VW-Abgas-Skandal Nach dem Deal ist vor dem Deal

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Warum die Beschuldigten in Deutschland bleiben sollten

Einen Zeitrahmen für die kommenden Entwicklungen in der Abgas-Affäre könnte der Fall des VW-Kronzeugen James L. bieten – des einzigen VW-Vertreters, der neben den sechs Beschuldigten bislang von der US-Justiz angeklagt wurde. Der deutsche Staatsbürger L. arbeitete im US-Testcenter von Volkswagen im kalifornischen Oxnard und bekannte sich schuldig, die Abschaltvorrichtung für die betroffenen Dieselmotoren mit entwickelt zu haben. Im Juni vergangenen Jahres wurde er festgenommen und im September angeklagt. Bereits Mitte Januar war ein Urteil gegen James L. erwartet worden. Dies dürfte sich nun um einige Monate verschieben. Der Anwalt von James L., der Frankfurter Strafverteidiger Gero von Pelchrzim, war für eine Auskunft nicht zu erreichen. Seine Kanzlei teilte mit, dass von Pelchrzim für ein Mandat in den USA weilt.

Das Urteil gegen James L. dürfte auch ein Indikator dafür sein, wie die US-Justiz mit den Angeklagten im VW-Fall umgeht. Mit einem harten Urteil könnte die Justiz die Aussagebereitschaft der anderen Angeklagten möglicherweise zu erhöhen versuchen.

Volkswagen versucht Comeback in den USA
Ein Gitarrist spielt Blues, an einer Leinwand strahlt ein Bild von der Skyline Detroits und auf der Bühne steht ein extra für die USA gebauter Geländewagen. „We want to reignite America's Love for Volkswagen“, sagt Markenchef Herbert Diess - VW will Amerikas „Liebe“ für VW wieder entfachen. Diese hat nach dem „Dieselgate“ schweren Schaden genommen. Kurz vor Beginn der Automesse in Detroit will der Autobauer eine Botschaft vermitteln: VW hat verstanden. Quelle: AP
Nach einem Einbruch im US-Geschäft wähnt sich die Marke auf dem Weg der Besserung. Die Verkäufe auf dem wichtigen US-Markt haben angezogen - trotz des Verkaufsstopps für Dieselfahrzeuge, der nach den Manipulationen verhängt wurde. „We are here to stay“, sagt Amerika-Chef Hinrich Woebcken - Volkswagen will bleiben. Und VW will mehr. Europas größter Autobauer, der in den USA vor allem im Vergleich mit den hier starken asiatischen Autobauern nur ein kleines Licht ist, will in den Staaten ein Comeback einläuten. Innerhalb der nächsten zehn Jahre wolle VW ein „wichtiger und profitabler Volumenhersteller“ in den USA werden, kündigt Diess an. Das ist zwar ein großes Ziel, aber der Zeitraum ist auch sehr lang. Nicht ausgeschlossen, dass der 58 Jahre alte Diess dann gar nicht mehr Markenchef in Wolfsburg ist. Quelle: AP
Die USA waren für VW auch vor Dieselgate ein schwieriges Pflaster. Seit 2007 weist VW bereits keine Gewinnkennzahlen mehr für die USA aus. Schon damals waren die Zahlen rot. VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh nannte das US-Geschäft einmal eine „Katastrophenveranstaltung“. Branchenexperten halten es aber zumindest für möglich, dass VW den Abgasskandal in den USA abschütteln kann: „Die Leute haben ein kurzes Gedächtnis“, sagt Sandy Schwartz vom Marktforschungsunternehmen Cox Automotive mit Blick auf die Dieselkrise. VW habe das Potenzial, in den kommenden Jahren zurückzukommen. Quelle: dpa
Erreichen will VW dies mit für die USA maßgeschneiderten Modellen wie mit einer Variante des Tiguan, der für den US-Markt ein wenig länger ist als für Europa. Vor allem mit einer Offensive im SUV-Segment soll die Wende in den USA erreicht werden. Dazu passt auch die neue Rollenverteilung: statt eines Wolfsburger Zentralismus wie früher sollen nun die einzelnen Regionen mehr Verantwortung bekommen. Quelle: dpa
Die Zukunft des Diesel in den USA dagegen ist offen. VW habe nicht vor, den Diesel in den USA wieder einzuführen, sagt Diess - fügt aber hinzu: nichts sei ausgeschlossen. Quelle: dpa
Die Dieselkrise seit dem Herbst 2015 hat tiefe Spuren hinterlassen bei VW und den Autobauer in eine tiefe Krise gestürzt. Und „Dieselgate“ ist noch lange nicht ausgestanden. Noch vor der Amtseinführung von Donald Trump als US-Präsident am 20. Januar könnte Volkswagen Medienberichten zufolge einen Milliardenvergleich mit dem US-Justizministerium erreichen - und zwar noch in dieser Woche. Dabei geht es um strafrechtliche Ermittlungen. Die damit verbundene Strafzahlung dürfte dem „Wall Street Journal“ zufolge bei mehreren Milliarden Dollar liegen. Zivilrechtlich hat sich VW mit Klägern und Behörden bereits im Grundsatz geeinigt, VW muss mehr als 17 Milliarden Dollar zahlen. Quelle: dpa
Die Verhandlungen mit der US-Justiz sind auch der Grund dafür, dass einer fehlte in Detroit: VW-Konzernchef Matthias Müller sparte sich die Reise in die US-Metropole. Offizielle Begründung: Es gibt kein eigenes Veranstaltungsformat des Volkswagen-Konzerns, deshalb kommt auch der Konzernvorstand nicht. Quelle: dpa

Unabhängig von der strafrechtlichen Aufarbeitung gegen einzelne Manager und Ingenieure hat VW mit dem aktuellen Milliardenvergleich eine Baustelle in den USA geschlossen. Neben den 4,1 Milliarden Euro Strafzahlung hatte Volkswagen sich bereits bei Hunderten US-Zivilklagen von Kunden, Autohändlern und Behörden auf Vergleiche geeinigt, die über 17 Milliarden Dollar kosten könnten. Im September 2015 hatte der Konzern eingeräumt, die Emissionswerte Hunderttausender Dieselwagen in den USA gefälscht zu haben. Dies stürzte Volkswagen in eine tiefe Krise.

Trotz des Vergleichs zwischen VW und dem US-Justizministerium raten namhafte Strafverteidiger VW-Vorständen jedenfalls nicht zu Reisen in die USA. Die Gefahr, dass die Behörden sie festhalten könnten, sei nach wie vor nicht gebannt, sagten mehrere Juristen gegenüber der WirtschaftsWoche.

Das gilt auch für die fünf derzeit noch freien Beschuldigten: Deutschland liefert zwar keine Bundesbürger an Länder außerhalb der EU aus, doch die USA können einen internationalen Haftbefehl beantragen – damit könnten die Beschuldigten festgesetzt werden, wenn sie Deutschland verlassen.

„Wir raten Klienten, gegen die im Ausland ermittelt wird, immer, das deutsche Staatsgebiet nicht zu verlassen“, sagte der Bonner Anwalt Heiko Lesch der Nachrichtenagentur „Bloomberg“. „Das gilt für jede Untersuchung im Ausland, zumindest wenn wir über ernste Vergehen sprechen.“

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