Volkswagen Und jetzt bitte noch einen Neuanfang im Aufsichtsrat

Hans Dieter Pötsch (rechts) und der damalige Volkswagen-Chef Martin Winterkorn während einer Pressekonferenz der VW-Gruppe in Berlin im März 2015. Quelle: imago images

Der Abgasskandal bei VW war von ganz oben toleriert und angeordnet. Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch zieht die früheren Chefs von Volkswagen und Audi sowie weitere Ex-Vorstände zur Verantwortung. Jetzt fehlt nur noch einer, der Konsequenzen ziehen muss: Hans Dieter Pötsch. Ein Kommentar.

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Mit dem VW-Konzern, der lange ihr Leben war, sind Martin Winterkorn, Ex-Chef von Volkswagen, und sein Ziehsohn Rupert Stadler, ehemals Chef von Audi, schon lange entzweit. Kaum waren die beiden wegen des Dieselskandals zurückgetreten, wurden sie fallen gelassen von ihren Ex-Kollegen. Man hörte nicht mehr viel Gutes in Wolfsburg und Ingolstadt über sie. Und kommuniziert wurde fast nur noch über Anwälte.

Nun ist der Bruch auch formal vollzogen: Der Konzern verklagt seine beiden einstigen Star-Manager auf Schadenersatz in noch unbekannter Höhe wegen ihres Agierens in der Abgasaffäre. Belangt werden außerdem die ehemaligen Audi-Vorstände Ulrich Hackenberg und Stefan Knirsch, der frühere Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz und der einstige Vorstand der Marke Volkswagen Pkw, Heinz-Jakob Neußer. Die Herren bildeten zusammen mit Winterkorn und Stadler einmal das vielleicht einflussreichste Gespann, das es im VW-Konzern jemals gab. Eine eingeschworene Truppe von Technikern, die – protegiert vom damaligen Aufsichtsratschef Ferdinand Piech – dem gesamten Konzern die Richtung wiesen.

Nun also heißt es bei Gericht: Volkswagen gegen seine einstmals besten Köpfe. Volkswagen gegen seine eigene Vergangenheit. So weit, so erwartbar. Es musste so kommen, weil der Konzern aktienrechtlich verpflichtet ist, sich Schadenersatz von Managern zu holen, wenn das möglich ist, und weil Volkswagen heute ein anderes Unternehmen sein will – und in weiten Teilen auch ist. Volkswagen hat nicht nur hunderte Millionen Euro in die Aufklärung des Skandals gesteckt, seine Compliance-Strukturen verbessert und weit über 30 Milliarden Euro Strafen bezahlt.

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von Stefan Hajek

Vor allem aber hat der Konzern die Verbrenner-Epoche, in der das trickreiche Umgehen von Abgasvorschriften Managerkarrieren beflügelte, schnell abgeschüttelt und würde heute am liebsten nur noch rundum nachhaltige E-Autos verkaufen. Das Elektro-Zeitalter kann für die Wolfsburger gar nicht früh genug beginnen, weil sie die Weichen dafür rechtzeitig gestellt haben und nun gut gerüstet sind. Deshalb haben sie bei VW und Audi die Entwicklung neuer Verbrenner schon eingestellt und kämpfen in Berlin und Brüssel gegen Kaufprämien für Diesel, Benziner und Plug-in-Hybride. Ja, kein Tippfehler – dagegen.
Also schöne neue Welt gegen düsteres altes Erbe? Leider nicht ganz. Architekt der schönen neuen VW-Welt ist VW-Chef Diess. Ohne ihn würde es sie heute nicht geben. Er treibt, wie Elon Musk, die ganze Branche mit seinem Kurs. Alles gut und extrem verdienstvoll. Aber er ist auch der frühere BMW-Vorstand, der in seiner Zeit in München mitbekommen hat, wie dreist bei VW betrogen wurde – lange bevor der Skandal aufflog. BMW habe sich entschieden, die Sache nicht den Behörden zu melden, soll er später VW-Mitarbeitern erzählt haben. Das zumindest berichteten sie später den Diesel-Ermittlern. Betrügereien waren in der Branche üblich, viele wussten es, alle schwiegen – und viele sind bis heute in Top-Positionen.

Noch mehr trübt das Bild aber der Mann an der Spitze des VW-Aufsichtsrats, Hans Dieter Pötsch. Erst war er als Finanzvorstand und Vertrauter von Winterkorn einer der Dreh- und Angelpunkte des alten Dieselskandal-Konzerns, dann wechselte er auf den Posten des Aufsichtsratschefs, um dort dann mit der Aufklärung des Skandals betraut zu sein. Um also – unter anderem – gegen sich selbst zu ermitteln. Wenn das ein Film wäre, würde ich umschalten, da grob unglaubwürdig. Leider ist es keiner. 

Dass sich Pötsch im Aufsichtsrat nicht selbst entlasten durfte, dass er sich enthalten musste, wenn es um ihn selbst ging, dass er zwar den Aufsichtsrat leitet, nicht aber den für den Skandal zuständigen Ausschuss, gab ihm Rechtssicherheit, konnte aber nicht die Corporate-Governance-Katastrophe verhindern.

Nun vermeldet Herr Pötsch also, dass der VW-Aufsichtsrat „einen Schlussstrich unter seine Aufklärungsarbeit“ ziehe und die „im Oktober 2015 eingeleitete Untersuchung der Ursachen und Verantwortlichkeiten für die Dieselkrise“ beende. Es ist bitter für Winterkorn, Stadler und ihre Star-Ingenieur-Combo, dass der Konzern sie nun an den Pranger stellt. Andererseits können sie sicher sein, dass sie sich keinen besseren obersten Aufklärer hätten wünschen können als ihren alten Buddy Pötsch. Denn: Was hätte ein wirklich unabhängiger Ermittler wohl noch alles entdeckt?

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Der Abschluss der Aufklärung wäre ein guter Abschluss für den Aufklärer. Pötsch hat prima herausgefunden, dass der Abgasbetrug im Konzern System hatte, gewünscht und toleriert von ganz oben, bestellt bei Zulieferern, bekannt bei Tausenden, umgesetzt zumindest von Hunderten. Nun kann er gehen, nun muss er gehen. Allein schon, weil er noch Monate nach dem Auffliegen des Skandals sagte: „Wir halten es für wahrscheinlich, dass nur eine überschaubare Zahl an Mitarbeitern aktiv zu den Manipulationen beigetragen hat.“

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