Der Star-Anwalt Kenneth Feinberg will die drohenden Schadenersatz-Ansprüche gegen Volkswagen in den USA wegen der Abgas-Affäre möglichst gering halten und rasch abwickeln. Er sehe gute Chancen auf eine Einigung mit VW-Kunden außerhalb eines normalen, langwierigen Gerichtsverfahrens, sagte der Jurist dem „Handelsblatt“ (Mittwoch): „Wenn mein Programm so wie geplant funktioniert, dann wird der Prozess viel schneller, effizienter und kostengünstiger sein und die Unsicherheiten beseitigen.“
In den Vereinigten Staaten hatte der Skandal um geschönte Test-Messwerte von Stickoxid-Abgasen begonnen. Volkswagen bereitet dort einen Rückruf von Fahrzeugen mit manipulierter Motor-Software vor. Dem Konzern drohen Klagen mit Forderungen in mehrstelliger Millionenhöhe. In Deutschland startet die Rückrufaktion Ende Januar.
Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa
Neue Modelle werden in Deutschland und der EU nach dem Modifizierten Neuen Fahrzyklus (MNEFZ) getestet. Die Tests laufen unter Laborbedingungen, das heißt auf einem Prüfstand mit Rollen. Dies soll die Ergebnisse vergleichbar machen. Der Test dauert etwa 20 Minuten und simuliert verschiedene Fahrsituationen wie Kaltstart, Beschleunigung oder Autobahn-Geschwindigkeiten.
Getestet wird von Organisationen wie dem TÜV oder der DEKRA unter Beteiligung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Dieses untersteht wiederum dem Verkehrsministerium.
Die Prüfungen der neuen Modelle werden von ADAC und Umweltverbänden seit längerem als unrealistisch kritisiert. So kann etwa die Batterie beim Test entladen werden und muss nicht - mit entsprechendem Sprit-Verbrauch - wieder auf alten Stand gebracht werden. Der Reifendruck kann erhöht und die Spureinstellungen der Räder verändert werden. Vermutet wird, dass etwa der Spritverbrauch im Alltag so häufig um rund ein Fünftel höher ist als im Test.
Neben den Tests für neue Modelle gibt es laut ADAC zwei weitere Prüfvorgänge, die allerdings weitgehend in der Hand der Unternehmen selbst sind. So werde nach einigen Jahren der Test bei den Modellen wiederholt, um zu sehen, ob die Fahrzeuge noch so montiert werden, dass sie den bisherigen Angaben entsprechen, sagte ADAC-Experte Axel Knöfel. Zudem machten die Unternehmen auch Prüfungen von Gebrauchtwagen, sogenannte In-Use-Compliance. Die Tests liefen wieder unter den genannten Laborbedingungen. Die Ergebnisse würdem dann dem KBA mitgeteilt. Zur Kontrolle hatte dies der ADAC bei Autos bis 2012 auch selbst noch im Auftrag des Umweltbundesamtes gemacht, bis das Projekt eingestellt wurde. In Europa würden lediglich in Schweden von staatlicher Seite noch Gebrauchtwagen geprüft, sagte Knöfel.
Die EU hat auf die Kritik am bisherigen Verfahren reagiert und will ab 2017 ein neues, realistischeres Prüfszenario etablieren. Damit sollen auch wirklicher Verbrauch und Schadstoffausstoß gemessen werden ("Real Driving Emissions" - RDE). Strittig ist, inwiefern dafür die bisherigen Abgas-Höchstwerte angehoben werden, die sich noch auf den Rollen-Prüfstand beziehen.
Wie viel sein Programm VW kosten wird, konnte Feinberg noch nicht sagen. Von einer Obergrenze sei bisher jedenfalls nicht die Rede gewesen, sagte er der Zeitung. Kunden, die sich auf sein Programm einließen, müssten ihren Verzicht auf den üblichen Rechtsweg in den USA erklären: „Sie können ihn (den Konzern) vor Gericht verklagen - oder eine attraktive Alternative wählen und damit ihr Recht aufgeben, das Unternehmen zu verklagen.“ Diese Alternative könne „finanzielle Vergütungen“ oder die Inzahlungnahme betroffener Autos umfassen.
Feinberg gilt als Experte für große Entschädigungsfälle. Er hatte unter anderem die Regelungen für die Opfer der Terrorattacken vom 11. September 2001, für die Betroffenen der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko nach einer Explosion auf der BP-Plattform „Deepwater Horizon“ und die Umstände eines Rückrufs bei General Motors ausgearbeitet.
Volkswagens US-Chef Michael Horn setzt große Erwartungen in den Juristen. „Seine große Erfahrung im Umgang mit solch komplexen Dingen wird uns dabei helfen, nach vorne zu schreiten und die Dinge im Sinne unserer Kunden zu richten“, hatte er in der vergangenen Woche gesagt.
In Deutschland ziehen sich die Ermittlungen zur Abgas-Affäre in die Länge. Es müsse dabei ein möglicher Tatzeitraum von bis zu zehn Jahren aufgearbeitet werden, hatte der zuständige Braunschweiger Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe der „Süddeutschen Zeitung“ mit Blick auf die strafrechtlichen Untersuchungen wegen Betrugsverdachts gesagt.
Wegen der falschen Abgaswerte bahnen sich auch in Deutschland teure Zivilklagen enttäuschter Autofahrer und VW-Aktionäre an. Anders als in den USA gibt es hierzulande jedoch kein Sammelklage-Verfahren: Jeder Autofahrer, der glaubt, einen Schaden erlitten zu haben, muss diesen dokumentieren, beweisen und dann selbst geltend machen.