Der Abgas-Skandal hat dem Volkswagen-Konzern die wohl schwerste Krise der Unternehmensgeschichte beschert. Massive Kursverluste, anhaltend negative Presse, dazu der Vorwurf, die eigenen Kunden betrogen zu haben – das ist eine Kombination, die für eine Marke potenziell vernichtend sein kann. Insbesondere dann, wenn sie sich zuvor stets kundennah, verlässlich und vertrauenswürdig positioniert hat. Nicht zuletzt durch diese "große Fallhöhe" hat der Abgasskandal für Empörung gesorgt, und umso gefährlicher ist die Situation für die Marke. WirtschaftsWoche hat gemeinsam mit dem Hamburger Marktforschungsinstitut Appinio betroffene Kunden befragt.
Die Umfrage – das sei vorausgeschickt – ist nicht repräsentativ. Das hat einen einfachen Grund: Es gibt zu wenig Informationen über die rund zwei Millionen VW-Kunden, die in Deutschland vom Rückruf betroffen sind. Wie viele Männer, wie viele Frauen sind darunter? Wie verteilt sich die Kundschaft auf die verschiedenen Bundesländer? Wie jung oder alt sind sie? Das weiß allein VW.
"Ohne genaue Daten über die Struktur der Grundgesamtheit der Betroffenen können wir keine repräsentative Stichprobe ziehen", erklärt Appinio-Gründer Flemming Kühl. Dennoch sind die Daten aussagekräftig. Appinio hat bundesweit Kunden befragt, Männer wie Frauen und Betroffene verschiedenster Altersgruppen. "Wir können aus den Antworten also eine Tendenz ablesen, wie die Stimmung unter den VW-Kunden ist, auch wenn die Umfrage nicht repräsentativ ist", so Kühl.
Wie VW im ersten Quartal abgeschnitten hat
Im Auftaktquartal 2016 hat Volkswagen 2,577 Millionen Fahrzeuge abgesetzt – zum ersten Quartal 2015 ein Rückgang von 1,2 Prozent (2,607 Millionen Fahrzeuge).
Zum Stichtag 31. März 2016 haben 613.075 Menschen für VW gearbeitet. Gegenüber dem Jahr 2015 sind das 0,5 Prozent mehr – damals waren es 610.076 Menschen.
In Deutschland sinkt jedoch die Zahl der VW-Mitarbeiter, zuletzt um 800 auf rund 277.900 Stellen. Der Zuwachs kommt aus dem Ausland, wo VW um fast 4.000 Stellen auf 335.200 Jobs zulegte.
Beim Umsatz musste VW im Vergleich zum Vorjahresquartal ein Minus von 3,4 Prozent hinnehmen. Die Umsatzerlöse sanken von 52,735 Milliarden Euro auf aktuell 50,964 Milliarden Euro.
Das operative Ergebnis (Ebit) stieg um 3,4 Prozent auf 3,44 Milliarden Euro – zum Jahresauftakt 2015 waren es noch 3,328 Milliarden Euro. Die operative Rendite stieg von 6,3 auf 6,8 Prozent.
Das Ergebnis nach Steuern ging deutlich zurück – von 2,932 Milliarden Euro im Q1 2015 auf aktuell 2,365 Milliarden Euro. Das entspricht einem Rückgang von 19,3 Prozent.
Die Marke Volkswagen Pkw verzeichnete in den ersten drei Monaten gegenüber dem Vorjahreszeitraum einen Volumen- und Umsatzrückgang. Der Umsatz von VW-Pkw sank von 26,3 Milliarden Euro auf 25,1 Milliarden Euro, der Absatz fiel von knapp 1,12 Millionen auf 1,07 Millionen Fahrzeuge. Infolge dessen ging das Operative Ergebnis vor Sondereinflüssen auf 73 (514) Millionen Euro zurück, die operative Marge erreichte im ersten Quartal 0,3 Prozent.
Mit 1,3 Milliarden Euro erreichte Audi annähernd wieder das operative Ergebnis vor Sondereinflüssen des Vorjahres. Bei einem nahezu stabilen Umsatz sank die operative Marge leicht von 9,7 auf 9,0 Prozent.
Bei Skoda stieg das operative Ergebnis aufgrund positiver Mixeffekte und geringerer Materialkosten um gut 30 Prozent auf 315 (242) Millionen Euro. Die operative Marge legte bei deutlich gestiegenem Umsatz auf 9,3 (7,6) Prozent zu.
Seat verbesserte sein Operatives Ergebnis aufgrund von Kostenoptimierungen auf 54 (33) Millionen Euro. Dies entspricht einer Steigerung der Operativen Rendite auf 2,6 (1,5) Prozent.
Gemessen am operativen Ergebnis ist Bentley im ersten Quartal in die roten Zahlen gerutscht. Statt einem Gewinn von 49 Millionen Euro im Vorjahresquartal steht 2016 ein Minus von 54 Millionen Euro zu Buche. Volkswagen begründet das mit gesunkenen Auslieferungen.
Porsche blieb auch zum Auftakt des laufenden Geschäftsjahres in der Erfolgsspur. Das Operative Ergebnis stieg weiter auf 895 (765) Millionen Euro und damit deutlich überproportional zum Umsatz, der aufgrund eines signifikant höheren Absatzes spürbar zulegte. Die operative Marge kletterte auf 16,6 (15,1) Prozent.
Das operative Ergebnis von Volkswagen Nutzfahrzeuge sank volumenbedingt auf 142 (165) Millionen Euro, die operative Marge ging auf 5,2 (6,1) Prozent zurück. Scania verbuchte einen leichten Anstieg des operativen Ergebnisses auf 244 (237) Millionen Euro und eine stabile operative Marge von 9,6 Prozent. Trotz des anhaltend schwierigen wirtschaftlichen Umfelds in Südamerika verbesserte MAN Nutzfahrzeuge das operative Ergebnis vor Sondereinflüssen unter anderem aufgrund des höheren Absatzes in Europa auf 65 (minus 13) Millionen Euro. Bei MAN Power Engineering belief sich das operative Ergebnis auf 48 (52) Millionen Euro.
Die Volkswagen Finanzdienstleistungen konnten ihr operatives Ergebnis deutlich auf 492 (403) Millionen Euro steigern. Insbesondere Volumeneffekte wirkten sich positiv aus.
Was erwarten sie vom Konzern? Welche Wiedergutmachen muss VW leisten? Würden sie wieder ein Auto aus dem VW-Konzern kaufen?
Die Hälfte wünscht sich finanzielle Entschädigung
Die Befragten haben ein klare Vorstellung davon, was sie von Volkswagen im Bezug auf ihr vom Skandal betroffenes Diesel-Fahrzeug erwarten:
- 64 Prozent erwarten die kostenfreie Umrüstung,
- 48 Prozent halten darüber hinaus eine finanzielle Entschädigung für angebracht,
- 19 Prozent wünschen sich sehr attraktive Konditionen beim Kauf eines Neuwagens,
- 15 Prozent möchten die Möglichkeit haben, das Fahrzeug zurückzugeben.
Knapp die Hälfte also sieht es mit der Umrüstung alleine nicht getan. Diese Bild verfestigt sich beim Blick in die Wünsche, die die Befragten in einem Testfeld ergänzen konnten. Dort fanden sich Vorschläge wie: Finanzielle Entschädigungen wie in den USA bis hin zum kostenfreien Neuwagen, kostenloser Mietwagen für die Zeit der Umrüstung, kostenfreie Inspektionen, Tankgutscheine, Garantieverlängerungen, Prämien, ein Satz Reifen – oder auch einfach: Kuchen.
"Eine gute Gelegenheit, einen neuen Audi zu kaufen"
Neben diversen Formen der Entschädigung erwarten viele Kunden auch eine ideelle Wiedergutmachung wie Verzicht auf Boni aller Manager, transparente Kommunikation, Spenden an Umweltschutzverbände, mehr Ehrlichkeit und mehr Demut. Einzelne Befragte stellen sich explizit auf die Seite des Konzerns: "Meine Familie fährt seit Jahrzehnten ausschließlich Fahrzeuge aus dem Volkswagen Konzern, ein kleines Problemchen, welches die Amerikaner nutzen um unseren Fortschritt zu ruinieren wird nichts daran ändern. Im Gegenteil! Eine gute Gelegenheit einen neuen Audi zu kaufen :)"
Der folgende Kunde findet sogar, dass VW nichts außer der Umrüstung seines Fahrzeugs tun muss: "Es ist ja nicht so, dass nur VW betroffen ist. Ursachen liegen eher in der Festlegung von Verbrauchsmessverfahren, Normen und gesetzlichen Vorschriften. Kein Mensch mit Verstanden hat je geglaubt, dass ein Auto Werksangabe verbraucht."
Von diesen beiden abgesehen ist die Tendenz der Masse klar: Die Kunden wollen ein deutliches Zeichen der Reue. Einige hoffen, gleichzeitig die Situation für ein Schnäppchen nutzen zu können. Ernsthafte Zweifel an der Qualität der Fahrzeuge aus dem VW-Konzern haben die Betroffenen wohl nicht. 72 Prozent würden wieder ein Auto aus der Volkswagen-Welt kaufen. 13 Prozent sagen "nein", der Rest ist unschlüssig.
Bereit, zu verzeihen
Hans Meier-Kortwig, Partner bei der GMK Markenberatung in Köln: "Gerade die deutschen Autokäufer sind bereit zu verzeihen – zwar ist man, darauf deuten die Ergebnisse der Befragung hin, enttäuscht und verlangt Wiedergutmachung, aber die wenigsten sind wirklich verbittert. Hier spielen aus meiner Sicht zwei Dinge eine Rolle: zum einen hat VW als eine gerade auch in Deutschland sehr beliebte Marke ein gewisses Guthaben, von dem die Marke zehren konnte – und zum anderen scheinen gerade die Forderungen nach Schadenersatz aus den USA zu einem stärkeren Rückhalt in der eigenen Bevölkerung zu führen. Wichtig ist nun, die Marke konsequent neu aufzuladen und echte Einsicht zu zeigen."
So ist es für den Markenexperten auch nur ein vermeintlicher Widerspruch, dass sich die betroffenen Kunden wieder für einen VW entscheiden würden, obwohl sie Entschuldigungen und Entschädigungen fordern. "Wann verlangt man eine Entschuldigung?", fragt Meier-Kortwig. "Wenn es weh getan hat. Und wann tut es weh? Wenn einem der Verursacher wichtig ist. Ähnlich sehe ich es hier: VW ist eine Marke, die tief in der deutschen Gesellschaft verankert ist – dafür muss man nicht einmal die vielzitierte Generation Golf heranziehen. Mit dem Abgasskandal hat VW viele seiner Kunden enttäuscht – trotzdem werden bei vielen von ihnen die positiven Erfahrungen mit VW weiter überwiegen."
Nach den ersten Anlaufschwierigkeiten im Umgang mit der Krise, sieht Meier-Kortwig VW jetzt wieder in der Spur. Der neue Claim "Partner fürs Leben" setze an der richtigen Stelle an, weil er die "besondere Rolle" von VW im Leben vieler Menschen berücksichtige.
"Entscheidend wird am Ende aber nicht die Kommunikation, sondern die Konsequenz sein, mit der die gezeigte Einsicht und die "neue Vertrauenswürdigkeit" auch in Taten umgesetzt wird – in großen Projekten ebenso wie in kleinen Verhaltensweisen durch jeden einzelnen Mitarbeiter", sagt Meier-Kortwig. Erst daran werde sich zeigen, ob die Marke gestärkt aus dieser Krise hervorgehen kann.