Volkswagen Diess nervt. Aber Diess hat recht.

Herbert Diess, VW-Chef, hält eine Rede. Quelle: imago images

Viele bei Volkswagen sind es leid, sich andauernd an Tesla messen lassen zu müssen. Sie wünschen sich in bessere Zeiten zurück, ohne Störenfried Herbert Diess. Nichts könnte falscher sein. Ein Kommentar.

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„Tesla, Tesla, Tesla, immer Tesla!“ Wer mit VW-Managern spricht, bekommt diesen und ähnliche Sätze ständig zu hören. Bei Volkswagen ist man es leid, mit dem US-Konkurrenten verglichen zu werden – vor allem, weil es ausgerechnet der eigene Chef ist, der Tesla ständig wie einen Heiligen vor der Belegschaft aufpflanzt.

Die Tesla-Verehrung von VW-Chef Herbert Diess reißt schmerzhafte Furchen in das Selbstverständnis der VWler. Unter Diess‘ Vor-Vorgänger Martin Winterkorn galten sie noch als die Besten der Besten, bauten schlicht „Das Auto“. Und jetzt sagt ihnen der eigene Chef, sie seien diesem winzigen Elektroautohersteller aus den USA vielleicht nicht gewachsen. Echt jetzt? 

Diess nervt. Aber Diess hat recht. Das neue Maß aller Dinge ist nicht Größe, nicht Erfahrung, nicht Tradition. Das alles hindert oft eher. Beim E-Auto muss alles neu gedacht werden und da hat es ein Tesla, der von null anfängt, viel leichter. Ein Beispiel: Wegen der überbordenden Vielfalt von Fahrzeug- und Ausstattungsvarianten sei es für Hersteller wie VW kaum möglich, die Geschwindigkeit und das Kostenniveau von Tesla zu erreichen, sagt Martin Bednarz, Professor für Automobilproduktion. Tesla habe eine konsequent auf Produktionseffizienz hin entwickelte Fahrzeugarchitektur, müsse bei der Planung nicht auf bestehende Fabrik- und Personalstrukturen Rücksicht nehmen, sondern könne auf einem weißen Blatt Papier anfangen. Alles in allem, sei das ein deutlicher Vorsprung in der Produktion. Die etablierten Autohersteller müssten ihre Kostenstrukturen sehr schnell angehen, warnt der Experte. Denn: „Wer es jetzt nicht anpackt, hat in ein paar Jahren nichts mehr, was er anpacken könnte.“ 

Ist es so schlimm? Absolut. Vor allem bei VW. Die vielen Fahrzeugvarianten, die Tatsache, dass bei all den Marken des Konzerns viele Arbeiten doppelt und dreifach gemacht werden, die ganze Komplexität des 663.000-Mitarbeiter-Kolosses, dient vor allem einem: Jobs. Das ist wenig überraschend bei einem Unternehmen, bei dem der Betriebsrat eigentlich das Sagen hat, weil er bei jeder geplanten Sparmaßnahme die siebte Kavallerie aus Hannover rufen kann. Das Land Niedersachsen hält 20 Prozent an VW, hat zusätzliche Sonderrechte als Aktionär (VW-Gesetz) und denkt bei Sparmaßnahmen zuvorderst an die Jobs in Niedersachsen und an die nächste Wahl. 

Das funktioniert, aber nur, solange es keinen Angreifer gibt, der unternehmerisch frei entscheiden kann, der technisch besser ist, der keinen Ballast der Vergangenheit mit sich herumschleppt und der in Kürze ein funkelnagelneues Werk in Brandenburg in Betrieb nimmt. 2022 und in den Folgejahren kommt die erste echte Nagelprobe für den VW-Konzern. Wer Jobs bei VW sichern will, muss deshalb fragen: Kann VW auch Tesla? Und wie viele Jobs sind übrig, wenn VW irgendwann Tesla kann? 

Genau das hat VW-Chef Herbert Diess getan, was bei Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil nostalgische Gefühle auslöst: Er wünscht sich Diess' Vorgänger Martin Winterkorn zurück. Der sei wenigstens „vernünftig“ gewesen, sagte der Ministerpräsident unlängst im VW-Aufsichtsrat. Martin Winterkorn? Der VW-Chef, unter dessen Ägide der existenzbedrohende Dieselskandal heranreifte? Die Sehnsüchte des Ministerpräsidenten sind nachvollziehbar: Unter Winterkorn wurde die Belegschaft immer weiter aufgebläht, ihr wurde erzählt, wie toll sie und ihre Dieseltechnik seien und dass die ungewöhnlich mächtige Stellung des Betriebsrats und das Zutun des Großaktionärs Niedersachsen diesen Welterfolg erst möglich machten. So was kommt an beim niedersächsischen Wahlvolk. 



In der Politiker-Logik ist vieles vernünftig. Aber Volkswagen ist keine Partei, sondern ein Unternehmen. Vernünftig geht da anders. Jetzt ist der schlimmste Sturm bei VW erst mal vorüber, der Machtkampf für eine Weile beigelegt. Eine schöne Gelegenheit wäre das für Herrn Weil, in sich zu gehen, vernünftig zu werden und dann Diess nicht länger daran zu hindern, die richtigen Dinge anzupacken. Das wäre wichtig. Denn sonst hat der niedersächsische Ministerpräsident in zehn, fünfzehn Jahren nichts mehr, was man – vernünftig oder nicht – in Wolfsburg anpacken könnte. Aber weil dieser Ministerpräsident aller Voraussicht nach nicht Weil heißen wird, wird das nicht passieren. Weil schaut jetzt ganz vernünftig auf den 9. Oktober 2022, an dem die Landtagswahlen in seinem Bundesland stattfinden. 

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