
Der Abgas-Skandal zwingt den Volkswagen-Konzern zum Verschieben seiner Jahresbilanz und des jährlichen Aktionärstreffens. Die späteren Termine seien unerlässlich wegen „offener Fragestellungen im Zusammenhang mit den Folgen der Abgasthematik und den daraus resultierenden Bewertungsfragen“, teilte die Volkswagen AG am Freitag in Wolfsburg mit.
Für die ursprünglich für März und April anberaumten Termine werde es „zeitnah“ neue Daten geben. Zudem teilte VW mit, dass 2015 ein Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) „auf dem Niveau des Vorjahres“ erwartet werde - jedoch vor sogenannten Sondereinflüssen wie etwa der bereits erfolgten milliardenschweren Rückstellung für die Abgas-Affäre.
So könnte VW die "Dieselgate"-Kosten schultern
Der Abgas-Skandal kratzt nicht nur am Image des Volkswagen-Konzerns - er dürfte vor allem sehr teuer werden. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Kosten des Skandals und wie VW sie stemmen könnte.
Quelle: dpa
Darüber rätseln Beobachter derzeit. Bislang bekannt ist: Volkswagen hat 6,5 Milliarden Euro für Kosten aus dem Abgas-Skandal zurückgelegt. Das Geld ist aber wohl in erster Linie für eine technische Umrüstung der Autos mit Manipulations-Software bestimmt, wie Finanzchef Hans Dieter Pötsch laut dem Fachblatt „Automobilwoche“ kürzlich vor VW-Managern erklärte. Unklar ist, welche Strafzahlungen auf VW zukommen. Dazu dürften noch mindestens drei andere mögliche Kostenblöcke kommen: Strafzahlungen, Schadenersatzforderungen, Anwaltskosten. Wie hoch diese Ausgaben sein werden, lässt sich derzeit nur grob schätzen. Die Landesbank Baden-Württemberg rechnet derzeit mit einem Schaden von 47 Milliarden Euro für den Konzern. Ein möglicher Imageverlust und damit verbunden ein Rückgang der Autoverkäufe ist dabei noch nicht eingerechnet. Allerdings werden die Kosten wohl nicht auf einmal anfallen, sondern sich über Jahre verteilen.
Vergleichsweise viel. VW hat sich in den vergangenen Jahren ein stattliches Kapitalpolster zugelegt. Zur Jahresmitte hatte der Konzern rund 18 Milliarden Euro Bargeld auf dem Konto. Das ist mehr als ganze Dax-Konzerne wie Adidas oder Lufthansa einzeln an der Börse wert sind. „Über den Daumen gepeilt kann VW davon die Hälfte verwenden, um mögliche Kosten zu begleichen“, sagt Nord-LB-Analyst Frank Schwope. Dazu kommen bei VW noch schnell veräußerbare Wertpapiere über 15 Milliarden Euro und Schätzungen zufolge mindestens 5 Milliarden Euro aus dem Verkauf der Beteiligungen am ehemaligen Partner Suzuki und an einer niederländischen Leasingfirma.
Das ist sehr unwahrscheinlich. VW könnte sich über Anleihen und Kredite Geld leihen, auch wenn einige Ratingagenturen ihre Bewertungen der Kreditwürdigkeit des Konzerns zuletzt angepasst hatten. Wenn es irgendwann hart auf hart käme, könnte Volkswagen immer noch sein Tafelsilber verkaufen. Am einfachsten ließen sich wohl die Luxusmarken Bentley, Bugatti und Lamborghini aus dem Konzern herausnehmen. Nord-LB-Analyst Schwope schätzt den möglichen Verkaufserlös für die drei Marken und den Motorradhersteller Ducati auf 5 bis 10 Milliarden Euro. Durch einen Verkauf der Lastwagenbauer MAN und Scania ließen sich nach seinen Berechnungen sogar 30 bis 35 Milliarden Euro erzielen. Das wertvollste Juwel in der Sammlung, den Sportwagenbauer Porsche, dürften die VW-Anteilseigner kaum abgeben wollen.
Nur begrenzt. Eine Kapitalerhöhung - also die Ausgabe neuer Aktien - ist bei VW nicht so leicht wie in anderen Konzernen. Damit die Familien Porsche und Piëch sowie das Land Niedersachsen als Anteilseigner ihre Macht im Konzern nicht verlieren, darf sich deren jeweiliger Anteil an den Stammaktien nicht stark verringern. Vor allem Niedersachsen dürfte aber derzeit kaum ein Interesse daran haben, weitere Stammaktien zu kaufen und Geld in den VW-Konzern zu stecken. VW könnte deshalb wohl höchstens neue Vorzugsaktien ausgeben, das sind Aktien ohne Stimmrecht auf der Hauptversammlung des Konzerns. Laut Aktiengesetz darf die Zahl dieser Vorzugsaktien die Zahl der Stammaktien allerdings nicht übersteigen. VW könnte deshalb höchstens rund 114 Millionen neue Aktien ausgeben und damit auf Basis derzeitiger Kurse rund 11 Milliarden Euro einsammeln.
In der Regel setzen Sparmaßnahmen bei großen Konzernen zuerst bei den Mitarbeitern an: Weniger Gehalt, Einstellungsstopps, bis hin zu Stellenstreichungen und Entlassungen. Bei Volkswagen wäre das allerdings nicht so einfach. Die Arbeitnehmervertreter haben in Wolfsburg deutlich mehr Macht als in anderen Konzernen. Einfacher wäre die Kürzung geplanter Investitionen. Hier hatte Volkswagen angepeilt, bis 2019 eine Summe von mehr als 100 Milliarden Euro in Standorte, Modelle und Technologien zu stecken. Laut Experte Schwope könnte VW hier den Rotstift ansetzen und so 2 Milliarden Euro jährlich sparen, vor allem bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Nur: Dann besteht die Gefahr, von der Konkurrenz abgehängt zu werden. Der Zeitpunkt wäre denkbar ungünstig - die Autoindustrie steht durch Digitalisierung und Elektroantriebe vor einem Umbruch.
Der Kurs der VW-Vorzugsaktie war am Freitag kurzfristig abermals unter die Marke der 100 Euro gerutscht, zeigte sich aber nach der Ankündigung der verschobenen Termine stabil bis positiv. In einer ersten Reaktion war es jedoch zunächst für kurze Zeit steil nach unten gegangen. Der Wert der stimmrechtslosen Vorzugspapiere hat seit dem Ausbruch der Krise im Herbst rund ein Drittel eingebüßt.
Der Konzern hatte ursprünglich vorgehabt, am 10. März in Berlin seine Jahresbilanz zu präsentieren und am 21. April seine Hauptversammlung in Hannover abzuhalten. Bei dem Aktionärstreffen wollte der Autobauer zudem Zwischenstände geben zur Aufklärung des Skandals und der Schuldfrage. Dieses zeitliche Ziel bleibe trotz der Verschiebung erhalten. Die Planung laufe weiter in Richtung zweite Aprilhälfte.
Die VW-Dachgesellschaft Porsche SE, die gut 50 Prozent der Stimmrechte an Europas größtem Autobauer hält, verschiebt ebenfalls die Vorstellung ihres Jahresabschlusses. Bisher war die Porsche SE von einem Konzernergebnis nach Steuern von 0,8 Milliarden Euro bis 1,8 Milliarden Euro für 2015 ausgegangen. Am Freitag betonte das Unternehmen erneut, diese Prognose stehe unter Vorbehalt. Die Bilanz-Pressekonferenz der Porsche SE war bisher für den 15. März und die Hauptversammlung für den 4. Mai geplant.