Volkswagen hat es in Deutschland ziemlich gut: 2,6 Millionen Fahrzeuge musste der Konzern hierzulande bisher zurückrufen, geklagt hat kaum jemand. Insgesamt 120 Urteile sprachen deutsche Richter im Abgasskandal – und nicht immer musste VW zahlen.
Die Plattform myright.de, ein sogenanntes Legal Tech, hat sich vorgenommen, den deutschen Kunden im großen Stil zu ihrem Recht zu verhelfen und reicht am 13. Februar eine weitere Klage vor einem Münchner Gericht ein. „VW hat den Leuten erzählt, in Deutschland könne man keine Ansprüche geltend machen und die haben das geschluckt“, sagt MyRight-Geschäftsführer und Co-Gründer Sven Bode. Sein Unternehmen tritt als Vertreter der auf Verbraucherschutzklagen spezialisierten US-Kanzlei Hausfeld in Deutschland auf.
Ihr Kunde verlangt vom Autobauer sein Geld zurück. Den Wagen will er zurückgeben. Ihm seien die Risiken zu hoch, er habe keine Garantie mehr auf den Wagen und wisse nicht, wie sich das Software-Update langfristig auf das Auto auswirkt. Also trat er seinen Anspruch an die Plattform ab, die nun für ihn klagt.
Der Fall Volkswagen vor Gericht
Bundesweit klagen Autobesitzer vor mehreren Gerichten wegen überhöhter Stickoxidwerte auf Rückabwicklung des Kaufs oder Schadensersatz. Allein vor dem Landgericht Braunschweig sind mehr als 200 solcher Klagen anhängig. Die auf Verbraucherschutzverfahren spezialisierte Onlineplattform MyRight, die mit der US-Kanzlei Hausfeld zusammenarbeitet, reichte zu Jahresbeginn die erste Musterklage ein, mit der die Klagen vieler Betroffener gesammelt werden sollen. Diese Klagen, die derzeit viele Langerichte in ganz Deutschland beschäftigen, sind unabhängig von den Ermittlungen der Braunschweiger Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Marktmanipulation und des Betrugs gegen mehrere VW-Verantwortliche.
„Die durch den gesamten Abgasskandal entstandene Wertminderung kann noch am ehesten angesetzt werden, um Schadenersatz beim Hersteller durchzusetzen“, sagt Rechtsexperte Klaus Heimgärtner vom ADAC. Voraussetzung sei aber, dass die Merkmale der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung oder der Verletzung eines Gesetzes zum Schutz eines Dritten erfüllt seien. Das Problem: „Bislang gibt es keine zuverlässigen Zahlen über Wertminderungen von gebrauchten VWs mit unzulässiger Abschalteinrichtung“, so Heimgärtner.
In Deutschland gibt es keine Sammelklagen wie in den USA. Im Prinzip bleibt nur die Einzelklage gegen den Händler oder den Hersteller. "In den USA müssen Geschädigte nicht aktiv werden und klagen, das übernehmen Einzelpersonen, die als Sammelkläger auftreten", erklärt Jan-Eike Andresen, Leiter der Rechtsabteilung und Co-Gründer von MyRight. "Da kommt irgendwann der Scheck von VW über 10.000 Dollar für jeden Geschädigten. In Deutschland müssen Kunden mindestens einen Anwalt beauftragen oder ihre Ansprüche an myRight abtreten, damit etwas passiert. Diese Hemmschwelle zum Tätigwerden nutzt VW natürlich zu seinen Gunsten aus."
Das liegt am deutschen Recht. „In den USA haben Schadenersatzzahlungen neben der Schadenbeseitigung auch Strafcharakter, das treibt die Schadenshöhe“, erklärt Horst Grätz von der Regensburger Kanzlei Rödl & Partner. In Deutschland hingegen wird nur der tatsächlich entstandene Schaden beglichen. Den muss der Kunde allerdings nachweisen.
Ja, aber auch schon zu deren Ungunsten. Insgesamt gibt es 120 verschiedene Urteile. „Solange das nicht höchstrichterlich, am besten vom Bundesgerichtshof geklärt ist, ist jeder Richter frei, über den Rücktritt vom Kauf zu urteilen“, erklärt Jura-Professor Florian Bien von der Universität Würzburg.
Eine finanzielle Entschädigung der Kunden in Europa lehnt VW ab, obwohl sich Forderungen nach einem ähnlichen Vergleich wie in den USA mehren. Sollten diese dennoch fällig werden, könnte das Volkswagen wegen der viel größeren Zahl betroffener Kunden im Vergleich zu den USA finanziell ruinieren, fürchten Experten. Der Autoanalyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler geht von einem Wertverlust in einer Größenordnung von 500 Euro je Fahrzeug aus.
Das Problem bei solchen Fällen ist, dass der Kunde in Deutschland nachweisen muss, dass ihm ein Schaden entstanden ist und in welcher Höhe. „Kunden in Deutschland können nicht wie die Staatsanwaltschaft bei Volkswagen E-Mails beschlagnahmen oder Zeugen vernehmen, um ihre Ansprüche zu beweisen“, sagt Bode. Überhaupt nutze Volkswagen die Hürden bei einer Verbraucherklage in Deutschland zu seinen Gunsten aus, so Jan-Eike Andresen, Leiter der Rechtsabteilung und Co-Gründer von MyRight.
Also übernimmt MyRight das für die Betroffenen und beantragt ebenfalls am 13. Februar in den USA die Vernehmung des VW-Managers Oliver Schmidt, der dort inhaftiert ist.
FBI nimmt deutschen Manager fest
Es handelt sich um einen VW-Mitarbeiter, der nach Angaben der US-Behörden seit 1997 für den Konzern tätig ist. Von 2012 bis März 2015 soll er als führender Angestellter in den USA mit Umweltfragen betraut gewesen sein. Das US-Justizministerium wirft ihm eine Beteiligung beim massenhaften Abgasbetrug vor. VW hatte im September 2015 nach Vorwürfen der US-Umweltbehörden zugegeben, bei Hunderttausenden Dieselautos mit einer speziellen Software die Emissionswerte gefälscht zu haben.
Der VW-Manager war laut FBI-Angaben im Urlaub in Florida - was sich seit der Festnahme ereignete, gleicht einem Krimi: Der Beschuldigte landete bereits am Montag erstmals in Miami vor Gericht - er wurde dort laut US-Medien filmreif in Handschellen und Gefängnisuniform vorgeführt. Der Richter ordnete an, dass der Mann in Gewahrsam bleibt. Die in dem Verfahren zuständige Bundesanwaltschaft in Detroit drängt auf eine rasche Auslieferung - am Donnerstag schon soll der VW-Mitarbeiter in Michigan vor den Richter kommen.
In den Gerichtsdokumenten zur Strafanzeige werden heftige Vorwürfe gegen das Management erhoben. Demnach war die Konzernspitze nicht nur seit Juli 2015 in die Manipulationen eingeweiht, sie soll die zuständigen US-Mitarbeiter sogar autorisiert haben, den Betrug gegenüber den US-Behörden weiter zu leugnen. Solche Anschuldigungen sind zwar nicht gänzlich neu, doch diesmal stützt sich die US-Justiz auf die eidesstattliche Erklärung eines FBI-Agenten und Aussagen gleich mehrerer Konzern-Insider. Einer der Zeugen behauptet, er habe sich über die Vorgaben seiner Vorgesetzten hinweggesetzt, als er die Tricksereien letztlich gegenüber den US-Behörden einräumte.
Im September hatte sich bereits ein langjähriger VW-Ingenieur im Zuge einer ersten Strafanzeige schuldig im Abgas-Skandal erklärt und den Behörden im Rahmen eines Kronzeugen-Deals Kooperation zugesichert. In den USA können Beklagte ihr Strafmaß in Kriminalfällen deutlich senken, wenn mit ihren Aussagen zur Aufklärung beitragen. Laut Gerichtsdokumenten gibt es zwei weitere VW-Insider, die als Zeugen mit den Ermittlern zusammenarbeiten. Ihnen sei zugesichert worden, im Gegenzug nicht in den USA angeklagt zu werden. Möglicherweise hat die US-Justiz noch zusätzliche VW-Manager im Visier - bei Strafanzeigen ist es in den USA durchaus üblich, dass sie erst mit deutlichem Zeitverzug öffentlich gemacht werden.
Die Strafanzeige platzt mitten in die Verhandlungen zwischen VW und dem US-Justizministerium um einen Vergleich zur Beilegung strafrechtlicher Ermittlungen. Hierbei geht es allerdings um die Konzernebene und nicht um Anschuldigungen gegen in die Affäre verwickelte Personen. Laut US-Medien könnten VW und die US-Justiz bereits in dieser Woche einen Milliarden-Vergleich schließen, der auch noch weitere zivilrechtliche Bußgelder umfasst. Mit zahlreichen Dieselbesitzern, Autohändlern und US-Behörden hat der Konzern sich in einem zivilrechtlichen Mammut-Verfahren bereits auf außergerichtliche Kompromisse geeinigt, die über 17 Milliarden Dollar kosten könnten.
Abseits der milliardenschweren Kosten in den USA droht den Wolfsburgern auch in Europa weiter Ungemach. Angesichts der hohen Entschädigungszahlungen für Dieselbesitzer in den USA werden die Rufe der Verbraucherschützer nach Wiedergutmachung für europäische Kunden immer lauter. Hunderte Einzelklagen von Autobesitzern gegen VW oder Händler laufen allein in Deutschland - die Kläger könnten davon profitieren, dass die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eröffnet hat. Volkswagen stellt sich bei der Frage nach Entschädigungen nach wie vor quer und argumentiert, die Betrugssoftware sei in Europa nicht gesetzeswidrig.
Strafrechtlich ermittelt wird aber in Deutschland gegen VW-Angestellte und Manager, unter anderem wegen der Software-Manipulationen. Anklage wurde aber noch nicht erhoben. Weltweit sind rund elf Millionen Wagen von der „Dieselgate“-Affäre betroffen. Die Ermittler gehen daneben dem Verdacht nach, dass unter anderem Ex-Konzernchef Martin Winterkorn und der jetzige Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch den Finanzmarkt zu spät über den aufgeflogenen Skandal ins Bild gesetzt haben.
Möglich macht das die Zusammenarbeit mit der Kanzlei Hausfeld: Über diesen Umweg kann sich MyRight US-Recht zunutze machen. Bode: „Das amerikanische Recht erlaubt, solche Zeugen zu vernehmen. Davon profitieren unsere Kunden und Schmidt kann reinen Tisch machen.“
Das FBI hatte Schmidt Anfang Januar in Florida festgenommen. Ihm drohen in den USA bis zu 169 Jahre Freiheitsstrafe. Laut der gegen ihn und fünf weitere Manager erhobenen Strafanzeige spielte er eine entscheidende Rolle bei der Geheimhaltung der Schummelsoftware.