
Der Rollenprüfstand der Dekra in Klettwitz? Ausgebucht bis Mitte November. Der Prüfstand im Abgaslabor des TÜV Süd in Heimsheim? Ausgebucht auf Wochen. Der Skandal um manipulierte Abgaswerte von VW-Dieselmotoren stößt in eine neue Dimension vor: Im Auftrag von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt testen alle Prüfkonzerne gerade unter höchster Geheimhaltung für das Kraftfahrtbundesamt das Abgasverhalten von über 50 Dieselautos aller Hersteller. Für den Check wurde ein spezieller Fahrzyklus entwickelt, die Tests selbst finden auf dem Prüfstand sowie im Straßenverkehr statt.
Die in dieser Form einmalige Aktion ist Ausdruck offenkundigen Misstrauens der Politik. Denn sie soll herausfinden, ob die Hersteller Vorrichtungen in die Motorensteuerung eingebaut haben, die den Ausstoß von Schadstoffen nach unten manipulieren. Gleichzeitig soll der Großtest feststellen, um wie viel der Ausstoß im Straßenverkehr über den Messwerten auf dem Prüfstand liegt. Die EU-Kommission plant für die nächste Stufe der Abgasnorm, die 2017 in Kraft tritt, mit einem Faktor von 1,8.
Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa
Neue Modelle werden in Deutschland und der EU nach dem Modifizierten Neuen Fahrzyklus (MNEFZ) getestet. Die Tests laufen unter Laborbedingungen, das heißt auf einem Prüfstand mit Rollen. Dies soll die Ergebnisse vergleichbar machen. Der Test dauert etwa 20 Minuten und simuliert verschiedene Fahrsituationen wie Kaltstart, Beschleunigung oder Autobahn-Geschwindigkeiten.
Getestet wird von Organisationen wie dem TÜV oder der DEKRA unter Beteiligung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Dieses untersteht wiederum dem Verkehrsministerium.
Die Prüfungen der neuen Modelle werden von ADAC und Umweltverbänden seit längerem als unrealistisch kritisiert. So kann etwa die Batterie beim Test entladen werden und muss nicht - mit entsprechendem Sprit-Verbrauch - wieder auf alten Stand gebracht werden. Der Reifendruck kann erhöht und die Spureinstellungen der Räder verändert werden. Vermutet wird, dass etwa der Spritverbrauch im Alltag so häufig um rund ein Fünftel höher ist als im Test.
Neben den Tests für neue Modelle gibt es laut ADAC zwei weitere Prüfvorgänge, die allerdings weitgehend in der Hand der Unternehmen selbst sind. So werde nach einigen Jahren der Test bei den Modellen wiederholt, um zu sehen, ob die Fahrzeuge noch so montiert werden, dass sie den bisherigen Angaben entsprechen, sagte ADAC-Experte Axel Knöfel. Zudem machten die Unternehmen auch Prüfungen von Gebrauchtwagen, sogenannte In-Use-Compliance. Die Tests liefen wieder unter den genannten Laborbedingungen. Die Ergebnisse würdem dann dem KBA mitgeteilt. Zur Kontrolle hatte dies der ADAC bei Autos bis 2012 auch selbst noch im Auftrag des Umweltbundesamtes gemacht, bis das Projekt eingestellt wurde. In Europa würden lediglich in Schweden von staatlicher Seite noch Gebrauchtwagen geprüft, sagte Knöfel.
Die EU hat auf die Kritik am bisherigen Verfahren reagiert und will ab 2017 ein neues, realistischeres Prüfszenario etablieren. Damit sollen auch wirklicher Verbrauch und Schadstoffausstoß gemessen werden ("Real Driving Emissions" - RDE). Strittig ist, inwiefern dafür die bisherigen Abgas-Höchstwerte angehoben werden, die sich noch auf den Rollen-Prüfstand beziehen.
Zwar hält das Kraftfahrtbundesamt Zwischenergebnisse der Felduntersuchung unter Verschluss. Für Dekra-Vorstand Clemens Klinke steht die Schlussfolgerung, die sich aus den Manipulationsmöglichkeiten in der Motorensteuerung ergibt, aber schon fest: Statt bei der regelmäßigen Hauptuntersuchung nur den digitalen Fehlerspeicher im On-Board-Diagnose-System auszulesen, müssten die Schadstoffwerte wieder im Auspuff des Autos gemessen werden. „Nur so lässt sich feststellen, ob etwa ein Rußfilter ordentlich arbeitet“, so Klinke.
Weiterer Top-Manager beurlaubt
Auch im VW-Konzern selbst zieht die Abgasaffäre Kreise. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig befragt aktuell über ein Dutzend Ingenieure aus dem Umfeld des beurlaubten VW-Entwicklungsvorstands und früheren Leiters der Konzern-Aggregateentwicklung, Heinz-Jakob Neusser. Unter ihnen ist auch Falko Rudolph, der Vater des Skandal-Dieselmotors mit der Typbezeichnung EA189. Ermittlungsverfahren laufen allerdings noch keine – mit einer Ausnahme.
Laut einem Bericht der „Bild am Sonntag“ ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen Hanno Jelden, der bislang Leiter der Antriebstechnologie war. Der Top-Manager musste seinen Schreibtisch offenbar schon räumen. Jelden stehe unter Verdacht, die Motor-Software so umprogrammiert zu haben, dass die vorgeschriebenen Grenzwerte auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten. Bei der internen Befragung habe Jelden zudem auch nicht verraten, wer in der Vorstandsetage von den Manipulationen gewusst habe.
Der VW-Abgas-Skandal im Überblick
Die US-Umweltbehörde EPA teilt in Washington mit, Volkswagen habe eine spezielle Software eingesetzt, um die Messung des Schadstoffausstoßes bei Abgastests zu manipulieren. In den Tagen darauf wird klar, dass weltweit Fahrzeuge von VW und der Töchter betroffen sind – darunter auch Audi und Porsche. Die VW-Aktie bricht ein.
VW-Chef Martin Winterkorn tritt nach einer Krisensitzung der obersten Aufseher zurück. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig prüft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen VW. Anlass dafür seien auch eingegangene Strafanzeigen von Bürgern, heißt es.
Der VW-Aufsichtsrat tagt. Nach langer Sitzung beruft das Gremium Porsche-Chef Matthias Müller zum neuen Konzernchef und trifft einige weitere Personal- und Strukturentscheidungen. Verantwortliche Motorenentwickler werden beurlaubt.
Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen. Entgegen einer ersten Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Braunschweig gibt es keine Ermittlungen gegen Ex-Chef Martin Winterkorn persönlich.
Das Aufsichtsrats-Präsidium beschließt, Hans Dieter Pötsch per registergerichtlichen Anordnung in den Aufsichtsrat zu berufen. Das ist möglich, weil mehr als 25 Prozent der Aktionäre Pötsch favorisiert haben. Die Familien Porsche und Piëch, die Pötsch gegen die Bedenken des Landes Niedersachsens und der Arbeitnehmer durchgesetzt haben, halten über die Porsche SE rund 52 Prozent der VW-Anteile. Julia Kuhn-Piëch, die erst dieses Jahr nach dem Rücktritt von Ferdinand und Ursula Piëch in das Kontrollgremium aufgerückt war, verlässt den Aufsichtsrat wieder.
Es ist klar, dass die betroffenen VW-Fahrzeuge in die Werkstatt müssen, damit die Schummel-Software verschwindet. Bei einigen Motorenwerden die Techniker selbst Hand anlegen müssen. Eine Rückruf-Aktion, so wird es am nächsten Tag bekannt werden, soll 2016 starten. Die geschäftlichen und finanziellen Folgender Krise sind nicht absehbar. Die Kosten der Abgas-Affäre werden jedoch enorm sein. Der neue Chef muss sparen: "Deshalbstellen wir jetzt alle geplantenInvestitionen nochmal auf denPrüfstand", kündigt Müller an.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnet einen verpflichtenden Rückruf aller VW-Dieselautos mit der Betrugssoftware an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,4 Millionen Wagen in die Werkstatt. VW hatte eine freiwillige Lösung angestrebt.
Der Skandal beschert dem Konzern im dritten Quartal einen Milliardenverlust. Vor Zinsen und Steuern beläuft sich das Minus auf rund 3,5 Milliarden Euro.
Der Skandal erreicht eine neue Dimension. VW muss - nach weiteren Ermittlungen der US-Behörden - einräumen, dass es auch Unregelmäßigkeiten beim Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) gibt. Rund 800.000 Fahrzeuge könnten betroffen sein. Die VW-Aktie geht erneut auf Talfahrt.
Der Diesel-Skandal in den USA weitet sich aus. Erneut. Es seien mehr Drei-Liter-Diesel der Marken Volkswagen und Audi betroffen, als bislang angenommen, erklärt die US-Umweltbehörde EPA. Die Autobauer bestreiten dies zunächst. Wenige Tage später, am 24. November, müssen sie allerdings einräumen, ein sogenanntes „Defeat Device“ nicht offengelegt zu haben. Die Software gilt in den USA als illegal.
Die Auswirkungen des Skandal zwingen VW zudem zum Sparen: VW fährt die Investitionen für das kommende Jahr runter. 2016 sollen die Sachinvestitionen um eine Milliarde Euro verringert werden. „Wir fahren in den kommenden Monaten auf Sicht“, sagt VW-Chef Müller. Weitere Ausgaben bleiben auf dem Prüfstand.
Neuer Ärger für Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt nun auch wegen mögliche Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit falschen CO2-Angaben. Die könnten dazu geführt haben, dass zu wenig Kfz-Steuer gezahlt wurde.
Zumindest etwas Positives für die Wolfsburger: Zur Nachrüstung der millionenfach manipulierten Dieselmotoren mit 1,6 Litern Hubraum in Europa reicht nach Angaben von Volkswagen ein zusätzliches, wenige Euro teures Bauteil aus. Bei den 2,0-Liter-Motoren genügt ein Software-Update. Das Kraftfahrtbundesamt genehmigt die Maßnahmen. Auch wenn VW keine Angaben zu den Kosten macht – es hätte schlimmer kommen können.
Wie die „Bild am Sonntag“ weiter schreibt, habe Jelden nicht den ehemaligen Konzernboss Martin Winterkorn persönlich informiert – angeblich entlasten interne Revisionsberichte Winterkorn. Er habe erst wenige Tage bevor die US-Umweltbehörde Mitte September den Skandal publik machte von der Schummel-Software erfahren. Zwar wusste Winterkorn offenbar über Probleme bei den Abgas-Werten Bescheid, dass eine illegale Software verwendet wurde, sei ihm hingegen unbekannt gewesen.
Porsche-Betriebsrat Hück lehnt Kürzungen ab
Wie viel VW-Besitzer gegen Europas größten Autobauer mobil machen, lässt sich indes noch nicht absehen. Allein bei der Anwaltskanzlei Dr. Stoll & Sauer in Freiburg sind bisher rund 2000 Anfragen Betroffener eingegangen. Von ihnen drängen diejenigen, die 2013 oder später ein Dieselfahrzeug erworben haben, VW offenbar erfolgreich zur Verlängerung der Gewährleistungsfrist. „In Einzelfällen haben wir bereits beim Händler einen Verjährungsverzicht erwirkt“, sagt Kanzleimitglied Christian Grotz. Gleichzeitig verklage er Volkswagen wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, damit der Konzern für alle Kosten aufkommt.
Um eine Ausweitung des Skandals und der bei VW geplanten Sparmaßnahmen auf unschuldige Töchter zu verhindern, zieht Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück schon mal eine rote Linie: „Die Boni für die Porsche-Beschäftigten werden nicht angetastet.“ Was „einige Deppen bei VW“ zu verantworten hätten, dürfe nicht zulasten der Belegschaft gehen. Auch Investitionskürzungen lehnt Hück ab: „Es macht keinen Sinn, kerngesunde Töchter krank zu machen.“