
Ferdinand Piëch und Martin Winterkorn hatten ein gemeinsames Ziel: Bis 2018 wollten sie Toyota als Weltmarktführer ablösen. Das sollte in jeder Hinsicht gelten - bei Absatz, Profitabilität, Innovation, Kundenzufriedenheit. Drei Jahre vor dem Ziel liegen die Japaner nur noch beim operativen Gewinn mit über zehn Prozent Marge uneinholbar vorn.
Doch die Krone des globalen Verkaufskönigs war schon in diesem Jahr greifbar nahe, wofür Cheflenker Winterkorn mit einer Vertragsverlängerung bis Ende 2016 belohnt werden sollte: Denn im ersten Halbjahr hatte Volkswagen erstmals mehr Fahrzeuge als Toyota verkauft, zumindest wenn man die Schwerlaster von MAN und Scania mitrechnet. Damit war VW auf gutem Weg, die Spitze schon 2015 zu übernehmen. Daraus wird nun definitiv nichts. Toyota fährt aller Voraussicht nach das vierte Jahr in Folge vorneweg.
Der VW-Abgas-Skandal im Überblick
Die US-Umweltbehörde EPA teilt in Washington mit, Volkswagen habe eine spezielle Software eingesetzt, um die Messung des Schadstoffausstoßes bei Abgastests zu manipulieren. In den Tagen darauf wird klar, dass weltweit Fahrzeuge von VW und der Töchter betroffen sind – darunter auch Audi und Porsche. Die VW-Aktie bricht ein.
VW-Chef Martin Winterkorn tritt nach einer Krisensitzung der obersten Aufseher zurück. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig prüft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen VW. Anlass dafür seien auch eingegangene Strafanzeigen von Bürgern, heißt es.
Der VW-Aufsichtsrat tagt. Nach langer Sitzung beruft das Gremium Porsche-Chef Matthias Müller zum neuen Konzernchef und trifft einige weitere Personal- und Strukturentscheidungen. Verantwortliche Motorenentwickler werden beurlaubt.
Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen. Entgegen einer ersten Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Braunschweig gibt es keine Ermittlungen gegen Ex-Chef Martin Winterkorn persönlich.
Das Aufsichtsrats-Präsidium beschließt, Hans Dieter Pötsch per registergerichtlichen Anordnung in den Aufsichtsrat zu berufen. Das ist möglich, weil mehr als 25 Prozent der Aktionäre Pötsch favorisiert haben. Die Familien Porsche und Piëch, die Pötsch gegen die Bedenken des Landes Niedersachsens und der Arbeitnehmer durchgesetzt haben, halten über die Porsche SE rund 52 Prozent der VW-Anteile. Julia Kuhn-Piëch, die erst dieses Jahr nach dem Rücktritt von Ferdinand und Ursula Piëch in das Kontrollgremium aufgerückt war, verlässt den Aufsichtsrat wieder.
Es ist klar, dass die betroffenen VW-Fahrzeuge in die Werkstatt müssen, damit die Schummel-Software verschwindet. Bei einigen Motorenwerden die Techniker selbst Hand anlegen müssen. Eine Rückruf-Aktion, so wird es am nächsten Tag bekannt werden, soll 2016 starten. Die geschäftlichen und finanziellen Folgender Krise sind nicht absehbar. Die Kosten der Abgas-Affäre werden jedoch enorm sein. Der neue Chef muss sparen: "Deshalbstellen wir jetzt alle geplantenInvestitionen nochmal auf denPrüfstand", kündigt Müller an.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnet einen verpflichtenden Rückruf aller VW-Dieselautos mit der Betrugssoftware an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,4 Millionen Wagen in die Werkstatt. VW hatte eine freiwillige Lösung angestrebt.
Der Skandal beschert dem Konzern im dritten Quartal einen Milliardenverlust. Vor Zinsen und Steuern beläuft sich das Minus auf rund 3,5 Milliarden Euro.
Der Skandal erreicht eine neue Dimension. VW muss - nach weiteren Ermittlungen der US-Behörden - einräumen, dass es auch Unregelmäßigkeiten beim Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) gibt. Rund 800.000 Fahrzeuge könnten betroffen sein. Die VW-Aktie geht erneut auf Talfahrt.
Der Diesel-Skandal in den USA weitet sich aus. Erneut. Es seien mehr Drei-Liter-Diesel der Marken Volkswagen und Audi betroffen, als bislang angenommen, erklärt die US-Umweltbehörde EPA. Die Autobauer bestreiten dies zunächst. Wenige Tage später, am 24. November, müssen sie allerdings einräumen, ein sogenanntes „Defeat Device“ nicht offengelegt zu haben. Die Software gilt in den USA als illegal.
Die Auswirkungen des Skandal zwingen VW zudem zum Sparen: VW fährt die Investitionen für das kommende Jahr runter. 2016 sollen die Sachinvestitionen um eine Milliarde Euro verringert werden. „Wir fahren in den kommenden Monaten auf Sicht“, sagt VW-Chef Müller. Weitere Ausgaben bleiben auf dem Prüfstand.
Neuer Ärger für Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt nun auch wegen mögliche Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit falschen CO2-Angaben. Die könnten dazu geführt haben, dass zu wenig Kfz-Steuer gezahlt wurde.
Zumindest etwas Positives für die Wolfsburger: Zur Nachrüstung der millionenfach manipulierten Dieselmotoren mit 1,6 Litern Hubraum in Europa reicht nach Angaben von Volkswagen ein zusätzliches, wenige Euro teures Bauteil aus. Bei den 2,0-Liter-Motoren genügt ein Software-Update. Das Kraftfahrtbundesamt genehmigt die Maßnahmen. Auch wenn VW keine Angaben zu den Kosten macht – es hätte schlimmer kommen können.
Vielleicht wäre es dazu möglicherweise auch ohne Dieselgate gekommen. Schon im Juli hatte Toyota die Wolfsburger beim Weltabsatz wieder knapp überholt. Im August bauten die Japaner ihren Vorsprung auf rund 50.000 Einheiten aus: Die Toyota-Gruppe produzierte in den ersten acht Monaten fast 6,6 Millionen Fahrzeuge. VW kam auf weltweit 6,55 Millionen Auslieferungen.
China-Schwäche lässt Absätze sinken
Denn der weltgrößte Automarkt China, wo Volkswagen fast 40 Prozent seiner Fahrzeuge verkauft, stagnierte bis August auf dem Niveau des Vorjahres. Zugleich nahmen einheimische Marken den ausländischen Herstellern und ihren chinesischen Partnern Marktanteile ab. Das hat die Verkäufe des Marktführers Volkswagen gedrückt. In den ersten sieben Monaten summierte sich das VW-Minus in China auf 7,7 Prozent. Jedoch wird ein neuer Steuernachlass für Autos mit kleinen Motoren diese Marktkrise abmildern.
Trotz China-Schwäche ist der VW-Weltabsatz bis August nur um 1,5 Prozent zum Vorjahr gesunken. Bei Toyota ging es um 3,3 Prozent und damit mehr als doppelt so schnell rückwärts. Daher hätte es in den nächsten Monaten eine gute Überholchance für die Deutschen gegeben. Aber der Abgas-Skandal hat sie nun zunichte gemacht. "Winterkorn war kurz davor, sich in der Herrlichkeit der Weltmarktführung sonnen", sagte Karl Brauer vom US-Online-Autoverkäufer Kelley Blue Book dem Finanzdienst Bloomberg. "Aber der weltweite Versuch, die Aufsichtsbehörden hinters Licht zu führen, deutet auf eine dunkle Seite des Wachstums von VW hin."
Toyota und Co. werden vom Abgas-Skandal profitieren
Nun muss VW bescheiden werden: Das beschädigte Vertrauen in die Marke werde den VW-Absatz in einem Jahr um ein bis vier Prozent drücken, schätzt Analyst Harald Hendrikse von Morgan Stanley. Das entspricht 100.000 bis 400.000 Fahrzeugen. Seine Prognose beruht auf einem Vergleich mit den Absatzeinbrüchen nach den Toyota-Rückrufen wegen klemmender Gaspedale 2009/10 und den Todesfällen bei General Motors wegen defekter Zündschlösser 2014/15.
Masataka Kunigimoto vom japanischen Analysehaus Nomura rechnet mit steigenden Marktanteilen für japanische Hersteller zu Lasten von Volkswagen in Europa und China. Das Geschäft von Toyota & Co. werde davon profitieren, dass sich die Autokäufer vom Diesel abwenden und vermehrt für Hybridmotoren entscheiden. "Der Skandal könnte Hybrid-Herstellern wie Toyota Rückenwind verleihen, weil sie einen Rivalen weniger haben", meinte auch Masayuki Kubota, Chefstratege vom japanischen Brokerhaus Rakuten. Rund 14 Prozent der Toyota-Modelle werden mit einem Benzin-Elektro-Motor verkauft, nur zwölf Prozent haben einen Dieselmotor. Bei Volkswagen ist der Dieselanteil doppelt so hoch und der Hybridanteil winzig.