Volkswagen in China „Bei E-Autos sind einige chinesische Anbieter mindestens gleichauf“

Volkswagens Mann in China: Stephan Wöllenstein. Quelle: Presse

Volkswagens China-Chef Stephan Wöllenstein erklärt, warum es für den Autobauer in China gerade nicht rund läuft und was die dortigen Hersteller besser können als die deutschen. 

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Volkswagen gerät auf seinem wichtigsten Absatzmarkt China unter Druck, denn inländische Wettbewerber haben technologisch aufgeholt, zeigt eine WirtschaftsWoche-Analyse. Wie steht der Konzern dazu? Fragen an China-Chef Stephan Wöllenstein.

WirtschaftsWoche: Herr Wöllenstein, in diesen Tagen starten die Olympischen Spiele in China. Warum ist Volkswagen kein Sponsor? Wäre Ihnen das angesichts der Diskussionen um Menschenrechtsverletzungen in China zu heikel gewesen?
Stephan Wöllenstein: Volkswagen konzentriert seine Sponsoring-Aktivitäten vor allem auf Fußball, der Nummer-eins-Sportart in vielen Märkten. Daher stand ein Sponsoring-Engagement bei den Olympischen Spielen für Volkswagen nie zur Diskussion. Grundsätzlich glauben wir aber, dass Sport Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenbringt und den Dialog zwischen den Ländern und Völkern der Welt fördern kann.

Die Vereinten Nationen haben VW-Chef Herbert Diess im vergangenen Jahr angeschrieben, weil ihnen Informationen über mögliche Menschenrechtsverletzungen in chinesischen Werken von VW oder bei dortigen Zulieferern vorlagen. Ist da was dran?
Für alle Angestellten und alle Werke in China gelten strenge Compliance-Maßstäbe. Wir haben die Situation gründlich untersucht und konnten keinerlei Verstöße gegen unsere Regeln feststellen. Unsere Zulieferer geben die Verpflichtung ab, dass sie sich an die Verhaltensgrundsätze unseres Code of Conduct für Geschäftspartner halten. Das wird stichprobenartig auch überprüft. Wird damit das letzte Risiko ausgeschlossen? Nein, sicherlich nicht. Aber wenn der Volkswagen-Konzern von Vorwürfen erfährt, geht er diesen sofort nach. Schwerwiegende Verstöße wie beispielsweise Zwangsarbeit würden zur Kündigung des Zulieferer-Vertrags führen.

Zur Person

Das VW-Werk, das vor allem in der Kritik steht, befindet sich in der Region, in der China die Minderheit der Uiguren unterdrückt. Die USA sprechen sogar von Völkermord. Das Werk ist sehr weit entfernt von allen anderen VW-Werken, ganz isoliert im Westen des Landes. Es hat den VW Santana produziert, der ohnehin eingestellt wird. Warum schließen Sie das Werk nicht einfach?
Grundsätzlich gilt: Wir können und wollen Werke nicht über Nacht errichten oder schließen. Unsere Investitionen sind für Jahrzehnte ausgerichtet und wir tragen die Verantwortung für unsere Mitarbeiter vor Ort. Das gilt auch für das Werk unseres Joint Venture in Urumqi, bei dem wir weiterhin von einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung im Westen Chinas ausgehen. Der Volkswagen-Konzern hält sich eng an die „Guiding Principles on Business & Human Rights“ der Vereinten Nationen. Das Thema Wirtschaft und Menschenrechte ist ein fester Bestandteil unseres Code of Conduct. Als Unternehmen ist es unsere Aufgabe sicherzustellen, dass in diesem Joint-Venture-Werk Standards und Vorgaben genauso umgesetzt werden, wie an den anderen 32 Standorten in China. Unsere Joint-Venture-Partner haben jeweils ihren eigenen Code of Conduct, der an den unseren angelehnt ist.

Sie sind als VW-Manager nun seit über zehn Jahren in China. Können Sie mit der Regierung über solche Themen offen reden? Oder gefährden Sie damit den wichtigsten Absatzmarkt Ihres Konzerns? 
Man kann Dinge ansprechen und das tun wir auch.

Ihre Zeit als VW-China-Chef endet im Sommer. So politisch, wie das China-Geschäft ist, hätten Sie eigentlich beste Karten, der deutsche Botschafter in Peking zu werden. Haben Sie sich schon im Auswärtigen Amt beworben?  
Nein, sicher nicht. In meiner langen Zeit hier in China habe ich aber die Erfahrung gemacht, dass man als Unternehmen manchmal helfen kann, Kommunikationskanäle offen zu halten, wenn der politische Dialog schwieriger wird.

Trotzdem machen wir jetzt mal den Botschafter-Test: Was halten Sie vom Dalai Lama? 
Persönlich habe ich dazu eine Meinung, die gehört aber nicht in die Öffentlichkeit. Als Unternehmen äußern wir uns zu politischen Themen nur dann, wenn sie unser Geschäft berühren. Wir stehen als global agierendes Unternehmen für individuelle Freiheit, faire Arbeitsbedingungen, offenen Welthandel, ökonomische Entwicklung, friedliches Miteinander und verurteilen jede Art von Diskriminierung.

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Volkswagen mag darüber hinaus auch Wachstum und Gewinne. Damit hat es zuletzt in China nicht so gut geklappt
Das Jahr 2021 war ohne Zweifel ein sehr schwieriges für den Konzern. Wir hatten allerdings kein Nachfrage- sondern ein Angebotsthema. Die Auswirkungen der anhaltenden weltweiten Lieferengpässe bei Halbleitern, die insbesondere unsere Volumenmarken seit dem zweiten Quartal stark betroffen haben, haben unsere Produktion stark beeinträchtigt. Darüber hinaus belastete ein lokaler Covid-19-Lockdown in unserem Werk in Ningbo zusätzlich, was im Dezember zu massiven Lieferausfällen führte. Bei den Elektroautos der ID.-Familie lief es sehr gut bis in den September, bis dahin haben wir unsere Verkäufe monatlich quasi verdoppelt. Aber ab dem vierten Quartal waren dann auch die ID.s von Halbleiterengpässen und Covid-19-bedingten Werksschließungen betroffen, sonst wären wir bei den Elektroautos sicher unter den Top 5. So sind wir aber auf dem sechsten Platz gelandet und haben insgesamt 3,3 Millionen Autos, also Verbrenner und E-Autos, in China ausgeliefert.

Und wie geht es weiter? 
Die Halbleitersituation bleibt angespannt. Aber wir rechnen fest damit, im Jahr 2022 wieder mehr Halbleiter zu bekommen und somit wenigstens das Niveau von 2020 zu erreichen. Wir wollen die 19 oder 20 Prozent Marktanteil, die wir in den Jahren vor Covid-19 hatten, auch in der Zukunft halten. Gelingen wird das nur mit entsprechenden Anstrengungen. Wir haben dafür schon die Weichen gestellt.

Autobauer sind nicht mehr gezwungen, Fabriken in China im Joint Venture mit einem chinesischen Unternehmen zu betreiben. In diesen Joint Ventures konnte China von den Partnern lernen – böse Zungen sagen: Know-how abgreifen, Technik kopieren. Sind die Joint Ventures nicht mehr Pflicht, weil die chinesischen Firmen jetzt alles können, was sie brauchen? 
Die Joint Ventures waren eine wesentliche Entscheidung  im Rahmen der Öffnung des Landes Ende der 1970er-Jahre. China konnte sich dadurch nachhaltig entwickeln. Und letztlich haben beide Seiten profitiert. Heute ist die gesamte Industrie viel reifer und der Automobilmarkt der größte der Welt. Wir arbeiten gut mit unseren Joint-Venture-Partnern zusammen. Das ist ein sehr robustes Vertrauensverhältnis, das über Jahrzehnte gewachsen ist. Beide Seiten profitieren davon. Mit zwei starken Joint Venture Partnern, 100-prozentigen Komponentenwerken und zwei neuen Mehrheits-Joint Ventures sind wir für die Zukunft sehr gut aufgestellt.

Beim Verbrenner kamen die chinesischen Autohersteller mit den deutschen Herstellern nie auf Augenhöhe. Wie ist es beim E-Auto? 
Ich sehe einen Paradigmenwechsel. Bis vor kurzem sind die wesentlichen Kerntechnologien dominiert worden von den internationalen Automobilherstellern. Die chinesischen Wettbewerber haben versucht, dort gleichzuziehen. Bei Elektroautos, beim autonomen Fahren und bei der Konnektivität sind nun einige chinesischen Anbieter mindestens gleichauf. Volkswagen hat vor einem Jahr die New Auto Strategie verabschiedet. Dabei war klar: Das Ziel muss sein, beim autonomen Fahren ganz vorne mit dabei zu sein. Und China ist mittlerweile Technologie-Treiber. Deshalb haben wir beschlossen, die Forschung und Entwicklung wesentlich zu stärken, vor allem durch den Aufbau unserer lokalen Software-Einheit Cariad. Da sind wir gut unterwegs.

Heißt also: Das autonome Fahren wird vielleicht zuerst in China Realität?
Davon gehen wir aus. Wettbewerber aus China haben schon angekündigt, bei der Hardware die technische Voraussetzung für Level 3 oder 4 zu haben. Wir erwarten, dass in den nächsten drei bis vier Jahren das vollautomatisierte Fahren mit Level 4 in China in Serienfahrzeugen Einzug halten wird. Die Fahrzeuge werden dann auch Situationen bewältigen, die nicht so einfach sind wie die Fahrt auf einer deutschen Autobahn. Etwa Fahrten im urbanen Raum, das Bewältigen von Situationen an Kreuzungen, an denen es in China noch deutlich komplexer zugeht als in Deutschland.

Es wird schwer werden für Volkswagen, bei diesem Tempo mitzuhalten. Beim Elektroantrieb sieht es ähnlich aus: Viele chinesische Kunden finden, dass VW-Modelle einfach nicht modern genug sind. 
Bislang sind wir in einem First-Mover-Markt: Wenn sich chinesische Kunden jetzt in der frühen Phase der E-Mobilität nicht für einen Verbrenner entschieden haben, sondern für ein Elektroauto, dann wollten sie damit auch ganz klar ein Statement senden. Das heißt, das Auto musste sehr futuristisch aussehen und bei den technologischen Innovationen absolut spitze sein. Diese Kunden kaufen Fahrzeuge zu Premiumpreisen. Das bedienen im E-Auto-Bereich neue chinesische Marken wie Xpeng oder Nio. Und das bietet natürlich auch eine Marke wie Tesla. Volkswagen ist da im Design zurückhaltender und auf ein ausgewogenes Gesamtpaket fokussiert. Unsere Zeit kommt jetzt. Da, wo der Markt wächst, sehen wir, dass immer mehr Kunden unsere ID.-Modelle kaufen, die eher dem typischen Profil eines chinesischen VW-Käufers entsprechen. Und darauf sind wir vorbereitet: wir haben bereits fünf ID. Modelle im Angebot und ab 2023 bringen wir jedes Jahr ein weiteres Elektrofahrzeug auf den Markt.



Was passiert, wenn die chinesischen E-Auto-Hersteller mit ihren derart innovativen E-Autos und autonomen Autos nach Europa kommen? Sind dann Ihre Marktanteile dort auch in Gefahr?
Derzeit bereiten tatsächlich alle größeren chinesischen Elektroautohersteller den Markteintritt in Europa vor oder prüfen ihn zumindest gründlich. Wir wissen auch, dass sich einer unserer chinesischen Kernwettbewerber im Moment sehr intensiv mit der Frage beschäftigt, ob er in Europa im PKW-Bereich durchstartet. Ich denke, dass wir in den nächsten Jahren in Europa bei den chinesischen Marken eine ähnliche Entwicklung sehen werden, wie wir sie vor 15 Jahren bei den koreanischen Marken gesehen haben.

Sie werden dann nicht mehr in China sein, sondern Ihr Amt an Ralf Brandstätter übergeben haben, der im August nach China kommt. Was ist Ihre neue Funktion bei VW? 
Das wird das Unternehmen zu gegebener Zeit bekannt geben. Jetzt ist es noch zu früh, denn ich bleibe ja noch bis Ende August in China, um eine Übergabe mit Ralf Brandstätter hier vor Ort zu machen. Dazu gehört auch die persönliche Vorstellung bei unseren wichtigsten Stakeholdern. Wir sind aber schon jetzt wöchentlich mindestens einmal im intensiven Austausch. 

Mehr zum Thema: Im wichtigsten Absatzmarkt verliert VW Marktanteile – weil chinesische Autobauer der deutschen Konkurrenz immer öfter technologisch überlegen sind.

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