VW-Abgas-Affäre Was Volkswagen in den Werkstätten tun muss

Volkswagen ruft nach dem Skandal um Abgas-Manipulationen die betroffenen Autos zurück in die Werkstatt. Das korrigiert zwar die Verfehlungen des Autobauers, macht die Motoren aber nicht besser. Im Gegenteil.

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VW-TDI-Motoren im zwei Ansichten. Quelle: dpa, Montage

Nach dem Abgas-Skandal muss VW handeln. VW-Dieselwagen werden ab sofort zurückgerufen und „ausgebessert“, so der Schlachtplan des Wolfsburger Autobauers. Von einem Software-Update ist die Rede. Der Makel soll so mit einem Werkstattbesuch behoben werden können. Der Schritt ist notwendig für Kundenvertrauen, Imagekorrektur und nicht zuletzt auch aus rechtlichen Gründen.

„Wir arbeiten mit Hochdruck an einer technischen Lösung, die wir so rasch wie möglich dem Handel, unseren Kunden und der Öffentlichkeit präsentieren werden“, betonte etwa Herbert Diess, Vorstandsvorsitzender der Marke Volkswagen Pkw. Ziel sei es, die Kunden schnellstmöglich zu informieren, „damit ihre Fahrzeuge vollumfänglich den Vorschriften entsprechen. Ich versichere Ihnen, dass Volkswagen alles Menschenmögliche unternehmen wird, um das Vertrauen unserer Kunden, der Händler und der Öffentlichkeit wieder zu gewinnen“, so Diess.

Rund fünf Millionen Fahrzeuge der Marke VW sollen zurück in die Werkstatt. Darunter der VW Golf der sechsten Generation, der Passat (7. Generation) und die erste Baureihe des Geländewagens Tiguan. Betroffene Kunden erfahren per Post, wenn auch ihr Fahrzeug nachgebessert werden muss. Audi-Kunden können inzwischen über eine eigens eingerichtete Website erfahren, ob ihr Auto betroffen ist. Die notwendigen technischen Lösungen, die bei dem angekündigten Rückruf nachgerüstet werden sollen, werden laut einem Unternehmenssprecher aber noch erarbeitet und den zuständigen Behörden im Oktober vorgestellt. Bis dahin heißt es erst einmal warten.

Der Schummel-Motor wird nicht mehr gebaut

Entscheidendes Stichwort: die Motornummer EA 189. Dieser Diesel-Motortyp mit 1,6- und 2-Litern Hubraum ist es, um den sich der Manipulationsskandal bislang dreht. Der EA (Entwicklungsauftrag) 189 wurde zwischen 2008 und 2013 verbaut und war eine Art Allzweckwaffe des Konzerns. Er kam bei VW vom Beetle bis zum Multivan zum Einsatz und auch in zahlreichen Modellen bei Audi, Seat und Skoda. Eventuell könnten laut Verkehrsminister Alexander Dobrindt darüber hinaus auch die 1,2-Liter-Diesel-Motoren betroffen sein. Sicher ist das aber noch nicht.

Der VW-Abgas-Skandal im Überblick

In den neueren Modellen wie dem aktuellen Golf, Passat oder A3, die auf dem Modularen Querbaukasten (MQB) des Konzerns basieren, kommt der Motor nicht mehr zum Einsatz – da wird der EA 288 verbaut.
Viele Umwelt-Experten fordern seit Bekanntwerden der Manipulationen einen solchen Rückruf. Für VW-Kunden heißt das zum einen, dass sie eine Zeit lang auf ihre Autos verzichten müssen. Zum anderen ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Autos anders zurückkommen sehr hoch und das nicht nur in Bezug auf die Manipulationssoftware, sondern auch in Sachen Verbrauch und Leistung.

Ein sparsamerer Motor, ein erhöhter Verbrauch

Wenn Volkswagen die betroffenen Modelle zurückruft, bekommen die Fahrzeuge in den Werkstätten größter Wahrscheinlichkeit nach einfach ein Software-Update, um die Manipulationssoftware zu überspielen.
Konkret bedeutet das im positiven Sinne, dass die VW-Autos dann so fahren, wie es von vorneherein der Umwelt zuliebe hätte sein sollen – also in erster Linie mit niedrigeren Stickoxidwerten.

Diese Veränderung könnte gleichzeitig aber auch bedeuten, dass sich der Verbrauch der Fahrzeuge erhöht oder die Leistung beeinträchtigt wird: „Alle Abgasnachbehandlungsmaßnahmen haben Auswirkungen auf die Motorleistung und damit die Fahrbarkeit des Autos“, sagt Wolfgang Eifler, Inhaber des Lehrstuhls für Verbrennungsmotoren in der Fakultät für Maschinenbau der Ruhr-Universität Bochum (RUB). „Je mehr man zur Einhaltung der Abgasgrenzen vom optimalen Motorbetriebspunkt abweichen muss, desto mehr verliert der Motor an Drehmoment und an Beschleunigungsverhalten.“ Soll heißen: Die Abgase des Autos enthalten weniger Stickoxide, aber das Auto beschleunigt langsamer.

Entweder sauber oder stark

Generell müssen die Autobauer also immer einen Kompromiss aus vielen Anforderungen eingehen. Zusammengefasst sind es genau vier: der Verbrauch (und proportional dazu die CO2-Emission), die Schadstoffemissionen (wie etwa Stickoxide), die Leistung (insbesondere das Beschleunigungsverhalten) und die Kosten. „Man kann die Schadstoffemission vermindern, indem man den Verbrauch steigert“, erklärt Friedrich Dinkelacker, Leiter des Instituts für Technische Verbrennung an der Leibniz-Universität Hannover. „Beispielsweise kann bei einem kalten Motor etwas mehr Kraftstoff so spät eingespritzt werden, dass das Abgasnachbehandlungssystem schneller auf seine Betriebstemperatur kommt und schneller wirksam wird.“ Das heißt mit mehr Kraftstoffaufwand, also erhöhtem Verbrauch, kann die Kaltstartphase des Motors und damit die Schadstoffemission etwas reduziert werden – für den Preis eines erhöhten Verbrauchs.

Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa

Auch der Faktor Leistung wird von den Stickoxid-Anteilen beeinflusst. Fährt ein Auto besonders „spritzig“ und beschleunigt es schnell, könnte das durch eine Korrektur bei VW reduziert werden. Denn während sich der Verbrauch erhöht, verändert sich auch die Leistung. Insbesondere das Beschleunigungsverhalten könnte so ausgebremst werden.

USA und EU achten auf unterschiedliche Schadstoffe

Für die Autobauer – und in diesem Fall zunächst aktuell besonders für VW – ist das im Grunde das entscheidende Dilemma: Sinkende Schadstoffemissionen heißen steigender Verbrauch – und das bedeutet schließlich steigende CO2-Emissionen. Genau hier kreuzen sich EU- und US-Gesetze zu Grenzwerten von Emissionen. Denn während in den USA stärker auf die Schadstoffemissionen wie Stickoxide geachtet wird, setzt Europa auf möglichst niedrigen Verbrauch und damit auch auf niedrige CO2-Emissionen. Der Umweltsünder ist in den beiden Fällen also jeweils ein anderer.

Weil die USA sich auf die Stickoxide fokussieren, liegt dort der Grenzwert mit etwa 43 Milligramm pro Kilometer (70 Milligramm pro Meile) deutlich unter dem europäischen Grenzwert, der bei 80 Milligramm pro Kilometer liegt. Bei den in den USA beliebten V8-Saugmotoren mit großem Hubraum entsteht zwar weniger Stickoxid, dafür verbrauchen sie mehr und stoßen entsprechend viel CO2 aus. Europäische Benziner und Diesel hingegen fahren mit weniger Hubraum und großen Turbos, sind effizienter (weniger Verbrauch/CO2), aber eben wegen der hohen Einspritzdrücke anfälliger für höhere Sickoxidwerte.

Was in den Volkswagen-Werkstätten passiert, wenn die betroffenen Autos zurückgerufen sind, darüber kann derzeit nur spekuliert werden. Je nachdem, wie stark diese Einflüsse auf die manipulierten Motoren zutreffen, muss Volkswagen einiges angehen, um die Abgasqualität der betroffenen Autos zu verbessern, aber trotzdem den Leistungsstandard seiner Fahrzeuge nicht zu ruinieren.

Klar ist, dass es wahrscheinlich am Ende nicht nur bedeutet, den „Schalter umzulegen“. Noch im Oktober müssen die betroffen Marken des VW-Konzerns den zuständigen Behörden Lösungen und Maßnahmen präsentieren, die nachweisen, dass die Autos nach einem Update gesetzeskonform auf der Straße unterwegs sein werden. Das könnte sowohl Software- als auch Hardwaremaßnahmen bedeuten.

Vermintes Gelände – Volkswagen und die USA

Die manipulierte Software dürfte zunächst durch ein Update gelöscht werden - dadurch wird dann auch auf dem Prüfstand deutlich, wie stark die Autos eigentlich die Werte überschreiten. Das könnte dann auch in Europa problematisch werden. Da die US-Umweltbehörde EPA von einer 40-fachen Erhöhung der Stickoxidwerte spricht, würde das bedeuten, dass VW auch die europäischen, lascheren Grenzwerte überschreiten wird.

VW muss langfristig umdenken

Klar ist, zunächst muss dafür gesorgt werden, dass der Motor von sich aus schon wenige Stickoxide produziert – und zwar dauerhaft und nicht nur über einen gewissen Zeitraum. Abgesehen von der Betrüger-Software laufen die Motoren einwandfrei. Nur eben nicht regelkonform. Möchte Volkswagen das bewerkstelligen (sowohl bei den Schadstoff- als auch den CO2-Emissionen) und gleichzeitig den Kunden nicht deutlich verbrauchsstärkere und leistungsärmere Autos zurückgeben, dürfte das somit einige Versuche und Test bedeutet und damit viel Zeit und auch einiges an Geld. Vor allem weil mit mehr Verbrauch auch höhere CO2-Emissionen einhergehen (die in Europa ja strenger geahndet werden), könnte dies sonst auch rechtlich schwierig werden.

Für die Zukunft muss VW in jedem Fall umdenken. Das hat sich auch sein Nachfolger Matthias Müller auf die Fahne geschrieben: „Meine vordringlichste Aufgabe wird es sein, Vertrauen für den Volkswagen Konzern zurückzugewinnen – durch schonungslose Aufklärung und maximale Transparenz, aber auch, indem wir die richtigen Lehren aus der aktuellen Situation ziehen.“ Unter seiner Führung werde der Wolfsburger Autobauer versuchen „die strengsten Compliance- und Governance-Standards der gesamten Branche zu entwickeln und umzusetzen“, versprach er.

Zwei Technologien können helfen

Um ohne Schummeleien die Grenzen generell einhalten zu können und trotzdem „spritzige“ Autos vom Band laufen zu lassen, bietet die Forschung den Autobauern heute bereits verschiedene Möglichkeiten. Die kommen zwar schon zum Einsatz - effektiv aber nicht. Das könnte laut Mutmaßungen wohl das Hauptmotiv VWs für die Abgas-Manipulationen sein.

Was VW 2014 in den USA verkauft hat

Derzeit gibt es zwei Technologien: Harnstoff-Einspritzung (AdBlue ist hier der umschreibende Begriff für Harnstoff) und Speicherkatalysatoren. Bei den Ottomotoren hat sich der Speicherkatalysator durchgesetzt, der kein zusätzliches Reduktionsmittel nötig macht und für den Pkw eine günstige Methode ist. Bei den Dieselmotoren werden beide Systeme angewandt.

„Die Speicherkatalysatoren sind einfacher“, erklärt Dinkelacker von der Leibniz-Universität. Deshalb seien sie bei modernen kleineren Dieselmotoren üblich. Sie seien allerdings weniger wirksam. Wirkungsvoller ist aber das AdBlue-System, bei dem durch das Einspritzen von Harnstoff Stickoxide gebunden und somit reduziert werden. Dieses System hat aber höhere Anforderungen – sowohl an die Bauart des Autos als auch an den Fahrer. „Der technische Aufwand und damit sowohl der Preis als auch der notwendige Bauraum sind groß“, sagt Dinkelacker. Denn für den Harnstoff ist ein zweiter Tank notwendig und es muss nachgefüllt werden: „Da der Harnstoff im Betrieb verbraucht wird, muss man ihn etwa bei jeder zehnten bis 20. Betankung des Fahrzeugs auch den Harnstoff nachfüllen“, erklärt RUB-Professor Eifler. Für den Fahrer bedeutet das dann Mehraufwand und setzt erhöhte Fachkenntnis voraus.

Neu und unerprobt sind die Technologien also ganz sicher beide nicht. In Pkw werden sie schließlich durchaus auch schon verbaut und „bei neueren Nutzfahrzeugen ist die Technologie heute absolut eingeführt“, sagt Dinkelacker. „Man setzt sie allerdings aus Kostengründen nur dort ein, wo die gültige Abgasvorschrift dies erfordert“, so Eifel.

In der Forschung und Weiterentwicklung dieser Systeme und letztlich dann auch der Nutzung sollte die Zukunft liegen, wenn die Autobauer sich den in Deutschland heiß geliebten Diesel erhalten wollen. In den eh schon kritischen USA dürften Diesel-Autos jetzt definitiv auf der Abschussrampe stehen.

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