Volkswagen Das schrumpfende Reich des Weltkonzerns

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Die deutsche Konkurrenz profitiert

Sie blitzten ab. „Der Verkäufer wusste noch weniger über die Betrugsaffäre als wir“, sagt Spindel heute. Also wandte sich das Paar per Post an den Weltkonzern. Auf ihr Schreiben folgte die postalische Entschuldigung für das „missbrauchte Vertrauen“: ein standardisierter Brief, unterschrieben von Michael Horn. Der damalige US-Chef versprach, es sei „sicher und legal“, mit einem Diesel zu fahren. Horn musste mittlerweile einem anderen Manager weichen.

Und Carol Spindel sagt heute: „Unser Volkswagen ist nicht sicher. Er verpestet das Klima, und sein enormer Abgasausstoß kann zu schweren Gesundheitsschäden führen.“ VW soll ihren Wagen so umbauen, dass er die Verbrauchs- und Abgasnorm hält – oder den Golf zurücknehmen, zum Neupreis von 28 800 Dollar. Das Ehepaar hat einen Anwalt engagiert. Auf dem Heck seines Golfs klebt jetzt ein großer Aufkleber. Darauf das VW-Logo und der Schriftzug „Das Fraud“: „Der Betrug.“

Der VW-Konzernvorstand

Der Aufkleber ist in den USA dieser Tage 1000-fach zu sehen. Seit der Skandal ans Licht kam, liegen die Absatzzahlen deutlich unter Plan. Im Mai verkauften fast alle Hersteller in den USA mehr Autos – nur bei VW gingen die Verkäufe um 17,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat zurück. Tom Bassett jedenfalls schämt sich inzwischen für den VW. Kaufen will er keinen mehr.

Auch in Japan kippt die Stimmung. Ein Werktag in Roppongi, Tokios Amüsierviertel. Im Showroom des größten VW-Händlers im Land mangelt es auch heute nicht an Passanten. Sie schlendern an den blitzblank polierten Ausstellungsmodellen vorbei, setzen sich ans Steuer von Polo, Golf, Passat, Touran. Shogo Okamoto lächelt freundlich, aber er lässt sich nichts vormachen: Die Japaner gucken nur, sie kaufen nicht. Jetzt nicht mehr. Der VW-Absatz in Japan lag im ersten Quartal fast ein Viertel unter dem Vorjahr.

Erstmals seit Jahren ist nicht VW, sondern Mercedes absatzstärkste Auslandsmarke. Unter den Importmarken sank der Anteil von VW im ersten Quartal gar um ein Drittel auf 14 Prozent (Mercedes 19 Prozent). Das ist auch deshalb niederschmetternd, weil der Anteil importierter Pkws in Japan gerade mal bei elf Prozent liegt. Noch immer stammt fast jedes zweite Auto, das in Japan verkauft wird, von Toyota. Umso schmerzlicher der Verlust der Marktführung bei den Importeuren: „Das war immer ein gutes Verkaufsargument“, sagt Okamoto: Die Mehrwertsteuererhöhung vor zwei Jahren und hohe Unterhaltskosten für ein Auto in Japan machen ihm in seinen 15 Filialen zu schaffen, sagt der 50-Jährige, der vor zehn Jahren von Mazda zu VW kam – und seinen Wechsel heute bereut. Aber härter als alles andere trifft ihn Dieselgate. Nach Bekanntwerden des Skandals gab es sofort Stornierungen, der Absatz brach um die Hälfte ein. Im Mai reagierte der neue VW-Chef Till Scheer auf den schwachen Verkauf mit einer Preissenkung von bis zu 1300 Euro für den Golf. Ob’s hilft?

Viele Leute seien nachhaltig schockiert, sagt Okamoto: „Der Skandal erschüttert das große Vertrauen der Japaner in das VW-Emblem.“ Die Marke hatte in Japan, wo etwa 650 000 VW zugelassen sind und sich der Marktanteil auf zwei Prozent belief, einen Ruf von Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Ihre Fahrzeuge sind als sukoshi ii mono, als ein „bisschen bessere Produkte“, zwischen japanischen Autobauern und ausländischen Premiummarken positioniert. „VW ist besser und cooler als Toyota, aber nicht so auffällig wie BMW“, erläutert Okamoto.

Im Konzern regiert die Angst

Kurzum: Wer sich als Japaner für Importautos interessierte, landete in den vergangenen Jahren fast zwangsläufig bei VW. Nun aber hat sich der Marktanteil halbiert. Und das macht den stolzen Händlern zu schaffen, die von Provisionen leben und der Marke ein freundliches Gesicht geben sollen. 10 der 80 Verkäufer in Tokios 15 VW-Salons haben die Konsequenzen gezogen und sind zur Konkurrenz gewechselt.

Und so fressen sich Enttäuschung und Wut von außen ins Innere des Konzerns. Vergrätzte Kunden sind das eine. Sie wirken sich unmittelbar negativ auf die Bilanz aus. Aber mit viel Mühe lässt sich das vielleicht reparieren. Enttäuschte Verkäufer wie Okamoto oder missgelaunte Mitarbeiter sind da schon gefährlicher für ein Unternehmen. Wenden sie sich ab, geht der Firma die Seele verloren. Deswegen hallt es bis Wolfsburg, wenn Matías Carnero in Spanien sagt: „Ich verstehe nicht, warum für den Skandal noch immer niemand im Gefängnis sitzt. Das ist Betrug.“

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