Einen Zeitrahmen für die kommenden Entwicklungen in der Abgas-Affäre könnte der Fall des VW-Kronzeugen James L. bieten – des einzigen VW-Vertreters, der neben den sechs Beschuldigten bislang von der US-Justiz angeklagt wurde. Der deutsche Staatsbürger L. arbeitete im US-Testcenter von Volkswagen im kalifornischen Oxnard und bekannte sich schuldig, die Abschaltvorrichtung für die betroffenen Dieselmotoren mit entwickelt zu haben. Im Juni vergangenen Jahres wurde er festgenommen und im September angeklagt. Bereits Mitte Januar war ein Urteil gegen James L. erwartet worden. Dies dürfte sich nun um einige Monate verschieben. Der Anwalt von James L., der Frankfurter Strafverteidiger Gero von Pelchrzim, war für eine Auskunft nicht zu erreichen. Seine Kanzlei teilte mit, dass von Pelchrzim für ein Mandat in den USA weilt.
Das Urteil gegen James L. dürfte auch ein Indikator dafür sein, wie die US-Justiz mit den Angeklagten im VW-Fall umgeht. Mit einem harten Urteil könnte die Justiz die Aussagebereitschaft der anderen Angeklagten möglicherweise zu erhöhen versuchen.
Unabhängig von der strafrechtlichen Aufarbeitung gegen einzelne Manager und Ingenieure hat VW mit dem aktuellen Milliardenvergleich eine Baustelle in den USA geschlossen. Neben den 4,1 Milliarden Euro Strafzahlung hatte Volkswagen sich bereits bei Hunderten US-Zivilklagen von Kunden, Autohändlern und Behörden auf Vergleiche geeinigt, die über 17 Milliarden Dollar kosten könnten. Im September 2015 hatte der Konzern eingeräumt, die Emissionswerte Hunderttausender Dieselwagen in den USA gefälscht zu haben. Dies stürzte Volkswagen in eine tiefe Krise.
Trotz des Vergleichs zwischen VW und dem US-Justizministerium raten namhafte Strafverteidiger VW-Vorständen jedenfalls nicht zu Reisen in die USA. Die Gefahr, dass die Behörden sie festhalten könnten, sei nach wie vor nicht gebannt, sagten mehrere Juristen gegenüber der WirtschaftsWoche.
Das gilt auch für die fünf derzeit noch freien Beschuldigten: Deutschland liefert zwar keine Bundesbürger an Länder außerhalb der EU aus, doch die USA können einen internationalen Haftbefehl beantragen – damit könnten die Beschuldigten festgesetzt werden, wenn sie Deutschland verlassen.
„Wir raten Klienten, gegen die im Ausland ermittelt wird, immer, das deutsche Staatsgebiet nicht zu verlassen“, sagte der Bonner Anwalt Heiko Lesch der Nachrichtenagentur „Bloomberg“. „Das gilt für jede Untersuchung im Ausland, zumindest wenn wir über ernste Vergehen sprechen.“