteilt. Zur Kontrolle hatte dies der ADAC bei Autos bis 2012 auch selbst noch im Auftrag des Umweltbundesamtes gemacht, bis das Projekt eingestellt wurde. In Europa würden lediglich in Schweden von staatlicher Seite noch Gebrauchtwagen geprüft, sagte Knöfel.
Die EU hat auf die Kritik am bisherigen Verfahren reagiert und will ab 2017 ein neues, realistischeres Prüfszenario etablieren. Damit sollen auch wirklicher Verbrauch und Schadstoffausstoß gemessen werden ("Real Driving Emissions" - RDE). Strittig ist, inwiefern dafür die bisherigen Abgas-Höchstwerte angehoben werden, die sich noch auf den Rollen-Prüfstand beziehen.
Klägeranwalt Kauffeld wies diese Vorwürfe zurück. Weiß selbst erklärte, er habe nur die Order auf einer Krisensitzung mit dem VW-Vorstand am 20. September 2015 kurz nach Auffliegen des Skandals weitergegeben, nach der keine E-Mails mehr zum Thema Dieselmotor ausgetauscht werden sollten, da eine Untersuchung der Behörden ins Haus stehe. Die Abgasmanipulation habe Motoren aus der Zeit vor dem Antritt von Weiß als Audis Motorenentwicklungschef im März 2012 betroffen, erklärte Kauffeld.
"Er sollte neue Motoren entwickeln, er hatte damit nichts zu tun", sagte der Anwalt. Die Unschuld des Ingenieurs soll auch eine Gesprächsnotiz zu einem Treffen von Weiß mit Stadler kurz nach der Beurlaubung des Ingenieurs beweisen. Der Audi-Chef habe ihm gegenüber erklärt, er habe Weiß auf Druck von Vorstand und Aufsichtsrat der Audi-Mutter Volkswagen suspendieren müssen. Auf die Frage, ob Weiß sich deshalb als "Opfer" betrachten könne, habe Stadler entgegnet: "Da ist was Wahres dran."
Ein Audi-Sprecher wollte auch zu diesen Angaben nicht Stellung nehmen. Alle Äußerungen Stadlers zu der Affäre seien im - weitgehend geheimgehaltenen - Bericht der Kanzlei Jones Day enthalten. Allerdings erklärte er, Audi prüfe im Zusammenhang mit Vorwürfen im Arbeitsgerichtsprozess von Weiß eine Strafanzeige gegen Unbekannt wegen falscher Verdächtigungen und Verrat von Betriebsgeheimnissen. Gegen "Unbekannt" sei die Anzeige geplant, weil die Herkunft der von Weiß eingereichten Dokumente nicht bekannt sei.
In einer Vorentscheidung am Landesarbeitsgericht Stuttgart zur Eilbedürftigkeit der Klage hatte der Ingenieur bereits in der vergangenen Woche Medienberichten zufolge unter Berufung auf Dokumente erklärte, Stadler habe 2012 schon gewusst, dass in den USA verkaufte Fahrzeuge nicht den Vorschriften entsprächen. Arbeitsrichter Carsten Witt war nun darauf bedacht, den Prozess nicht zu einer "politischen Generalabrechnung" ausufern zu lassen. Die Entscheidung über die Weiterbeschäftigung von Weiß soll am 10. März fallen. Eine gütliche Einigung schlugen die Anwälte der Kanzlei Bluedex, die Audi vertraten, angesichts einer von Weiß geforderten Summe von sechs Millionen Euro aus.
VW hat für die rund 80.000 Fahrzeuge mit den manipulierten Drei-Liter-Motoren von Audi in den USA einen Vergleich mit Privatklägern und Behörden über 1,22 Milliarden Dollar erzielt. Zusammen mit dem schon früher geschlossenen Vergleich zu rund einer halben Million Dieselautos mit Zwei-Liter-Motoren belaufen sich die Kosten für "Dieselgate" in den USA auf bis zu 22 Milliarden Euro. Weltweit sind rund elf Millionen Fahrzeuge mit einer Software unterwegs, die dafür sorgt, dass die Wagen nur auf dem Prüfstand die Abgasgrenzwerte einhalten.