
Volkswagen denkt einem Agenturbericht zufolge über Eintauschprämien für manipulierte Dieselfahrzeuge als Alternative zur Reparatur nach. Händler könnten den betroffenen Wagen in Zahlung nehmen und weitere Anreize für einen Neukauf anbieten, berichtete die Deutsche Presse-Agentur am Sonntag unter Berufung auf Konzernkreise und VW-Partner. Das würde sich für den Konzern vor allem bei Motoren mit 1,6 Liter Hubraum lohnen, weil bei diesen nicht ein einfacher Software-Update ausreicht, um die Manipulation zu beheben, sondern aufwendige und teurere Nachbesserungen nötig sind. Für den Rückruf der weltweit bis zu elf Millionen betroffenen Autos hat VW 6,5 Milliarden Euro zur Seite gelegt. Für das dritte Quartal wird der größte Autobauer Europas deshalb Analystenschätzungen zufolge einen Verlust von gut zwei Milliarden Euro ausweisen.
Allein in Deutschland muss der Konzern 2,4 Millionen Fahrzeuge zurückrufen, europaweit sind es 8,5 Millionen. Bei den meisten Motoren genüge es, die alte Software, die die Abgas-Emissionen bei Tests manipulierte, zu ersetzen, hatte VW bereits erklärt. Bei rund drei Millionen 1,6-Liter-Motoren müsse aber auch die Motortechnik erneuert werden. Ein nötiges Bauteil dafür muss erst noch entwickelt werden und steht VW zufolge nicht vor September 2016 zur Verfügung.
So könnte VW die "Dieselgate"-Kosten schultern
Der Abgas-Skandal kratzt nicht nur am Image des Volkswagen-Konzerns - er dürfte vor allem sehr teuer werden. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Kosten des Skandals und wie VW sie stemmen könnte.
Quelle: dpa
Darüber rätseln Beobachter derzeit. Bislang bekannt ist: Volkswagen hat 6,5 Milliarden Euro für Kosten aus dem Abgas-Skandal zurückgelegt. Das Geld ist aber wohl in erster Linie für eine technische Umrüstung der Autos mit Manipulations-Software bestimmt, wie Finanzchef Hans Dieter Pötsch laut dem Fachblatt „Automobilwoche“ kürzlich vor VW-Managern erklärte. Unklar ist, welche Strafzahlungen auf VW zukommen. Dazu dürften noch mindestens drei andere mögliche Kostenblöcke kommen: Strafzahlungen, Schadenersatzforderungen, Anwaltskosten. Wie hoch diese Ausgaben sein werden, lässt sich derzeit nur grob schätzen. Die Landesbank Baden-Württemberg rechnet derzeit mit einem Schaden von 47 Milliarden Euro für den Konzern. Ein möglicher Imageverlust und damit verbunden ein Rückgang der Autoverkäufe ist dabei noch nicht eingerechnet. Allerdings werden die Kosten wohl nicht auf einmal anfallen, sondern sich über Jahre verteilen.
Vergleichsweise viel. VW hat sich in den vergangenen Jahren ein stattliches Kapitalpolster zugelegt. Zur Jahresmitte hatte der Konzern rund 18 Milliarden Euro Bargeld auf dem Konto. Das ist mehr als ganze Dax-Konzerne wie Adidas oder Lufthansa einzeln an der Börse wert sind. „Über den Daumen gepeilt kann VW davon die Hälfte verwenden, um mögliche Kosten zu begleichen“, sagt Nord-LB-Analyst Frank Schwope. Dazu kommen bei VW noch schnell veräußerbare Wertpapiere über 15 Milliarden Euro und Schätzungen zufolge mindestens 5 Milliarden Euro aus dem Verkauf der Beteiligungen am ehemaligen Partner Suzuki und an einer niederländischen Leasingfirma.
Das ist sehr unwahrscheinlich. VW könnte sich über Anleihen und Kredite Geld leihen, auch wenn einige Ratingagenturen ihre Bewertungen der Kreditwürdigkeit des Konzerns zuletzt angepasst hatten. Wenn es irgendwann hart auf hart käme, könnte Volkswagen immer noch sein Tafelsilber verkaufen. Am einfachsten ließen sich wohl die Luxusmarken Bentley, Bugatti und Lamborghini aus dem Konzern herausnehmen. Nord-LB-Analyst Schwope schätzt den möglichen Verkaufserlös für die drei Marken und den Motorradhersteller Ducati auf 5 bis 10 Milliarden Euro. Durch einen Verkauf der Lastwagenbauer MAN und Scania ließen sich nach seinen Berechnungen sogar 30 bis 35 Milliarden Euro erzielen. Das wertvollste Juwel in der Sammlung, den Sportwagenbauer Porsche, dürften die VW-Anteilseigner kaum abgeben wollen.
Nur begrenzt. Eine Kapitalerhöhung - also die Ausgabe neuer Aktien - ist bei VW nicht so leicht wie in anderen Konzernen. Damit die Familien Porsche und Piëch sowie das Land Niedersachsen als Anteilseigner ihre Macht im Konzern nicht verlieren, darf sich deren jeweiliger Anteil an den Stammaktien nicht stark verringern. Vor allem Niedersachsen dürfte aber derzeit kaum ein Interesse daran haben, weitere Stammaktien zu kaufen und Geld in den VW-Konzern zu stecken. VW könnte deshalb wohl höchstens neue Vorzugsaktien ausgeben, das sind Aktien ohne Stimmrecht auf der Hauptversammlung des Konzerns. Laut Aktiengesetz darf die Zahl dieser Vorzugsaktien die Zahl der Stammaktien allerdings nicht übersteigen. VW könnte deshalb höchstens rund 114 Millionen neue Aktien ausgeben und damit auf Basis derzeitiger Kurse rund 11 Milliarden Euro einsammeln.
In der Regel setzen Sparmaßnahmen bei großen Konzernen zuerst bei den Mitarbeitern an: Weniger Gehalt, Einstellungsstopps, bis hin zu Stellenstreichungen und Entlassungen. Bei Volkswagen wäre das allerdings nicht so einfach. Die Arbeitnehmervertreter haben in Wolfsburg deutlich mehr Macht als in anderen Konzernen. Einfacher wäre die Kürzung geplanter Investitionen. Hier hatte Volkswagen angepeilt, bis 2019 eine Summe von mehr als 100 Milliarden Euro in Standorte, Modelle und Technologien zu stecken. Laut Experte Schwope könnte VW hier den Rotstift ansetzen und so 2 Milliarden Euro jährlich sparen, vor allem bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Nur: Dann besteht die Gefahr, von der Konkurrenz abgehängt zu werden. Der Zeitpunkt wäre denkbar ungünstig - die Autoindustrie steht durch Digitalisierung und Elektroantriebe vor einem Umbruch.
Die Nachrüstung dieser Fahrzeuge in den Werkstätten wird also erheblich teurer. Deshalb könnte sich für VW eine Anreizzahlung für den Eintausch gegen einen Neuwagen ähnlich der vor Jahren gezahlten staatlichen Abwrackprämie lohnen. Es sei aber noch nichts entschieden, hieß es in dem Agenturbericht. Ein VW-Sprecher erklärte, es sei tägliches Geschäft, dass Konzern und Händler über Angebote für Kunden nachdächten.
Unterdessen zog Volkswagen weitere personelle Konsequenzen aus dem Abgasskandal: Der Leiter des Bereichs Antriebstechnologie sei beurlaubt worden, sagten zwei Insider der Nachrichtenagentur Reuters. Interne Ermittlungen liefen. Der Abgasskandal hatte Ex-VW-Chef Martin Winterkorn den Job gekostet, weitere drei Entwicklungschefs wurden beurlaubt.
VW erwägt Beförderungsstopp
VW lotet unter dem neuen Vorstandschef Matthias Müller derzeit alle Möglichkeiten aus, um als Folge des Abgasskandals die Kosten zu senken. So wolle der Wolfsburger Konzern bei der nächsten Generation des Kassenschlagers Golf möglichst viele aktuelle Bauteile erneut verwenden und dadurch Hunderte Millionen Euro sparen, berichtete das "Manager Magazin" unter Berufung auf Konzern-Insider. Dazu solle es im kommenden Jahr keine Beförderungen geben.
Betriebsratschef Bernd Osterloh nannte das in einer schriftlichen Stellungnahme eine "bloße Symbolpolitik", die die Arbeitnehmervertreter nicht akzeptierten. "Wir erwarten andere Symbole zuerst: zum Beispiel eine klare Aussage, wie sich der Konzernvorstand zu seinen Boni-Zahlungen stellt." Die Manager müssten hier mit gutem Beispiel vorangehen. Ein VW-Sprecher lehnte einen Kommentar ab.
Bei der Konzerntochter Audi sicherte Personalvorstand Thomas Sigi den Beschäftigten zu, dass die bis 2018 geltende Beschäftigungsgarantie eingehalten wird. "Diese Abmachung gilt", sagte Sigi der "Heilbronner Stimme" in einem Interview, das im Audi-Intranet veröffentlicht wurde. Audi wolle trotz des Diesel-Abgasskandals an seinen Wachstumszielen festhalten und wie geplant neue Mitarbeiter einstellen. Außerdem werde Audi auch im kommenden Jahr eine Erfolgsbeteiligung ausschütten. Die Mitarbeiter könnten mit einer "ansehnlichen Summe" rechnen.
Wie stark Volkswagen unter dem Abgasskandal leiden wird, ist noch nicht klar. Neben den reinen Kosten für Rückrufaktionen, Gerichtsverfahren und mögliche Schadenersatzforderungen ist auch der Vertrauensverlust der Kunden ein Problem. Im Oktober spürte der Konzern nach den Worten von Stephan Weil, niedersächsischer Ministerpräsident und Mitglied im VW-Aufsichtsrat, noch keine Auswirkungen bei den Verkäufen. Der Absatz sei bisher stabil geblieben, hatte er vergangene Woche gesagt.
Die Quartalszahlen, die VW am Mittwoch veröffentlicht, werden darüber auch keinen Aufschluss geben, denn sie betreffen den Zeitraum Juli bis September. Analysten rechnen mit einem Umsatzplus von drei Prozent. Unter dem Strich wird VW aber allein wegen der 6,5 Milliarden Euro an Rückstellungen tief in die roten Zahlen rutschen. VW-Chef Müller hat bereits weitere Rückstellungen für den Fall, dass der Absatz sinkt, nicht ausgeschlossen.