Das Timing war perfekt. Wenige Stunden vor Beginn der 14. Hauptversammlung des Volkswagen-Konzerns in Hannover gab der schwedische Pensionsfond Alecta bekannt, das Angebot von Volkswagen anzunehmen und all seine 16,3 Millionen Anteile an dem Nutzfahrzeughersteller Scania zu verkaufen - zum Festpreis von 200 Kronen pro Aktie. Volkswagen hat damit mehr als 90 Prozent der Scania-Aktien in seiner Hand und kann Scania nun von der Börse nehmen. Vor allem: Mit der Komplettübernahme ist der Weg frei für die geplante Nutzfahrzeugallianz von MAN, Scania und VW Nutzfahrzeuge unter Führung von Ex-Daimler-Manager Andreas Renschler. Weitere Zukäufe beispielsweise in Nordamerika, heißt es, seien dabei nicht ausgeschlossen.
Volkswagen strotzt vor Kraft und Selbstbewusstsein: Die Ziele, die man ins Auge fasst, so die Botschaft des Tages, erreicht man auch oder übertrifft sie sogar. Entsprechend aufgeräumt zeigten sich die Mitglieder des Konzernvorstands und Aufsichtsrats, als sie am frühen Morgen die Produktschau abnahmen, die zur Einstimmung der Aktionäre in Halle 2 der Hannover-Messe aufgebaut worden war.
Zu sehen gab es die neuesten Produkte des Konzerns, von der neuen Streetfighter-Maschine des italienischen Motorradherstellers Ducati über den neuen Porsche Targa bis hin zur neuen V8-Baureihe von Scania und einem Großdieselmotor von MAN. "Das ist ja wie eine kleine IAA", staunte selbst VW-Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh. Vorstandschef Martin Winterkorn nutzte die Gelegenheit zu Qualitätskontrollen - und zum direkten Kundenkontakt. "Setzen Sie sich mal hinten rein", forderte er den VW-Kleinaktionäre Peter Bödelt aus Hannover aus, der es sich hinter dem Steuer des neuen Sportvan bequem gemacht hatte.
Während Bödelt in den Fond wechselte, wies Winterkorn ihn auf die Vorzüge des Autos hin ("Achten Sie mal auf die Kopffreiheit") - und ermunterte ihn zum Kauf: "Bei der Dividende können sie sich das doch locker leisten." Bei einer Dividende von 4,00 Euro pro Stamm- und 4,06 Stammaktie, die VW in diesem Jahr ausschüttet, sind bei einem Basispreis von knapp 20.000 Euro für das Fahrzeug allerdings größere Aktienpakete nötig, um einen solchen Kauf einfach mal so aus dem Ärmel schütteln zu können.
Ferdinand und Ursula Piech wären dazu sicher noch am ehesten in der Lage. Die beiden VW-Aufsichtsräte und Großaktionäre ließen sich ebenfalls von den Markenvorständen die Vorzüge der neuen Produkte schildern, aber nutzten die Gelegenheit auch zum Plausch mit Bekannten und Verwandten. Am Vorabend hatte sich das Ehepaar im Rathaus ins Goldene Buch der Stadt Hannover eingetragen. "Für ein glückliches Leben", schrieb Ursula Piech, "braucht es nicht viel: Gesundheit, Glück, Freude und stille Reserven."
Konzernchef Winterkorn kann sich nach der Definition wohl glücklich schätzen. Sicher, noch längst sind nicht alle Ziele der Strategie 2018 erreicht. Aber die Fortschritte sind unverkennbar. Das Ziel eines Absatzvolumens von über zehn Millionen Fahrzeugen werde vermutlich schon in diesem Jahr erreicht, ließ er die Aktionäre wissen. "Natürlich haken wir das Thema Volumenwachstum damit nicht einfach ab. Wir wollen und werden unsere Auslieferungen noch weiter steigern." Aber der Fokus werde nun stärker auf die qualitativen Ziele gelegt: "Wir wollen immer besser, effizienter, umweltfreundlicher und noch kundenorientierter werden".
Innovationsmotor höher drehen
Winterkorn kündigte eine große unternehmerische Qualitätsoffensive im Konzern für die nächsten vier Jahre an. Drei Stoßrichtungen gab er dafür vor: Eine Verbesserung der Ergebnisqualität, eine Verbesserung der Entwicklungsqualität sowie eine nochmalige Steigerung der Personalqualität.
Stichwort Ergebnisqualität: Im abgelaufenen Jahr hat der Volkswagen-Konzern bei einem Umsatz von 197 Milliarden Euro einen operativen Gewinn in Höhe von 11,7 Milliarden Euro eingefahren. Das entspricht immerhin einer Umsatzrendite von 5,9 Prozent. Aber im Vergleich zum Vorjahr trat Volkswagen zumindest in dieser Disziplin auf der Stelle. Und vom strategischen Ziel einer Vorsteuerrendite von acht Prozent ist der Konzern damit noch ein ganzes Stück entfernt. Und für das laufende Jahr sind keine großen Sprünge zu erwarten: Für 2014 erwartet der Konzernchef aufgrund der unsicheren Lage auf einigen Wachstumsmärkten und des verschärften Wettbewerbs, aber auch wegen der hohen Investitionen in neue Technologien und steigender Währungsrisiken eine operative Rendite zwischen 5,5 und 6,5 Prozent.
Ergebnisse nach Marken und Sparten
Die Marke Volkswagen Pkw verkaufte in den ersten drei Quartalen 3,5 Millionen Autos und damit 3,8 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Das Operative Ergebnis belief sich auf 2,1 (2,9) Milliarden Euro. Im Vorjahr waren es 2,9 Milliarden Euro. Belastend wirkten sich der Volumenrückgang ausgelöst durch die Krise in Europa aus sowie Vorleistungen für die Entwicklung neuer Technologien aus.
Der Absatz der Marke Audi lag mit genauer einer Millionen Fahrzeugen auf dem Niveau des Vorjahres, weitere 309.000 Audi Fahrzeuge verkaufte das chinesische Joint-Venture FAW-Volkswagen. Im Vorjahreszeitraum waren es 247.000. Der Ausbau der weltweiten Fertigungsstrukturen und hoher Kosten für die Entwicklung neuer Produkte forderte seinen Tribut beim Ergebnis: Audi erzielte mit 3,7 Milliarden Euro bis September 2013 ein deutlich geringeres Operatives Ergebnis als im Vorjahr (4,2 Milliarden Euro.)
Die Verkäufe von Škoda gingen bis September 2013 um 4,9 Prozent auf 524.000 Fahrzeuge zurück. Das Operative Ergebnis sank von 567 Millionen Euro auf 371 Millionen Euro.
Trotz des unverändert schwachen spanischen Gesamtmarktes verzeichnete SEAT einen steigenden weltweiten Absatz und legte von 315.000 auf 335.000 Autos um 6,4 Prozent zu. Das Operative Ergebnis lag mit -93 Millionen Euro in etwa auf dem Vorjahresniveau (- 95 Millionen Euro).
Bentley setzte 6.600 Fahrzeuge ab - hundert mehr als im Vorjaheszeitraum. Das Operative Ergebnis lag mit 98 Millionen Euro deutlich über dem Vergleichswert des Jahres 2012 (73 Millionen).
Der Sportwagenhersteller Porsche verkaufte in den ersten neun Monaten 115.000 Fahrzeuge und erzielte ein Operatives Ergebnis von 1,9 Milliarden EUR.
Scania steigerte den Absatz von 47.000 auf 56.000 Lkw und Busse. Das Operative Ergebnis blieb bedingt durch den erhöhten Margendruck mit 691 Millionen Euro auf Vorjahresniveau (688 Millionen).
MAN verkaufte 3000 weniger Lkw und Busse und damit insgesamt 98.0000. Das Operative Ergebnis brach von 518 Millionen Euro auf 47 Millionen Euro ein. Belastend wirkten das geringere Volumen, rückläufige Einnahmen aus dem Lizenzgeschäft sowie vor allem die Bildung projektspezifischer Vorsorgen im Bereich Power Engineering.
Stichwort Entwicklungs- und Innovationsqualität: Volkswagen will seinen "Innovationsmotor noch ein Stück höher drehen", wie es Winterkorn formulierte und künftig alle wichtigen Modelle sowohl mit modernen Verbrennungsmotoren als auch mit alternativen Antrieben - vollelektrisch oder als Hybrid - anbieten. Zudem werde man das Angebot an regionalspezifischen Fahrzeugen ausbauen - das Weltauto ist damit in Teilen Vergangenheit.
Stichwort Personalqualität: Volkswagen will bis 2018 die Zahl seiner Mitarbeiter weiter erhöhen, in China, aber auch in Deutschland. Vergangenes Jahr wurden weltweit rund 23.000 neue Arbeitsplätze geschaffen, im laufenden Jahr könnte es aufgrund der Inbetriebnahme etlicher neuer Werke und der Erweiterung bestehender Standorte eine ähnliche Größenordnung werden. Gleichzeitig soll die Zusammenarbeit mit Universitäten und Forschungseinrichtungen intensiviert werden.
Ja, Volkswagen ist derzeit gut unterwegs. Aber bei allen positiven Nachrichten - die Risiken für das operative Geschäft bleiben weiter hoch. Es mag helfen, künftig bei Scania durchregieren zu können, mit Andreas Renschler einen exzellenten Spitzenmanager für das Nutzfahrzeug-Geschäft gewonnen oder eine neue Plattformstrategie für leichte Nutzfahrzeuge in Vorbereitung zu haben - eine Garantie für sprudelnde Einnahmen ist dies freilich noch nicht. Und das gilt nur für das Nutzfahrzeug-Geschäft. Auch in anderen Teilen des Konzerns lauern Risiken. Winterkorn sollte das Glück des Augenblicks genießen. Morgen kann es schon wieder anders aussehen.