VW-Abgas-Affäre Was auf Volkswagen zukommt

Die US-Regierung hat im Zuge von Dieselgate eine Klage gegen Volkswagen eingereicht. Dem Autobauer drohen jetzt angeblich bis zu 90 Milliarden Dollar Strafe. Sie haben den Überblick verloren? Die wichtigsten Fakten.

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USA: VW kommt vor Gericht. Quelle: dpa Picture-Alliance

Was werfen die USA Volkswagen vor?

Die US-Regierung hat im Abgas-Skandal Klage gegen Volkswagen eingereicht. Dem Konzern werden der Einsatz von Betrugssoftware und Verstöße gegen das Luftreinhaltegesetz „Clean Air Act“ vorgeworfen, wie das Justizministerium mitteilte. Die in Detroit (US-Staat Michigan) eingereichte Klage richte sich neben VW auch gegen die ebenfalls vom Skandal betroffenen Konzerntöchter Audi und Porsche, heißt es in der Mitteilung. Die Hersteller hätten in fast 600.000 Dieselfahrzeugen eine illegale Software („Defeat Device“) eingesetzt, um bei Emissionstests zu betrügen. VW habe den US-Umweltbehörden EPA und CARB den Einbau der verbotenen Programme bei der Zulassung der Autos verschwiegen und damit gegen US-Gesetze verstoßen.

Die Nachricht aus den USA drückte die VW-Aktien zum Handelsstart in Frankfurt umgehend ins Minus. Die Titel verloren in der Spitze 3,5 Prozent auf 121,95 Euro und bildeten damit das Schlusslicht im Dax.

Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa

Besonders brisant für VW: In der Klageschrift heißt es, der Konzern habe die Ermittlungen durch irreführende Angaben und das Vorenthalten von Material behindert. Die Wolfsburger hatten immer wieder betont, vollumfänglich mit den US-Behörden zu kooperieren. Am 18. September hatten EPA und CARB ihre Vorwürfe öffentlich gemacht. Zunächst war es nur um Manipulationen von kleineren 2,0-Liter-Dieselmotoren gegangen. Später wurde bekannt, dass auch in größeren, von Audi entwickelten 3,0-Litermotoren Software installiert wurde, die unter US-Recht verboten ist, und den Behörden nicht ordnungsgemäß offengelegt wurde.

Die von der US-Regierung eingereichte Klage ist allerdings auch eine Zivilklage – eventuelle strafrechtliche Folgen sind damit noch nicht vom Tisch. Hat die Zivilklage Erfolg, drohen dem Wolfsburger Konzern laut Berechnungen der Nachrichtenagentur Reuters Strafzahlungen in Höhe von bis zu 90 Milliarden Dollar. Andere Experten gehen eher von einem niedrigen zweistelligen Milliardenbetrag aus. Der Konzern hat für die Aufarbeitung der Abgasaffäre bislang 6,7 Milliarden Euro zurückgestellt.

Wie kommt die Summe von 90 Milliarden Dollar zusammen?

Laut der Klageschrift können bis zu 37.500 Dollar Strafzahlung pro Fahrzeug und Gesetzesverstoß verhängt werden. Bei den 600.000 Fahrzeugen, bei denen Volkswagen Manipulationen eingeräumt hat, ergeben sich so 22,5 Milliarden Dollar. Das Justizministerium wirft dem Autobauer aber vor, gegen vier Paragraphen verstoßen zu haben. Wird Volkswagen in jedem Punkt schuldig gesprochen und der Richter schöpft das Strafmaß voll aus, summiert sich das auf maximal 90 Milliarden Dollar. Bei der Summe handelt es sich jedoch um ein theoretisches Höchstmaß.

Was ist stattdessen ein realistisches Strafmaß?

Equinet-Analyst Holger Schmidt geht davon aus, dass die Strafzahlung für Volkswagen am Ende weit unter den im Raum stehenden 90 Milliarden Dollar liegen dürfte. „Letztlich kann man über die tatsächliche Höhe möglicher Strafzahlungen derzeit aber nur spekulieren“, meint der Equinet-Experte. Klar scheine aus seiner Sicht allerdings, dass die USA entschlossen sind, aus dem Fehlverhalten von VW ihren Nutzen zu ziehen und die Position des Konzerns in Amerika weiter zu schwächen.

Die Reuters-Hochrechnung von 37.500 Dollar pro Fahrzeug bei vier Gesetzesverstößen greift zu kurz. Zum einen ist die Dauer und der Zeitpunkt des Betrugs entscheidend für die mögliche Strafhöhe. Zum anderen ist bei einem Vorwurf ein viel geringeres Strafmaß vorgesehen. Die vier Vorwürfe sind im Einzelnen:

  • Der Verkauf von Neuwagen, die nicht den Gesetzen entsprechen. Das maximale Strafmaß liegt bei 32.500 Dollar pro Fahrzeug, die vor dem 13. Januar 2009 verkauft wurden. Danach sind es maximal 37.500 Dollar.
  • Der Einbau und Verkauf der „Defeat Device“. Das maximale Strafmaß liegt bei 32.500 Dollar pro Fahrzeug, die vor dem 13. Januar 2009 verkauft wurden. Danach sind es maximal 37.500 Dollar.
  • Die Manipulation selbst. Hierfür sieht die Klageschrift maximal 2750 Dollar pro Fahrzeug vor, die vor dem 13. Januar 2009 verkauft wurden. Danach sind es maximal 3750 Dollar.
  • Das Vertuschen der Manipulation beziehungsweise die Verstöße gegen die Reportpflicht. Hier sieht die Klageschrift 32.500 Dollar pro Tag vor dem 13. Januar 2009 vor, danach sind es maximal 37.500 Dollar pro Tag.

Das Höchststrafmaß liegt bei dieser Rechnung zwischen 40 und 50 Milliarden Dollar.

Strafprozess gegen VW noch nicht vom Tisch

Was sagt das Unternehmen?

Ein VW-Sprecher sagte am Montagabend in Wolfsburg: „Wir kennen die Klageschrift noch nicht im Detail und werden sie nun zunächst prüfen.“ Man sei aber in einem ständigen Austausch mit den Behörden. Bisher hätten die Gespräche mit VW dazu keine akzeptable Lösung hervorgebracht, heißt es in der Mitteilung des US-Ministeriums. „Wir arbeiten an Lösungen, aber über die Details können wir öffentlich noch nicht sprechen“, sagte ein VW-Sprecher dazu, ohne weitere Einzelheiten zu den Gesprächen zu nennen. In Deutschland startet die Rückrufaktion für betroffene Fahrzeuge in diesem Jahr.

Wann beginnt der Rückruf in den USA?

Volkswagen rechnet im Abgasskandal mit einer baldigen Zustimmung der US-Behörden zur geplanten Umrüstung der betroffenen Diesel-Fahrzeuge. „Wir sind zuversichtlich, dass wir eine akzeptable Lösung finden werden", sagte der Chef der Marke Volkswagen, Herbert Diess, auf der Technologiemesse CES in Las Vegas. Der Autobauer arbeite hart an einem überzeugenden Lösungspaket und führe mit den US-Behörden einen sehr konstruktiven Dialog. „Ich bin optimistisch, dass wir ihre Zustimmung in den kommenden Wochen und Monaten bekommen werden“, ergänzte Diess. Der Wolfsburger Konzern muss der kalifornischen Umweltbehörde CARB bis 14. Januar eine Lösung präsentieren, wie die betroffenen Fahrzeuge wieder in Einklang mit den Vorschriften zur Luftreinhaltung gebracht werden.

Im Gespräch mit Reuters erklärte Diess, das Umrüsten der älteren Modelle mit Zwei-Liter-Motor in den USA sei aufwendig. Einem Insider zufolge wird ein neues Teil gebaut, das zunächst getestet werden muss. In Europa sind die Grenzwerte für Stickoxid nicht so streng wie in den USA. Die technische Lösung ist deshalb einfacher: Bei den meisten der rund 8,5 Millionen betroffenen Fahrzeuge in Europa reicht ein Software-Update, in kleine Motoren muss ein Kunststoffteil eingebaut werden.

Was bedeutet das für die Zivilklagen von geschädigten US-Kunden?

Vorerst nichts. Die Zivilklage des Justizministeriums wurde zwar in Michigan eingereicht, soll aber wie die anderen Zivilklagen gegen VW nach Kalifornien transferiert werden. Insgesamt laufen mehr als 500 Zivilklagen von Privatpersonen gegen VW, in denen es hauptsächlich um Betrug und Vertragsbruch geht.

Warum wurde die Klage in Michigan eingereicht?

Der Grund ist recht simpel: Weil Volkswagen Geschäfte in Michigan macht. „Dieses Gericht hat eine persönliche Gerichtsbarkeit über die Beklagte Volkswagen AG nach dem Unternehmensrecht des Staates Michigan, weil die Volkswagen AG Geschäfte in Michigan tätigt“, heißt es in der Klageschrift. Zudem wird ausgeführt, dass die 100-prozentige Tochter Volkswagen Group of America ein Entwicklungs- und Umwelt-Büro in Auburn Hills, Michigan unterhalte, in dem auch zahlreiche Meetings abgehalten und die Kommunikation mit dem EPA-Büro in Ann Arbor (ebenfalls Michigan) gesteuert wurde. Somit kommt dem Büro in Auburn Hills eine Sonderrolle zu.

Wie geht es jetzt weiter?

Das Ministerium kündigte an, alle geeigneten Rechtsmittel auszuschöpfen. Bei der Klage handele es sich nur um einen ersten Schritt, erklärte die zuständige Bundesanwältin Barbara McQuade. Das könnte bedeuten, dass auf VW auch noch strafrechtliche Konsequenzen zukommen – zu der aktuellen und den zahlreichen anderen Zivilklagen. „Wir unternehmen einen wichtigen Schritt, um die öffentliche Gesundheit zu schützen, indem wir versuchen, Volkswagen für jegliche widerrechtliche Luftverschmutzung zur Rechnung zu ziehen“, sagte Cynthia Giles von der Umweltbehörde EPA, in deren Auftrag die Klage eingereicht wurde.

Ein möglicher Strafprozess ist aber noch nicht vom Tisch – das Justizministerium ermittelt gegen VW auch wegen Betruges. Die Argumentation: Durch die Manipulationen seien die Verbraucher und die Aufsichtsbehörden in den USA getäuscht worden. In einem solchen strafrechtlichen Prozess ist die Beweislast allerdings höher als in einem zivilrechtlichen Verfahren.

Mit Agenturmaterial von Reuters und dpa

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