Volvo Ein Ex-VW-Mann baut am schwedischen Autokrimi

Mit einem internationalen Team und einem chinesischen Partner will der Volvo-Chef Stefan Jacoby den Autohersteller neu justieren. Die WirtschaftsWoche durfte ihn exklusiv einige Tage lang begleiten .

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China ist seit der Übernahme von Volvo durch Geely zur zweiten Heimat der Schweden geworden.

Endlich. 29 Tage lang hatten dunkle Wolken und der Smog verhindert, dass die Bewohner von Shanghai die Sonne sahen. An diesem Donnerstag Mitte März, kurz nach Mittag, reißt der Himmel plötzlich auf. Wenige Minuten später steigt der erste Papierdrachen in den Himmel auf, dann tanzt der zweite, dritte, vierte im Wind über dem Shangfeng-Park.

In den goldbraunen Augen von Stefan Jacoby blitzt es kurz auf, die Stirn glättet sich. Man sieht ihm an: Am liebsten würde der deutsche Volvo-Chef den Konferenzraum im Marriott-Hotel jetzt verlassen, sich umziehen und eine Runde durch den Park joggen. Aber der Zeitplan für seinen 48-stündigen Aufenthalt in der chinesischen Autometropole lässt dergleichen nicht zu. Am Vorabend erst aus Genf eingeflogen, jagt seit dem frühen Morgen ein Termin den anderen: vom Zulieferer-Kongress im Bankettsaal geht es zu einem ersten Vieraugengespräch mit dem zwar ständig lächelnden, aber nur schwer zu durchschauenden Geely-Chef und Volvo-Eigner Li Shufu. Darauf folgt die feierliche Unterzeichnung eines Kooperationsvertrages mit Geely. Und nun tagt seit einer Stunde das Steering Committee, in dem wichtige Schritte der China-Strategie von Volvo festgelegt werden. Mittagessen? Ein paar Melonenscheiben müssen reichen.

Jacoby ist kein Diplomat

Auch für die Beobachtung des Drachenflugs bleiben kaum zwei Sekunden Zeit. Denn im Lenkungsausschuss geht es gerade um hochsensible Standort- und Modellfragen: Was kann man tun, damit Volvo im Heimatland des Eigners nicht länger als europäisches Unternehmen betrachtet und bei seiner Expansion gebremst wird?

Fingerspitzengefühl ist jetzt erforderlich. Jacoby („Ich bin kein Diplomat“) lässt Freeman Shen sprechen, seinen Statthalter in China. Das hat auch den Vorteil, dass kein Dolmetscher benötigt wird – das Englisch von Chairman Li ist nicht unbedingt verhandlungssicher. Shen wechselt auf Mandarin und trägt die Argumente in seiner Muttersprache vor. Jacoby und seine Vorstandskollegen, der Deutsche Axel Maschka (Einkauf), die beiden Schweden Jan Gurander (Finanzen) und Björn Sällström (Personal) sowie der Amerikaner Doug Speck (Vertrieb), verstehen jetzt erst einmal nur Bahnhof – Zeit zum Lesen der Mails auf dem Blackberry.

Sein Ziel: Im Jahr 2020 bis zu 800.000 Autos verkaufen

Schwedisch, Englisch, Deutsch, Flämisch und Chinesisch: Seit der Trennung von Ford im August 2010 und dem Verkauf für umgerechnet 1,3 Milliarden Euro an Geely hat sich das Traditionsunternehmen aus Göteborg zu einem Multikulti-Projekt entwickelt. Und Jacoby ist der Motor in diesem einzigartigen Transformationsprozess, den die gesamte Autoindustrie und die Freunde der letzten schwedischen Automarke mit Spannung verfolgen: Seit August 2010 setzt der 53-jährige Betriebswirt, geboren in Hannover und aufgewachsen in Bonn, seine ganze Kraft ein, um Volvo aus dem Mauerblümchendasein herauszuführen. Seine Ziele sind ehrgeizig: Bis 2020 („gerne auch schon früher“) will er die Verkaufszahlen von Volvo auf 800 000 Fahrzeug beinahe verdoppeln und dabei im Revier von BMW, Mercedes und Audi wildern.

Der Anfang ist gemacht: 85 Jahre nach dem Produktionsstart am 14. April 1927 steht Volvo Cars so gut da wie lange nicht mehr. Nachdem sie zwischen 2007 und 2010 regelmäßig hohe Verluste zwischen 2,7 Milliarden und 662 Millionen Dollar schrieben, weisen die Schweden seit 18 Monaten regelmäßig Gewinn aus. 2011 endete mit einem Überschuss von angeblich über 50 Millionen Euro, die finalen Zahlen stehen noch aus. Und trotz schwieriger Rahmenbedingungen steigen die Verkaufszahlen: 2011 gab es ein Plus von 20,3 Prozent auf knapp 450 000 Fahrzeuge. Das Vertrauen der Kunden in die Marke und die neuen Produkte wächst, die Vorbehalte gegen den neuen Eigner aus China schwinden offensichtlich.

In Göteborg findet eine Kulturrevolution statt

Volvo-Fertigung in Göteborg, Schweden.

Auch als Arbeitgeber ist Volvo wieder attraktiv: Am 1. Juli wechselte mit Thomas Ingenlath einer der VW-Stardesigner nach Göteborg. Bereits am 1. April hat sich Lars Wrebo, der langjährige Produktionschef von MAN, darangemacht, die Volvo-Werke in Schweden, Belgien, Malaysia und China zu reorganisieren und den weiteren Ausbau zu steuern: In der Diskussion sind neue Werke in den USA (Jacoby: „Nicht unbedingt Ultima Ratio“) und Brasilien.

Eine neue schlagkräftige Mannschaft, ein neuer Geist, neue Produkte – alles so schnell wie möglich und am besten gleichzeitig. Jacoby, der 22 Jahre für VW tätig war und dort zuletzt das USA-Geschäft verantwortete, hat sich vom ersten Tag mit ganzer Wucht auf die neue Aufgabe geworfen. In den vergangenen Monaten krempelte er nicht nur den Vorstand um. Er lehrte seine Mannschaft auch das „neue Volvo-Spiel“: ehrgeizige Ziele ins Visier nehmen, Verantwortung übernehmen – und immer wieder die Erwartungen übertreffen.

„Die Wettbewerber sind aggressiv. Seien Sie es auch“, ruft Jacoby in Shanghai seinen Verkäufern zu. Lang gediente Volvo-Mitarbeiter sprechen voller Respekt von einer „Kulturrevolution“, die Jacoby ausgelöst habe: In der Ford-Ära wurden wichtige Entscheidungen entweder in Dearborn oder London getroffen, nie in Göteborg. „Eigeninitiativen wurden nicht belohnt.“

Damit ist es nun vorbei: „Ich kenne jetzt die Probleme – wo sind Ihre Lösungen?“, blufft Jacoby in Shanghai seinen Vertriebschef für China, Richard Snijders, an, nachdem dieser in einer langen PowerPoint-Präsentation die von McKinsey identifizierten Schwachstellen der Volvo-Organisation analysiert und wortreich die Mängel einiger Handelsbetriebe beklagt hatte. Lamentieren gilt nicht. Der neue Chef will Taten sehen und treibt dazu sein Team an.

Jacoby möchte das große Rad drehen

Der Umbau von Volvo und die Loslösung vom Ford-Konzern, erzählt Jacoby in Shanghai spätabends an der Hotelbar bei einem Glas seines Lieblingsrotweins Pinot Noir, ist ein Riesenkraftakt, unter dem das Privatleben leidet. Für die Familie hätte er gerne ebenso mehr Zeit wie für den Sport. Gerade ist er von einem Abendessen zurückgekehrt, zu dem Chairman Li ihn nach der „China Deep-Dive“ genannten Konferenz spontan eingeladen hatte. Die Erschöpfung und der Jetlag sind Jacoby tief ins Gesicht geschrieben. Doch bereut habe er noch „keinen Augenblick“: „Es lockte sehr, einmal das große Rad zu drehen.“

Trotz allem - "Volvo ist noch verletzlich"

Ein Ölgemälde des Sportwagenklassikers P1800 von 1961 gibt Jacoby in seinem Büro in Göteborg Inspiration.

Nach einem blitzmäßig arrangierten Vorstellungsgespräch bei Li Shufu in Hongkong habe er das Jobangebot gleich angenommen, „aus einem Bauchgefühl heraus und ohne lange die Bücher zu studieren“. Seine in Brasilien geborene Frau sperrte sich nicht gegen den Umzug aus Washington D.C. in den oft so dunklen skandinavischen Norden: Die selbstständige Unternehmensberaterin hatte früher schon in Göteborg gearbeitet. Das neue Heim für die Familie, ein Bungalow auf der Insel Hisingen, wurde nur wenige Wochen später gekauft – per Internet.

Es war eine gute Wahl. Von der Terrasse des Hauses lässt sich bei guter Sicht der Schiffsverkehr vor der Felsenküste beobachten, an warmen Tagen lockt ein Swimmingpool zum Bad. Doch bislang hatte Jacoby kaum Zeit, zusammen mit seinem bald drei Jahre alten Sohn Alexander im Wasser zu tollen oder in der mit allen Schikanen ausgestatteten Küche zu kochen. Wichtiger ist für ihn, die acht Kilometer entfernte Volvo- City nach 10-minütiger Autofahrt zu erreichen. Denn Volvo steckt in einer schwierigen Übergangsphase, ist noch nicht über den Berg. „Wir sind immer noch sehr verletzlich“, weiß Jacoby.

Volvo muss neue Modelle aus dem Cash-Flow finanzieren

Die Rückkehr in die Gewinnzone verdankt das Unternehmen vor allem drei Autos der Baureihe 60: dem kompakten Geländewagen XC60, dem Sportkombi V60 und der Limousine S60, die sich derzeit alle sehr gut verkaufen. Der Verkauf der Oberklasse-Limousine S80 hingegen schwächelt ebenso wie der Absatz des Kompaktautos C30. Und ob sich die ehrgeizigen Wachstumspläne von Volvo bei der Unsicherheit des chinesischen Markts und der EU-Schuldenkrise halten lassen, ist derzeit mehr als ungewiss.

Gewiss, das Unternehmen steht wieder auf eigenen Beinen. Aber die Knie sind nach dem langen Aufenthalt in der Krankenstation noch wackelig. Immerhin: Der neue Eigner Geely gibt Halt und öffnet Türen auf dem chinesischen Markt: 2011 hat Volvo hier über 47 000 Autos abgesetzt – schon in drei Jahren sollen es 200 000 sein. »

Aber neue Modelle und Werke muss Volvo aus dem Cash-Flow finanzieren. Und der Investitionsstau ist groß: Ford hatte in den vergangenen Jahren nicht mehr viel in die schwedische Tochter investiert, lassen Volvo-Manager durchblicken. Umso mehr muss nun fließen – umgerechnet 1,9 Milliarden Euro waren es seit der Übernahme durch Geely. Weitere 6,8 Milliarden Euro sollen bis 2017 lockergemacht werden: für ein neues Motorenwerk, Forschung und ein großes „Technologie-Upgrade“, wie es Chairman Li im Gespräch mit der WirtschaftsWoche formuliert. „Wir wollen Volvo revitalisieren und der Marke ihre Stärke wiedergeben.“

Das klare Vorbild dient: der deutsche Autohersteller VW

Im Design ist weiter „Scandinavian Luxury“ angesagt.

Befürchtungen, aus Volvo werde mit der Zeit eine chinesische Marke, weist der Volvo-Eigner mit Nachdruck zurück: „Geely ist Geely, und Volvo ist Volvo.“ Das Know-how der schwedischen Ingenieure sei willkommen, aber Geely habe auch gute Leute und halte selbst mehr als 5000 Patente. Eine Produktion von Volvo-Autos ist freilich beschlossene Sache, und einen Export der China-Volvos in andere Länder schließt auch Jacoby nicht aus: „Das funktioniert ja auch in anderen Branchen.“

Volvo braucht den Schulterschluss mit dem chinesischen Autokonzern, um Kosten zu senken und die Profitabilität verbessern zu können. „Unsere Gewinnschwelle verschiebt sich nach oben. Das heißt: Wir müssen künftig richtig viel Geld verdienen“, warnt Jacoby immer wieder.

Einkauf, Produktion und Vertrieb stehen somit vor Herkulesaufgaben. Als Vorbild dient – wen wundert’s – Volkswagen. Vergangenen Herbst hat Volvo eine Motoren- und Plattformstrategie gestartet, die ab 2014 enorme Einspareffekte bringen sollen. Die Fünf- und Sechszylindermotoren werden schrittweise ausgemustert und durch eine neue Generation von besonders sparsamen Vierzylinder-Dieseln und -Benzinern ersetzt. Hinzu kommt eine Reihe von Hybridautos. Auch wird es künftig eine skalierbare Produkt-Architektur erlauben, Mittel- und Oberklasseautos kostengünstig zu entwickeln und auf einer Produktionslinie zu montieren.

In Shanghai unterzeichnete Jacoby zudem ein Technologieabkommen mit Geely über den gemeinsamen Einkauf von Komponenten, den Bau kleiner Motoren sowie eine Kooperation bei Elektroautos. Warum soll man sich mit fremden Herstellern um Verrechnungssätze streiten, wenn man bereits einen Partner an der Seite hat? „So“, hofft der Volvo-Chef, „geht alles einfacher und schneller.“ Weitere Allianzen sind aber nicht ausgeschlossen.

Auch die Verträge mit vielen Zulieferern müssen nach der Trennung von Ford neu verhandelt werden. In Shanghai waren 249 Vertreter von 132 internationalen und chinesischen Zuliefererunternehmen zur Supplier Convention geladen. Unter dem Motto „Hand in Hand, Good to Great“ stellte der Volvo-Vorstand den Teileherstellern seine Wachstumspläne vor – und lud sie ein, sich aktiv daran zu beteiligen.

Volvo war Zehn Jahre lang ein Anhängsel von Ford

Der Chef der Geely Holding Group Li Shufu ist der neue Herrscher über das schwedische Unternehmen. Quelle: AP

Bis 2020 will Volvo ein Viertel seiner Autoteile aus dem „zweiten Heimatmarkt“ beziehen, natürlich in erstklassiger Qualität, aber zu niedrigeren Preisen als bisher: „Bislang waren wir die lieben Jungs, jetzt sind wir nur noch die Jungs“, ließ Einkaufschef Maschka seine Zuhörer wissen. Dass einige der Zulieferervertreter später zu ihm kamen, auf die langjährigen Beziehungen zu Ford verwiesen und über den Kostendruck stöhnten, irritierte den ehemaligen Conti-Manager: „Die haben da wohl etwas missverstanden.“ Einige lebten offenbar noch in der Vergangenheit.

Volvo war gut zehn Jahre lang ein Anhängsel von Ford. Gekauft wurde das Unternehmen 1999 vom damaligen Kurzzeit-Konzernchef Jacques Nasser in einem Anflug von Größenwahn. Zwei Jahre mühte sich der heutige Linde-Chef Wolfgang Reitzle als Leiter der Premier Automotive Group, Volvo zusammen mit Lincoln, Mercury, Jaguar, Land Rover und Aston Martin in die erste Liga der Automarken zu hieven und Wohlstand durch Luxus zu schaffen.

Jacoby kannte die Schweden nur aus dem Augenwinkel

Doch nach dem Fortgang von Nasser bekamen bei Ford wieder die Erbsenzähler Oberwasser. Sie wussten nur mit Lincoln etwas anzufangen. Die Produktion von Mercury wurde 2010 beendet; Aston Martin schnappte sich ein Finanzinvestor und die beiden anderen britischen Marken die indische Tata-Gruppe. Und Volvo landete bei den Chinesen – und bei Jacoby, der die Marke mit einem Weltmarktanteil von 0,57 Prozent bis dahin nur aus dem Augenwinkel wahrgenommen hatte.

Das hat sich dramatisch gewandelt: Jacoby lebt Volvo, ob in Shanghai, Tokio oder Göteborg. Ständig ist er auf Achse. Nur zwei, drei Tage in der Woche ist er in seinem Büro in der Volvo-Zentrale anzutreffen, nach China düst er alle sechs Wochen. Siebenmeilenstiefel bräuchte man jetzt, um schnell von einer Baustelle zur anderen zu gelangen, um die vielen großen und kleinen Schwachstellen in Vertrieb und Marketing, bei Qualitätssicherung und Kostenmanagement zu beseitigen und den Abstand zu den Wettbewerbern aus Deutschland schnellstmöglich zu verkürzen. Schwarze Cowboystiefel aus Texas – handgefertigte „Rocketbusters“ („Raketenknaller“) aus Alligatorleder – müssen genügen.

Zum Verschnaufen bleibt keine Zeit

Die schweren Cowboystiefel aus schwarzem Alligatorleder, mit dem Monogram S.J. am Schaft, trägt Volvo-Chef Jacoby beim täglichen Kulturkampf gegen Unvermögen, Einfallslosigkeit und Nachlässigkeit in der Produktion ebenso wie im Vertrieb.

Es ist Freitagmorgen, Jacoby ist nach dem 12-tägigen Trip durch Asien, „fünf Hotels und vier Länder“, endlich zurück in Göteborg. Zum Verschnaufen ist keine Zeit, die Anspannung bleibt hoch. Kurz nach sieben Uhr steht der erste Termin des Tages an, das wöchentliche „Current Model Quality Meeting“, in dem sich die Experten aus Göteborg, Udevalla, dem belgischen Gent und Chongqing in China per Videokonferenz über Friktionen in der Fertigung austauschen. Es folgt eine Diskussion mit Designern, später eine Lagebesprechung mit dem Team von Volvo Schweden. Zack, zack, der Zeitplan ist ohne Gnade.

Zumindest das Outfit kann heute etwas lässiger sein. Jacoby hat den Kragen geöffnet und ist in seine „extrem komfortablen“ Lieblingsstiefel geschlüpft. Der Schreibtisch, auf dem ein Stapel Akten auf Studium und Unterschriften wartet, bleibt erst mal unbeachtet. Im Vorübergehen wird noch schnell ein Wandbild des Volvo-Klassikers P1800 („das inspiriert“) gerade gerückt. Dann geht es im Laufschritt weiter.

Bei Jacoby merkt man stets die VW-Schule

Jacoby ist die treibende Kraft, reißt aber nicht alles an sich. Er lässt referieren, er hört zu, hakt nach – wenn er Defizite spürt, unerbittlich –, gibt Ratschläge, bringt seine Erfahrungen ein, nickt ab. „Wie viele Schrauben haben wir standardisiert?“, „Was ist das beste Schwarz?“, „Von Händlern, die ihre Ziele nicht erreichen, muss man sich auch schon mal verabschieden.“ Aber er ermuntert seine Manager, Entscheidungen zu treffen und auch mal unbürokratisch ambitionierte Ziele anzugehen: „Ich werde Sie nicht killen, wenn Sie die Ziele nicht erreichen, aber Sie sollten es zumindest versucht haben.“

Vertriebsfragen sind seine Spezialität, die Arbeit am Produkt ist seine Leidenschaft – da merkt man die VW-Schule. Über die ideale Rädergröße etwa kann sich Jacoby leicht eine halbe Stunde unterhalten. Und wie VW-Chef Martin Winterkorn trägt er stets eine kleine Messlehre mit sich, um im Karosseriewerk schnell die Breite der Fugen messen zu können. Dabei ist er Betriebswirt, kein Ingenieur.

Vor allem ist er ein Mann für schwierige Fälle: Gerne, heißt es, hätte Jacoby die spanische VW-Tochter Seat ans Licht geführt, nun will er Volvo zu nie gekannter Größe bringen. Automobilexperten wie Christoph Stürmer von IHS Automotive sehen dafür gute Chancen: „In den USA ist das Potenzial der Marke unlimitiert – wenn man es richtig anpackt.“ Stürmer hält es für möglich, Volvo zur globalen Premium-Automarke für Lohas zu machen – für Menschen, die sich Nachhaltigkeit, Sicherheit und Gesundheit gerne mehr kosten lassen.

Bis 2020 den niedrigsten Flottenverbrauch schaffen

Führen durch Fragen: Sitzung der schwedischen Vertriebsgesellschaft.

Für die Sicherheit seiner Autos ist Volvo bekannt – 1959 wurde hier der Dreipunkt-Sicherheitsgurt erfunden. Und Jacoby und sein Team haben sich vorgenommen, Volvo bis 2020 zum Autohersteller mit dem niedrigsten Flottenverbrauch in Europas zu machen. Derzeit zählen die Schweden mit einem durchschnittlichen CO2-Ausstoß von 151 Gramm pro Kilometer noch zu den Klimasündern – nur Daimler ist mit 161 Gramm noch schlechter. Mit dem Hybridantrieb für den V60 und dem elektrogetriebenen C30 will Technikchef Peter Mertens aber schon 2012 im Ranking einen großen Sprung nach vorn tun.

Beim Besuch im Designstudio lässt sich die Entwicklung, die Volvo nehmen soll, erahnen. Weniger an den neuen Farben und Metalliclacken als vielmehr an der Auswahl der Materialien für den Innenraum, an den neuen Sitzen und Bedienkonzepten: „Skandinavian Luxury“ à la Volvo stellt den Menschen in den Mittelpunkt, offeriert hohen Komfort und eine Benutzerfreundlichkeit, wie man sie beim iPhone von Apple schätzen gelernt hat.

Der Nachfolger des Geländewagen-Softies XC90, der 2014 auf den Markt kommt, wird der erste Volvo neuen Typs, Nutzer der neuen Fahrzeugarchitektur und Ausdruck der neuen Markenphilosophie. Aber auch der neue viertürige Crossover Volvo V40, der im September in den Handel rollt, kündet bereits vom neuen Geist in Göteborg. Auf dem Genfer Salon Anfang März, wo das letzte Auto auf Ford-Plattform seine Weltpremiere hatte, kamen beinah alle Größen der Autoindustrie vorbei, um im V40 Probe zu sitzen: Renault-Chef Carlos Ghosn, Daimler-Chef Dieter Zetsche, vor allem aber die ehemaligen Kollegen aus VW-Zeiten, Rupert Stadler von Audi und VW-Stratege Winterkorn.

Auch „Gottvater“ Ferdinand Piëch, der Vorsitzende des VW-Aufsichtsrats, kam mit seiner Frau Ursula auf einen Plausch vorbei. Jacoby leitete von 1995 bis 1997 das Generalsekretariat des damaligen VW-Vorstandsvorsitzenden. Piëch verabschiedete sich von Jacoby mit einem Schulterklopfen: „Bauens’ nur weiter so schöne Autos, wir brauchen starke Wettbewerber.“

Er schien es ernst zu meinen.

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