VW-Abgasskandal Warum VW noch keinen Schlussstrich ziehen kann

Der finale Abschluss des Milliarden-Vergleichs im US-Rechtsstreit ist für VW ein wichtiger Meilenstein. Ausgestanden wäre der Fall aber noch nicht: Es gibt weitere juristische Risiken, die noch sehr teuer werden könnten.

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Die Schaufenster eines Volkswagen-Händlers in Boston. Quelle: dpa

Der Vergleich im Abgas-Skandal scheint nur noch Formsache zu sein, doch die Affäre wird den VW-Konzern in den USA weiter verfolgen. Auch wenn der zuständige Richter Charles Breyer nach seiner Anhörung an diesem Dienstag die finale Zustimmung zum Kompromiss mit US-Klägern geben dürfte, wäre der Fall damit noch nicht ausgestanden. Wo lauern weitere Fallstricke und was sind die größten Risiken? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Um was geht es bei der Gerichtsanhörung?

Richter Breyer will bekanntgeben, ob er dem zwischen VW und US-Zivilklägern ausgehandelten Kompromiss zur Beilegung des Rechtsstreits endgültig zustimmt. Davor will er sich noch einmal umfassend von den Streitparteien informieren lassen. Die Agenda der Anhörung lässt vermuten, dass dies einige Stunden dauern könnte. Die Entscheidung dürfte entweder direkt im Anschluss oder in den nächsten Tagen fallen. VW hatte sich mit geschädigten Kunden sowie US-Behörden auf eine Vergleichszahlung von bis zu 14,7 Milliarden Dollar (13,4 Milliarden Euro) verständigt. Später erhöhte sich die Summe durch Einigungen mit Staatsanwälten und Autohändlern auf 16,5 Milliarden Dollar.

Dass Breyer den bislang teuersten Vergleich in der Automobil-Geschichte genehmigen wird, gilt als sehr wahrscheinlich. Der Richter hatte das Entschädigungsangebot des Konzern bereits vor Monaten als fair und angemessen eingestuft. Bei der finalen Entscheidung geht es vor allem darum, ob die Offerte auch bei den Hunderttausenden betroffenen Dieselbesitzern Anklang findet. Hohe Annahmequoten haben aber bereits gezeigt, dass das wohl der Fall ist.

Warum ist der Abgas-Skandal in den USA damit nicht bewältigt?

Bei der bislang erzielten Einigung geht es um rund 475.000 VW-Dieselwagen mit kleineren 2,0-Liter-Motoren. Bei etwa 85.000 Dickschiffen des Konzerns, die mit 3,0-Liter-Antrieb der Tochter Audi unterwegs sind, ringt man weiterhin mit den US-Behörden um eine Lösung. Bis zur nächsten Anhörung am 3. November will Breyer konkrete Vorschläge sehen, wie diese laut US-Regulierern ebenfalls mit illegaler Software zur Abgaskontrolle ausgerüsteten Autos in einen gesetzeskonformen Zustand versetzt werden können.

Wo VW überall zur Kasse gebeten wird
Italien will bis zu fünf Millionen EuroVW muss in Italien wegen des Abgasskandals um Dieselfahrzeuge bis zu fünf Millionen Euro Strafe zahlen. Es gehe um Verkäufe von Autos auf dem italienischen Markt ab 2009, bei denen die Zulassung durch Softwaremanipulationen erreicht worden war, teilte die italienische Wettbewerbsbehörde mit. Es habe einen schweren Verstoß gegen die professionelle Sorgfalt gegeben und Kunden hätten mit den realen Daten womöglich eine andere Kaufentscheidung getroffen. Laut früheren Meldungen sind in Italien knapp 650.000 Volkswagen von dem Skandal betroffen. Quelle: dpa
Bayern will bis zu 700.000 Euro Quelle: dpa
Entschädigungen für Aktionäre und Anleger: 1 bis 8 Milliarden Euro Quelle: dpa
Kundenentschädigungen von bis zu 10 Milliarden Euro Quelle: dpa
Rückrufe und Entschädigungen in Europa und dem Rest der Welt: bis zu 4,5 Milliarden Euro Quelle: dpa
Rückrufe und Nachrüstung in Europa Quelle: dpa
Mögliche Wertminderung von VW-Fahrzeugen: 0,5 Milliarden EuroIst ein VW-Diesel-Fahrzeug nach der Umrüstung noch genauso viel wert wie vorher und erzielt es als Gebrauchtwagen denselben Preis wie vor dem Skandal? Diese Frage ist noch nicht abschließend geklärt, doch das Risiko, dass die VW-Fahrzeuge im Wert fallen, ist gegeben. Die VW-Tochter Financial Services, die für 1,2 Millionen Leasing-Fahrzeuge zuständig ist, hat vorsorglich die Rücklagen für mögliche Wertverluste nach oben korrigiert. Quelle: dpa

Daran doktern die Ingenieure des Konzerns jedoch schon seit Monaten – bislang vergeblich. Sollte eine technische Umrüstung nicht möglich sein, könnte VW gezwungen sein, Kunden wie bereits bei den 2,0-Liter-Modellen Rückkäufe anzubieten. Da es sich bei den größeren Wagen mitunter um teure Luxusmodelle der Oberklassetöchter Audi und Porsche handelt, dürfte das noch einmal richtig ins Geld gehen. Zudem könnte der Fall auch zu neuen Spannungen führen, da Motorenentwickler Audi die Täuschungsvorwürfe der US-Behörden bislang zurückweist. Anfang der Woche berichteten einige Medien, dass auch Porsche früher als bislang angegeben von der Manipulationssoftware gewusst haben soll.

Was gibt es noch für rechtliche Baustellen in den USA?

Kurz nachdem VW die erste grundsätzliche Einigung im Massen-Rechtsstreit erzielt hatte, legte eine Reihe von Bundesstaaten bereits mit neuen Klagen nach. Vermont, Maryland, Massachusetts, New York, Washington und Pennsylvania wollen den Konzern wegen Verstößen gegen Umweltgesetze zur Rechenschaft ziehen. VW strebt auch hier einen Vergleich an, spätestens am 1. November sollen die Verhandlungen beginnen. Weitere US-Staaten können sich den Klagen noch anschließen, dann würde es noch teurer.

Die Milliarden-Buße für VW im Überblick

Den größten Brandherd für VW dürften aber die strafrechtlichen Ermittlungen der US-Justiz darstellen. Nachdem im September der erste in den Skandal involvierte Ingenieur im Zuge einer Strafanzeige ein Geständnis abgelegt und Kooperation mit den US-Behörden versprochen hat, bleibt abzuwarten, wen der langjährige Mitarbeiter noch alles belastet. Das US-Justizministerium prüfe bereits, welches Strafmaß man dem Konzern wegen krimineller Vergehen zumuten könnte, berichtete der Finanzdienst Bloomberg vor wenigen Wochen unter Berufung auf Insider. VW und das Ministerium wollten sich dazu nicht äußern.

Wie sich die Lage in Deutschland entwickelt hat

Was wurde in Deutschland aus dem diskutierten Gesetz über Musterklagen?

Nach dem Bekanntwerden des VW-Abgasskandals wollte das Justizministerium ein Gesetz vorbereiten, das Kunden großer Unternehmen gemeinsame Schadenersatzklagen ermöglichten sollte. Doch der Rechercheverbund aus „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR berichtete am Wochenende, dass das Gesetz nicht vor der nächsten Bundestagswahl verabschiedet werden soll. Laut den Berichten geben sich Union und SPD gegenseitig die Schuld für die Verzögerungen. Kunden, die sich gegen „unlautere Geschäftspraktiken“ wehren wollen, müssen also weiter auf ein entsprechendes Rechtsinstrument warten.

Was können betroffene VW-Fahrer in Deutschland stattdessen tun?

Nichts Vergleichbares zu den geprellten US-Kunden. Bei deutschen Kunden hat sich VW bisher nur per Schreiben entschuldigt mit dem Versprechen, die Autos während der Rückrufaktion sauber zu machen. Will ein Kunde dennoch gegen VW oder sein Autohaus vorgehen, müssen sie mit ihrem Anwalt die Ansprüche auf eigenes Risiko vor Gericht durchsetzen. Mit ungewissem Ausgang, denn bislang haben die deutschen Gerichte widersprüchlich geurteilt. Neben Einzelklagen gibt es noch andere Modelle, etwa über eine niederländische Stiftung. Über diesen juristischen Umweg wollen einige Anwälte dennoch Sammelklagen ermöglichen, denn rechtskräftig abgeschlossene Vergleiche sind auch nach deutschem Recht bindend.

Was bei der Rückruf-Aktion auf VW-Besitzer zukommen könnte

Gibt es auch einen außergerichtlichen Weg?

Ja, allerdings wie die Einzelklagen mit ungewissen Erfolgsaussichten. Ein Beispiel ist die im Oktober 2016 gestartete Initiative „Verkehrte Werte“, die ihren Unterstützern „technisch und finanziell einen aufrichtigen Dialog zwischen der Konzernführung und ihren Kunden“ ermöglichen. „Wir haben VW ein Jahr Vertrauensvorschuss gegeben, aber VW hat nicht geliefert“, sagt Verbraucheraktivistin und Mit-Initiatorin Claudia Langer. „Viele von uns haben die Kaufentscheidung bewusst aufgrund der ausgelobten Umweltfreundlichkeit der VW-Modelle getroffen. VW wollte unser Vertrauen zurückgewinnen, aber aktuell tut der Vorstand so ziemlich alles, um das Vertrauen in Autos und Marke zu zerstören.“



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