VW-Aufsichtsrätin Ursula Piëch Die mächtigste Frau der deutschen Wirtschaft

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Eine heikle Rolle

Bekannte berichten, dass sie anders als der Konzernkönig offen und unbefangen auf andere Menschen zugehe. „Als wir uns auf der Automesse trafen, war ich erstaunt, dass sie meinen Namen noch kannte“, sagt Friedrich Indra, Honorarprofessor an der TU Wien, „obwohl wir uns zuvor erst einmal gesehen hatten.“

Indra hatte von 1979 bis 1985 die Motorenkonstruktion bei Audi geleitet und den so sparsamen wie dynamischen Turbodiesel entwickelt – Piëch war zu der Zeit Entwicklungschef von Audi. „Etwas später traf ich die beiden wieder, und ich fragte Herrn Piëch, ob er meinen kritischen Artikel zum Elektroauto gelesen hätte. Bevor er eine Chance hatte, zu antworten, sagte Ursula Piëch: ,Ich habe ihn gelesen.‘“

So offen wie Indra sind nur wenige. Selbst Freunde, die „nur Gutes“ zu berichten hätten, verweigern Auskünfte über die Rolle von Ursula im VW-Kontrollgremium – „zu heikel“. Selbst Audi-Chef Rupert Stadler, der die Eheleute seit über 20 Jahren kennt, wird schmallippig, wenn er auf Ursula Piëch angesprochen wird. Dabei sitzt diese seit Mai 2013 auch in seinem Aufsichtsrat. „Sie ist ein absoluter Zugewinn“, lobt Stadler, nicht nur als „echter Audianer“, sondern aufgrund ihrer intimen Kenntnisse des Konzerns, die sie in den Aufsichtsrat einbringe. Details? „Sie werden verstehen, dass ich nicht über Inhalte von Aufsichtsratssitzungen berichten kann.“

Im Kampf für Gerechtigkeit und Perspektiven

VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh, in der Funktion Mitglied des Aufsichtsrats, taut aus dem Grund erst auf, als die Rede auf die Rolle von Ursula Piëch im Kuratorium der 2011 gegründeten VW-Belegschaftsstiftung kommt. Diese fördert mit Millionenaufwand Hilfsprogramme für benachteiligte Kinder und Jugendliche. Im Rahmen des Projekts „Tu importas“ etwa erhalten 100 Jugendliche aus dem Umkreis des portugiesischen VW-Werks Setubal eine duale Berufsausbildung nach deutschem Vorbild.

Die Initiative dazu, verrät Osterloh, ging von Ursula Piëch aus: „Sie hat ein starkes Gefühl für Ungerechtigkeiten und will Jugendlichen in den südeuropäischen Krisenländern eine Perspektive geben.“ Ähnliche Projekte, deutet die Aufsichtsrätin im Gespräch an, würden für arbeitslose Jugendliche in Spanien und Italien vorbereitet. „Wir müssen da mal Geld in die Hand nehmen“, drängt sie.

Auch Lohngleichheit treibt Ursula Piëch um. Bei VW wird, wie Osterloh betont, allein nach Tätigkeit gezahlt. Dennoch sieht sie Verbesserungsbedarf. Denn oft würden Frauen zu schlechteren Konditionen eingestellt, „weil sie schlechter verhandeln als Männer oder weil man das Gehalt für die Position niedriger ansetzt. Das kann nicht in Ordnung sein.“

Vom Hintergrund in den Aufsichtsrat

Soziale Themen beschäftigen die frühere Erzieherin seit Jahrzehnten. Meist wirkte sie im Hintergrund, etwa als Gründerin und Kuratoriumsmitglied der Neuen Schule in Wolfsburg oder als Spenderin für wohltätige Zwecke in Braunschweig. Dort lebte das Ehepaar zwischen 1997 und 2002 in einer Stadtvilla am Wilhelmitorwall und engagierte sich in der Stadt für Kultur, Sport und auch eine neue Schule.

Im Januar wurde Ferdinand Piëch dafür zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. Der damalige Oberbürgermeister Gert Hoffmann machte in seiner Festrede deutlich, dass auch Ursula Piëch ihren Anteil an der Würdigung habe: „Wenn es üblich wäre, Ehepaare zu Ehrenbürgern zu machen, müssten wir das im vorliegenden Fall tun.“

Die Zeit, wo Ursula Piëch still im Hintergrund wirken konnte, sind seit ihrer Berufung in die Aufsichtsräte von VW und Audi aber vorbei. Bei aller Bescheidenheit ist sie zu einer Person des öffentlichen Lebens geworden. Nur langsam gewöhnt sie sich an diese Rolle.

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