
Hätte man den Sachverhalt nicht besser erst in aller Ruhe und Heimlichkeit untersucht – oder war es besser, die von einem VW-Mitarbeiter gebeichteten „Unregelmäßigkeiten“ bei der Bestimmung des CO2-Wertes für die Typzulassung von Fahrzeugen gleich öffentlich zu machen? Die Frage wird jetzt natürlich unter den Kommunikationsstrategen des Volkswagen-Konzerns heiß diskutiert. Denn seit Mittwoch weiß man: Vom Skandal um gefälschte Verbrauchsdaten bleibt nicht viel mehr als heiße Luft.
Statt bei 130 Automodellen von VW, Skoda, Seat, Audi und VW-Nutzfahrzeuge weichen die Messwerte nur bei neun Modellen und Modellvarianten von den an die Zulassungsbehörden gemeldeten Daten ab. Statt 800.000 Fahrzeuge sind nun wohl nur noch etwa 36.000 Autos betroffen. Und selbst hier liegen die Abweichungen innerhalb der gesetzlichen Toleranzen, so dass nach Stand der Dinge wohl keine Nachbesserungen an den Fahrzeugen erforderlich sind.
Die Aufsichtsräte des Konzerns wie der Porsche Automobil-Holding hatten Anfang November noch befürchten müssen, wenigstens zwei Milliarden Euro für Rückrufe und Reparaturen sowie für Steuer-Nachzahlungen aufwenden und die Gewinnziele erneut revidieren zu müssen. Vier Wochen später sind die Risiken deutlich kleiner geworden, muss allenfalls mit Kosten in Millionenhöhe für die Nachprüfungen gerechnet werden.
Der Stickoxid-Skandal ist längst noch nicht ausgestanden
Das sorgt nicht nur in der Konzernzentrale für Erleichterung und bei den fünf VW-Managern, gegen die die Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung ermittelte, sondern auch im Autohandel, bei Leasinggesellschaft – und an der Börse: Der Kurs der VW-Aktie schoss nach Bekanntgabe des Prüfberichts um fünf Prozent in die Höhe.
Ist also nun alles wieder gut? Mitnichten. Der Skandal um manipulierte Abgastests und gefälschte Stickoxid-Angaben in den USA ist noch längst nicht ausgestanden. Auch warten die betroffenen Käufer von Dieselautos dort immer noch auf eine Antwort auf die Frage, wie ihre Autos wieder gesetzeskonform werden. Hierzulande wissen die Autobesitzer zwar inzwischen, wie ihre Vierzylinder-Diesel wieder fit gemacht werden sollen. Aber wann ihr Auto in die Werkstatt kommt, steht immer noch nicht fest. Die Ungewissheit besteht auch bei den Autobesitzern fort, die einen Sechszylinder-Diesel von Audi unter der Haube haben: Die technischen Lösungen, die hier diskutiert werden – ein einfaches Software-Update und ein Austausch des Katalysators bei älteren Fahrzeugen – ist von den Genehmigungsbehörden in USA und Europa noch nicht abgesegnet.
Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa
Neue Modelle werden in Deutschland und der EU nach dem Modifizierten Neuen Fahrzyklus (MNEFZ) getestet. Die Tests laufen unter Laborbedingungen, das heißt auf einem Prüfstand mit Rollen. Dies soll die Ergebnisse vergleichbar machen. Der Test dauert etwa 20 Minuten und simuliert verschiedene Fahrsituationen wie Kaltstart, Beschleunigung oder Autobahn-Geschwindigkeiten.
Getestet wird von Organisationen wie dem TÜV oder der DEKRA unter Beteiligung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Dieses untersteht wiederum dem Verkehrsministerium.
Die Prüfungen der neuen Modelle werden von ADAC und Umweltverbänden seit längerem als unrealistisch kritisiert. So kann etwa die Batterie beim Test entladen werden und muss nicht - mit entsprechendem Sprit-Verbrauch - wieder auf alten Stand gebracht werden. Der Reifendruck kann erhöht und die Spureinstellungen der Räder verändert werden. Vermutet wird, dass etwa der Spritverbrauch im Alltag so häufig um rund ein Fünftel höher ist als im Test.
Neben den Tests für neue Modelle gibt es laut ADAC zwei weitere Prüfvorgänge, die allerdings weitgehend in der Hand der Unternehmen selbst sind. So werde nach einigen Jahren der Test bei den Modellen wiederholt, um zu sehen, ob die Fahrzeuge noch so montiert werden, dass sie den bisherigen Angaben entsprechen, sagte ADAC-Experte Axel Knöfel. Zudem machten die Unternehmen auch Prüfungen von Gebrauchtwagen, sogenannte In-Use-Compliance. Die Tests liefen wieder unter den genannten Laborbedingungen. Die Ergebnisse würdem dann dem KBA mitgeteilt. Zur Kontrolle hatte dies der ADAC bei Autos bis 2012 auch selbst noch im Auftrag des Umweltbundesamtes gemacht, bis das Projekt eingestellt wurde. In Europa würden lediglich in Schweden von staatlicher Seite noch Gebrauchtwagen geprüft, sagte Knöfel.
Die EU hat auf die Kritik am bisherigen Verfahren reagiert und will ab 2017 ein neues, realistischeres Prüfszenario etablieren. Damit sollen auch wirklicher Verbrauch und Schadstoffausstoß gemessen werden ("Real Driving Emissions" - RDE). Strittig ist, inwiefern dafür die bisherigen Abgas-Höchstwerte angehoben werden, die sich noch auf den Rollen-Prüfstand beziehen.
Und dann ist da der politische Flurschaden, der wesentlich schwerer wiegt als der Imageschaden für Volkswagen oder die Aufwendungen für Rückrufe und Reparaturmaßnahmen. Die Finanzminister der EU-Länder, die nach der Bekanntgabe der Unregelmäßigkeiten bei den CO2-Werten schnell Steuernachzahlungen geltend gemacht hatten, müssen nun zusehen, wie sie die Löcher in ihren Haushalten mit Einnahmen an anderen Stellen stopfen können.
Volkswagen hilft nur Offenheit und Ehrlichkeit
Aber die Politik ist nun durch den Diesel-Skandal und die CO2-Affäre aufgewacht – der Regulierungsdruck der EU und der Verkehrsminister wird weiter hoch bleiben. Nicht nur der Volkswagen-Konzern wird weiter mit Argusaugen beäugt werden – die gesamte Autoindustrie steht inzwischen unter dem Generalverdacht, bei Abgas- und Verbrauchswerten geschummelt, getrickst und gelogen zu haben. Die gesetzlichen Tests werden deshalb ebenso verschärft werden wie die Prüfbedingungen. Um ihr eigenes Versagen zu kaschieren, schwadronieren einige Autohasser und Umweltschützer im Bundestag und in Landesparlamenten über neue Tempolimits.
Ja, wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er denn die Wahrheit spricht. Deshalb war die Entscheidung von VW richtig, die Unregelmäßigkeiten bei der Bestimmung des CO2-Werts öffentlich zu machen. Ein Versteckspiel mit Nachprüfungen an dutzenden Automodellen wäre schnell aufgeflogen, der Schaden dann sicher noch größer geworden.
Nein, nur mit Transparenz und einer neuen Unternehmenskultur, mit Offenheit und Ehrlichkeit kommt Volkswagen aus der schwersten Krise der Unternehmensgeschichte. Auch wenn man damit Aufsichtsräte und Anleger schon einmal mächtig erschrecken kann.