Generell müssen die Autobauer also immer einen Kompromiss aus vielen Anforderungen eingehen. Zusammengefasst sind es genau vier: der Verbrauch (und proportional dazu die CO2-Emission), die Schadstoffemissionen (wie etwa Stickoxide), die Leistung (insbesondere das Beschleunigungsverhalten) und die Kosten. „Man kann die Schadstoffemission vermindern, indem man den Verbrauch steigert“, erklärt Friedrich Dinkelacker, Leiter des Instituts für Technische Verbrennung an der Leibniz-Universität Hannover. „Beispielsweise kann bei einem kalten Motor etwas mehr Kraftstoff so spät eingespritzt werden, dass das Abgasnachbehandlungssystem schneller auf seine Betriebstemperatur kommt und schneller wirksam wird.“ Das heißt mit mehr Kraftstoffaufwand, also erhöhtem Verbrauch, kann die Kaltstartphase des Motors und damit die Schadstoffemission etwas reduziert werden – für den Preis eines erhöhten Verbrauchs.
Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa
Neue Modelle werden in Deutschland und der EU nach dem Modifizierten Neuen Fahrzyklus (MNEFZ) getestet. Die Tests laufen unter Laborbedingungen, das heißt auf einem Prüfstand mit Rollen. Dies soll die Ergebnisse vergleichbar machen. Der Test dauert etwa 20 Minuten und simuliert verschiedene Fahrsituationen wie Kaltstart, Beschleunigung oder Autobahn-Geschwindigkeiten.
Getestet wird von Organisationen wie dem TÜV oder der DEKRA unter Beteiligung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Dieses untersteht wiederum dem Verkehrsministerium.
Die Prüfungen der neuen Modelle werden von ADAC und Umweltverbänden seit längerem als unrealistisch kritisiert. So kann etwa die Batterie beim Test entladen werden und muss nicht - mit entsprechendem Sprit-Verbrauch - wieder auf alten Stand gebracht werden. Der Reifendruck kann erhöht und die Spureinstellungen der Räder verändert werden. Vermutet wird, dass etwa der Spritverbrauch im Alltag so häufig um rund ein Fünftel höher ist als im Test.
Neben den Tests für neue Modelle gibt es laut ADAC zwei weitere Prüfvorgänge, die allerdings weitgehend in der Hand der Unternehmen selbst sind. So werde nach einigen Jahren der Test bei den Modellen wiederholt, um zu sehen, ob die Fahrzeuge noch so montiert werden, dass sie den bisherigen Angaben entsprechen, sagte ADAC-Experte Axel Knöfel. Zudem machten die Unternehmen auch Prüfungen von Gebrauchtwagen, sogenannte In-Use-Compliance. Die Tests liefen wieder unter den genannten Laborbedingungen. Die Ergebnisse würdem dann dem KBA mitgeteilt. Zur Kontrolle hatte dies der ADAC bei Autos bis 2012 auch selbst noch im Auftrag des Umweltbundesamtes gemacht, bis das Projekt eingestellt wurde. In Europa würden lediglich in Schweden von staatlicher Seite noch Gebrauchtwagen geprüft, sagte Knöfel.
Die EU hat auf die Kritik am bisherigen Verfahren reagiert und will ab 2017 ein neues, realistischeres Prüfszenario etablieren. Damit sollen auch wirklicher Verbrauch und Schadstoffausstoß gemessen werden ("Real Driving Emissions" - RDE). Strittig ist, inwiefern dafür die bisherigen Abgas-Höchstwerte angehoben werden, die sich noch auf den Rollen-Prüfstand beziehen.
Auch der Faktor Leistung wird von den Stickoxid-Anteilen beeinflusst. Fährt ein Auto besonders „spritzig“ und beschleunigt es schnell, könnte das durch eine Korrektur bei VW reduziert werden. Denn während sich der Verbrauch erhöht, verändert sich auch die Leistung. Insbesondere das Beschleunigungsverhalten könnte so ausgebremst werden.
USA und EU achten auf unterschiedliche Schadstoffe
Für die Autobauer – und in diesem Fall zunächst aktuell besonders für VW – ist das im Grunde das entscheidende Dilemma: Sinkende Schadstoffemissionen heißen steigender Verbrauch – und das bedeutet schließlich steigende CO2-Emissionen. Genau hier kreuzen sich EU- und US-Gesetze zu Grenzwerten von Emissionen. Denn während in den USA stärker auf die Schadstoffemissionen wie Stickoxide geachtet wird, setzt Europa auf möglichst niedrigen Verbrauch und damit auch auf niedrige CO2-Emissionen. Der Umweltsünder ist in den beiden Fällen also jeweils ein anderer.
Weil die USA sich auf die Stickoxide fokussieren, liegt dort der Grenzwert mit etwa 43 Milligramm pro Kilometer (70 Milligramm pro Meile) deutlich unter dem europäischen Grenzwert, der bei 80 Milligramm pro Kilometer liegt. Bei den in den USA beliebten V8-Saugmotoren mit großem Hubraum entsteht zwar weniger Stickoxid, dafür verbrauchen sie mehr und stoßen entsprechend viel CO2 aus. Europäische Benziner und Diesel hingegen fahren mit weniger Hubraum und großen Turbos, sind effizienter (weniger Verbrauch/CO2), aber eben wegen der hohen Einspritzdrücke anfälliger für höhere Sickoxidwerte.
Was in den Volkswagen-Werkstätten passiert, wenn die betroffenen Autos zurückgerufen sind, darüber kann derzeit nur spekuliert werden. Je nachdem, wie stark diese Einflüsse auf die manipulierten Motoren zutreffen, muss Volkswagen einiges angehen, um die Abgasqualität der betroffenen Autos zu verbessern, aber trotzdem den Leistungsstandard seiner Fahrzeuge nicht zu ruinieren.
Klar ist, dass es wahrscheinlich am Ende nicht nur bedeutet, den „Schalter umzulegen“. Noch im Oktober müssen die betroffen Marken des VW-Konzerns den zuständigen Behörden Lösungen und Maßnahmen präsentieren, die nachweisen, dass die Autos nach einem Update gesetzeskonform auf der Straße unterwegs sein werden. Das könnte sowohl Software- als auch Hardwaremaßnahmen bedeuten.
Vermintes Gelände – Volkswagen und die USA
In China, dem wichtigsten Automarkt der Welt, stampft VW ein Werk nach dem anderen aus dem Boden. In den USA zählt Europas Branchenprimus erst eines, vieles läuft dort noch nicht rund. Eine Chronologie.
VW-Chef Martin Winterkorn spricht zur Automesse in Detroit erstmals von einem neuen SUV-Modell speziell für die USA.
Nach 31 Monaten auf steilem Expansionskurs muss Volkswagens Kernmarke für den April 2013 erstmals wieder rückläufige Verkäufe melden. Seitdem finden die Wolfsburger nicht in die Spur.
Im schwelenden Streit um einen Betriebsrat für das einzige US-Werk von Volkswagen in Chattanooga droht der mächtige Konzernbetriebsrat damit, weiteres Wachstum dort zu blockieren.
Michael Horn löst Jonathan Browning als Chef von Volkswagens US-Sparte ab. Medien spekulieren, Browning müsse wegen der Verkaufszahlen gehen. Volkswagen nennt „persönliche Gründe“.
Winterkorn kündigt das neue SUV-Modell für 2016 an. „Amerika ist der weltweit härteste Automarkt“, räumt er ein. Als mögliche Produktionsorte gehen Chattanooga und Mexiko ins Rennen.
Die VW-Mitarbeiter in Chattanooga votieren gegen den Vorschlag, sich von der US-Autogewerkschaft UAW vertreten zu lassen. Damit kann VW zumindest vorerst nicht die vom Betriebsrat geforderte Arbeitnehmervertretung nach deutschem Vorbild aufbauen.
Betriebsratschef Bernd Osterloh meldet sich zu Wort. Er könne sich „durchaus vorstellen“, dass ein weiterer Standort in den USA „nicht unbedingt wieder in den Süden gehen muss“.
VW teilt mit: Der Cross Blue geht nach Chattanooga.
VW zeigt auf der Messe in Detroit neben dem bereits bekannten großen Geländewagen Cross Blue eine Coupé-Variante. Martin Winterkorn verspricht, in den USA wieder in den Angriffsmodus zurückkehren zu wollen.
Die Verkäufe gerade der Marke VW fallen nach den beiden schlechten Jahren 2013 und 2014 in den USA noch einmal schlechter aus. Von Januar bis August verkaufte in den USA 238.100 Autos und damit 2,8 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.
Quelle: dpa, scc
Die manipulierte Software dürfte zunächst durch ein Update gelöscht werden - dadurch wird dann auch auf dem Prüfstand deutlich, wie stark die Autos eigentlich die Werte überschreiten. Das könnte dann auch in Europa problematisch werden. Da die US-Umweltbehörde EPA von einer 40-fachen Erhöhung der Stickoxidwerte spricht, würde das bedeuten, dass VW auch die europäischen, lascheren Grenzwerte überschreiten wird.