Volvo Das Ausweichmanöver

Die Schweden wollen ab 2019 keine neuen Verbrennungsmotoren mehr entwickeln. Das ist der PR-Coup des Jahres. Aber ist es auch mehr als das? Ein Besuch in der Volvo-Welt.

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Volvo-Chef Hakan Samuelsson Quelle: Robin Aron für WirtschaftsWoche

Hakan Samuelsson braucht jetzt keinen Schreibtisch mehr. Ist doch irgendwie verstaubt, altmodisch, unnötig, findet der Volvo-Chef, 66. Er ist ja ohnehin nun die ganze Zeit unterwegs: in China, wo seine neuen Eigentümer sitzen, in Europa, wo seine meisten Kunden warten, in den USA, wo sie besonders streng auf die Abgase schauen, die Volvos Geländewagen produzieren. Wenn Samuelsson zwischen all diesen Terminen doch mal in der Göteborger Firmenzentrale vorbeischaut, reichen dem Direktor des größten, weil einzig verbliebenen, schwedischen Autobauers auch ein Konferenzraum und ein Telefon. Alles andere erledigt seine Sekretärin. Außerdem ist Volvo ja jetzt bald ohnehin eine völlig neue Firma, so was wie ein Start-up.

So empfängt Samuelsson also an diesem hellen schwedischen Sommermorgen in einem grauen Kabuff. Auf dem Tisch eine Telefonspinne, an der Wand ein Konferenzbildschirm, die Gardinen sind zugezogen, gerade so, als wollte sich Samuelsson verstecken vor der Welt. Vielleicht auch verständlich nach all dem Trubel. Er könne sich schon denken, warum der Reporter gekommen sei, sagt Samuelsson und lacht: „Es hat wahrscheinlich gar nichts mit Diesel oder Verbrennungsmotoren zu tun – oder mit unserer Ankündigung, ab 2019 alle neuen Modelle ausschließlich mit elektrifizierten Antrieben auf den Markt zu bringen?“

Was Samuelsson so gute Laune macht, ist der größte PR-Coup, der ihm in den vergangenen Jahren gelungen ist. Ab 2019, sagte Samuelsson Anfang Juli, setzte man bei Volvo komplett auf Elektro- statt Verbrennungsmotoren. Nun hat Samuelsson auch sonst gerne mal wolkige Versprechen in petto: Vor ein paar Jahren gelobte er, im Jahr 2020 solle kein Mensch mehr in einem Volvo ums Leben kommen. Dann folgte die Idee, den Volvo-Fahrern eine Woche mehr Lebensqualität zu garantieren, indem man ihnen das Waschen und Tanken des Wagens abnehme. Doch die jetzige Ansage ist von anderer Qualität.

Ganz wie die großen Brüder
Volvo XC60 Quelle: Volvo
Volvo XC60 Quelle: Volvo
Volvo XC60 Quelle: Volvo
Volvo XC60 Quelle: Volvo
Volvo XC60 Quelle: Volvo
Volvo XC60 Quelle: Volvo
Volvo XC60 Quelle: Volvo

Während die Autoindustrie stöhnt und ächzt unter dem, was als VW-Abgasaffäre begann und nun unter Dieselskandal firmiert, während deutsche Manager in den USA verhaftet werden, Staatsanwälte in Stuttgart, Ingolstadt und Wolfsburg Büros durchsuchen, während Ministerpräsidenten zu Dieselkonferenzen zusammenkommen, Firmen ihre Flotten überprüfen und Automanager versprechen, ihre Diesel seien sauber, gibt Volvo das Ziel aus, eine Million Elektroautos bis 2025 zu verkaufen.

Ausgerechnet Volvo, ein Unternehmen, das 2011 beinahe pleiteging und in Europa in der Nische werkelt, soll schaffen, woran die deutsche Autoindustrie scheitert? Und tun die Schweden das aus Überzeugung, oder ist es ihr chinesischer Eigentümer, der sie mit Blick auf Chinas E-Auto-Pläne zu dem Manöver zwingt? Fest steht, dass Samuelssons Ankündigung wohl vor allem eins ist: ein großes Wagnis.

Ein Konzern unter Stress

Messegelände Dresden, zwei Tage nach der Ankündigung aus Schweden, keine Verbrenner mehr zu entwickeln. Volvo-Fahnen wehen um einen Teich, in den Backsteinhallen stehen schwedische Designermöbel. Die deutsche Händlerorganisation des Autofabrikanten hat ihre Verkäufer eingeladen, um das neue Aushängeschild des Konzerns kennenzulernen: den XC 60. Ein Zwei-Tonnen-SUV, das die Kunden lieben. Allein in Deutschland wurde die alte Version über 40.000-mal verkauft. Nun aber fragen sie sich hier: Ist es schlau, ausgerechnet zur Markteinführung dieses Bestsellers die Abkehr von Verbrennern einzuläuten? Schließlich ist der XC 60 als Diesel beliebt, es gibt von ihm aber nur eine Hybridversion.

In Dresden zeigt sich, unter welchen Stress Samuelsson den Konzern gesetzt hat. Nicht nur die Händler müssen sich nun an die neue Zeit gewöhnen. Auch für Volvos eigene Ingenieure ist es eine Umstellung, hatten sie doch bislang vor allem die Aufgabe, dreckige Diesel sauber zu bekommen. Daran haben sie sich bisher genauso verhoben wie die meisten ihrer deutschen Kollegen. Denn Volvo ist eine Firma, deren Dieselanteil bei den verkauften Neuwagen in Schweden bei satten 80 Prozent liegt. Die die SUV genannten Geländewagen für die Stadt erst richtig in Mode brachte. Die bei Abgastests des Kraftfahrtbundesamtes oder der Deutschen Umwelthilfe auch mal besonders unangenehm auffiel. Und von dieser Firma soll nun die E-Auto-Revolution ausgehen?

Ganz offensichtlich tritt Volvo die Flucht nach vorne an. Die bislang verkauften Diesel so sauber zu machen, dass Fahrverbote und künftige Grenzwerte ihnen nichts anhaben können, würde Volvo „eine Milliardensumme kosten“, sagt ein Volvo-Manager. Beides, Diesel aufpeppen und Elektroautos an den Start bringen, wäre finanziell nicht gegangen. So habe alles für einen klaren Schnitt gesprochen: „Keinen Cent mehr für die alte Technik und alle Forschungsgelder auf die Zukunft umschichten.“ Konkret geht es um einen Entwicklungsetat, der im vergangenen Jahr bei umgerechnet etwa einer Milliarde Euro lag und damit zu einem eher kleineren der Branche gehört: Daimler etwa steckte im gleichen Zeitraum 7,6 Milliarden Euro in die Forschung und VW 13,7 Milliarden.

So radikal wird die Wende wahrscheinlich nicht funktionieren

Und so ist bei Volvo allen klar, dass Samuelssons Wende in der Praxis so radikal nicht funktionieren wird: „Volvo verkauft weiter Diesel, will nur keine neuen mehr entwickeln. Für alle Motoren, die im Markt sind, ist Volvo verantwortlich und muss auch weiter daran arbeiten, wenn sie Updates oder Reparaturen brauchen“, sagt ein Manager.

Fakten zum Volvo-Baukasten

Grundsätzlich aber sind die Weichen gestellt, es geht weg vom Verbrenner. Damit reagiert Samuelsson auf eine Entwicklung, die vermutlich eh nicht aufzuhalten ist. In etlichen europäischen Metropolen von Oslo bis Athen werden derzeit Fahrverbote für Diesel diskutiert. Paris und Madrid lassen bei dicker Luft nur einen Teil der Autos in die Stadt, London und Stockholm erheben Einfahrgebühren. In chinesischen Metropolen wie Peking gehören Fahrverbote längst zum Alltag. Auf längere Sicht sollen dort Verbrenner aus Innenstädten ganz verschwinden.

Und doch droht Volvos Kampagne zum Bumerang zu werden: Kunden stürmen dieser Tage die Volvo-Dependancen und verlangen nach den neuen E-Modellen – die es nicht gibt. Schon riefen Händler verunsichert in der Zentrale an, berichteten von hysterischen Käufern und erbaten Auskunft.

Irgendwann sah sich die Volvo Deutschland gezwungen, das Ganze wieder einzufangen und ein Memo an die Händler zu verschicken. Volvo stellt darin klar, dass es keinesfalls darum gehe, vorzeitig Verbrennungsmotoren aus dem Markt zu nehmen. Man will nur keine völlig neue Motorenfamilie mehr entwickeln. Vielmehr werde man die aktuelle Generation, die noch bis mindestens 2025 weiterentwickelt wird, mit E-Motoren und Batteriespeichern ergänzen. Zusätzlich solle es fünf reine E-Modelle geben. Alle verkauften Volvo sollen dann entweder einen Hybridantrieb haben oder vollelektrisch fahren. Vorerst aber seien Verbrennungsmotoren und Hybride für die Kunden die bessere Wahl.

Verschiedene Volvo-Modelle Quelle: Volvo

„Wir reden hier über eine tiefgehende Transformation unseres Unternehmens“, sagt Samuelsson. „Dabei müssen wir unsere Kunden mitnehmen.“

Er versteht seine Kommunikation denn auch nicht als PR-Coup, sondern als Weckruf für die Branche. Wenn sich bei Zulieferern und anderen Konzernen nichts tut, wird auch Volvos Strategie nicht aufgehen. Volvo ist darauf angewiesen, dass die Fertigung von Elektroautos insgesamt günstiger wird. Alleine sind die Volvo-Stückzahlen zu klein, um über Mengeneffekte Preise zu drücken. Nach seinem Manöver, so Samuelssons Hoffnung, werden Batteriehersteller, Zulieferer und Stromkonzerne aufwachen und endlich Ladesäulen aufbauen, günstige Stromspeicher entwickeln und preiswertere Getriebe anbieten. „Wir brauchen auf dem Weg zur Elektromobilität Unterstützung“, sagt der Volvo-Chef.

Damit meint er explizit auch seine Geschäftspartner. Denn: Entwickeln sollen Batterien, Getriebe und Ladesäulen bitte schön vor allem die Zulieferer. Volvo will in der neuen Propulsion genannten Einheit vor allem die Konzepte für die Mobilität der Zukunft entwerfen. Volvo brüllt also – und der restliche Zoo soll sich bewegen.

Wie dieser Plan intern wirkt, lässt sich im Stammwerk Torslanda beobachten. 6500 Mitarbeiter fertigen hier in drei Schichten nahezu alle Modelle des Konzerns. Auch der neue XC 60 rollt hier vom Band, hauptsächlich als Diesel, in geringeren Stückzahlen auch mit Hybridantrieb. An einer speziellen Station montieren Katarina Eriksson und ihr Team die Batterien für die Hybridversion in die rohen Fahrzeugchassis. Die junge Frau um die 30 trägt ein orangenes Shirt, die dunklen Haare sind zum Zopf gebunden. Noch ist ihre Truppe im Werk in der Minderheit. „Bald werden alle so arbeiten wie wir“, sagt Eriksson. „Ich finde das gut. Elektromobilität ist die Zukunft. Deshalb sollte Volvo das tun.“ Erikssons Arbeit ist eine sanfte Form des Übergangs.

Hybridmodelle erfordern im Werk eher mehr Arbeitsplätze als die reine Fertigung von Verbrennungsmotoren. Sollte irgendwann aber komplett auf E-Motoren umgestellt werden, ist auch Erikssons Job in Gefahr. Halten Experten E-Autos doch für weniger arbeitsintensiv.

So ist Samuelssons Plan vor allem auch ein Mittel des Zeitgewinns, um das Unternehmen umzubauen. Anders als große Premiumhersteller wie Daimler oder BMW können es sich die Schweden nicht leisten, mehrere Antriebe parallel zu entwickeln. Sie verkaufen nur etwas mehr als eine halbe Million Fahrzeuge im Jahr, haben sich in den vergangenen Jahren mühsam und mit drei neuen Werken in China aus der Krise gekämpft. Nun haben sie nur einen Versuch, das Unternehmen umzubauen.

Die Angst der deutschen Automanager

Samuelssons Gegner dabei sind mächtig: Daimler hat gerade zwei Milliarden Euro in die Entwicklung seines neuen Aggregats gesteckt, erst diese Woche beschloss der Vorstand einen „Zukunftsplan für Dieselantriebe“. Auch Volkswagen-Chef Matthias Müller versprach neulich auf einer Konferenz in Wien, in den kommenden Jahren zehn Milliarden Euro in saubere Diesel zu investieren. Zu alledem kämpft die Bundesregierung aufseiten des Diesels. Zwar hatte sie vor ein paar Jahren noch das Ziel ausgegeben, bis 2020 eine Million Elektroautos auf den Straßen zu haben und das sogar mit Milliarden für eine E-Auto-Prämie unterstützt. Doch das ist kassiert. Stattdessen denkt man nun darüber nach, den Topf zur Umrüstung dreckiger Diesel herzunehmen.

Historische Volvo-Werbung. Quelle: Volvo

Ihnen allen macht Samuelsson mit seiner Ankündigung der Elektromobilität nun das Leben schwer. Wenn das kleine Volvo das schafft, warum dann nicht auch VW, Daimler oder BMW? Die deutschen Automanager wissen nur zu gut, was eigentlich die beste Antwort auf den Dieselskandal wäre: der Hybridantrieb. Mit der Kombination eines Benziners mit einem Elektromotor lassen sich nicht nur Abgase vermeiden, sondern auch Kosten und Sprit sparen.

Volvo etwa verspricht, seine Hybridmodelle ab 2019 zum Preis eines heutigen Dieselfahrzeugs anzubieten. Dass das geht, hat der Hybridpionier Toyota längst vorgemacht. Den hoch profitablen und weltgrößten Autobauer kostet die Herstellung eines Hybrids weniger als die eines Diesel. Seit dem Dieselskandal lernen selbst die deutschen Kunden die Vorzüge der Doppelantriebe schätzen: In diesem Jahr wurden 27 Prozent mehr Toyota in Deutschland zugelassen, bei VW dagegen schrumpften die Zulassungen um vier Prozent.

Welche Schadstoffe im Abgas stecken

Nicht, dass die deutschen Hersteller keine Hybride bauen könnten. Sie haben die Technik einst sogar erfunden. Nur: Sie mögen sie nicht, weil sie früh auf den Diesel setzten und die damit verbundenen Investitionen und Arbeitsplätze nicht einfach abschreiben wollen.

Volvo indes denkt bei seiner Entscheidung vor allem an China, den inzwischen wichtigsten Markt des Autobauers. Über 90.000 Fahrzeuge verkaufte man hier im vergangenen Jahr, mehr als doppelt so viele wie in Deutschland. Das liegt auch an der chinesischen Konzernmutter Geely, die Volvo vor sechs Jahren übernahm, den Schweden zwar kein Geld für Investitionen gab, aber drei Werke baute. Nun soll sich das natürlich rechnen. Und Peking setzt dabei voll auf alternative Antriebe. Während chinesische Hersteller keine konkurrenzfähigen Verbrennungsmotoren haben, sieht Peking im Rennen um alternative Antriebe eine Chance, mit der ausländischen Konkurrenz gleichzuziehen. Dafür überschüttet es seine heimischen Hersteller mit Fördergeldern und belegt ausländische Hersteller mit einer Zwangsquote: Ab kommendem Jahr sollen die Autobauer acht und in den Folgejahren zehn und zwölf Prozent ihrer Verkäufe mit E-Auto-Modellen machen. Schaffen sie das nicht, drohen ihnen herbe Strafen.

Man muss also etwas tun, die „Spur wechseln“, wie Samuelsson sagt. Schon heute ist China E-Auto-Markt Nummer eins. Dieses Jahr sollen bereits bis zu 800.000 Fahrzeuge mit E-Antrieben verkauft werden. Bis 2020 soll sich die Zahl verfünffachen.

Auch deshalb halten viele Beobachter Samuelssons Versprechen für glaubwürdig. Ein Freund, der ihn schon aus seiner Zeit bei Scania kennt, wo er Ende der Siebziger als Ingenieur angefangen hat, sagt, Samuelsson sei kein Schauspieler. „Er ist extrem clever, nüchtern und geht sehr strukturiert an Herausforderungen heran.“ Als ein Unternehmen mit einem chinesischen Eigentümer sei klar, dass sich Volvo jetzt auf alternative Antriebe fokussiere.

In Göteborg hört man dieses Argument nicht so gern. Dort sieht man sich als selbstbestimmten, eigenständigen Konzern – der eben gut mit China im Geschäft ist und das auf keinen Fall riskieren will. Für Samuelsson ist sein Versprechen denn auch alles andere als eine reine Inszenierung. Vielmehr, meint er, mache man sich so interessant für Kunden und für junge Talente. Schließlich biete Volvo nun die Chance, an der „Frontlinie der technischen Entwicklung“ zu arbeiten. „Man kann immer die Risiken bedenken, die eine solche Ankündigung mit sich bringt“, sagt Samuelsson. „Nur wenn man nichts sagt und nichts tut, bekommt man auch keine Vorwürfe. Aber ich glaube, das Risiko, nichts zu tun, ist viel größer, als eine klare Position zu haben.“

Die immerhin hat der Volvo-Chef nun. Und auch seine eigene Position steht bis dahin fest. Gerade hat der 66-Jährige seinen Vertrag noch mal verlängert bis 2020. Sei Ziel: „Als Volvo-Chef den ersten vollelektrischen Volvo auf der Straße zu sehen.“

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