VW-Chef Herbert Diess Vom Kostendrücker zum mächtigen Autoboss

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Diess ist mehr als ein Kostendrücker

Den 59-Jährigen einzig und allein als rücksichtslosen Kostendrücker zu sehen, als eine moderne Neuinterpretation des früheren VW-Einkaufsvorstands José Ignacio López mit dem vielsagenden Spitznamen „Würger von Wolfsburg“, greift aber zu kurz. Im Zusammenspiel mit dem ehemaligen Konzernchef Matthias Müller hat Diess intern viel bewirkt, eingefahrene Strukturen aufgebrochen.

Die über Jahrzehnte geprägten hierarchischen Strukturen aus der Ägide Piëch/Winterkorn, waren Diess ein Dorn im Auge. Sie waren ihm zu ineffizient. Die Produktivität der deutschen Standorte soll im laufenden Jahr um 7,5 Prozent verbessert werden, bis 2020 sollen es 25 Prozent sein. Doch um von der Belegschaft und auch den mächtigen Familien Porsche und Piëch akzeptiert zu werden, reicht es nicht mehr aus, nur harte Ziele vorzugeben. Man muss auch den Weg begleiten.

Das ist Diess besser gelungen, als viele im Vorfeld seiner VW-Zeit erwartet hätten. Große Teile der Belegschaft weiß er hinter sich, aller Einschnitte zum Trotz. Dazu tragen sicher auch die neuen Produkte bei, die in den vergangenen Jahren entstanden sind.

Den SUV-Boom hatte Wolfsburg zunächst schlichtweg verschlafen, der neue Chef musste reagieren. Im Sommer 2017 konnte Diess ein Auto ganz nach seinem Geschmack vorstellen. Statt ein schnödes Golf-SUV zu bauen, brachte VW den T-Roc. Bei der Technik konnten sich die Entwickler am modularen Querbaukasten bedienen, der die Herstellungskosten senken soll. Zudem konnte noch etwas am Material gespart, aber zugleich eine Art Lifestyle-Aufschlag verlangt werden – SUV verkaufen sich auch so. Und Belegschaft wie Kundschaft sehen, dass etwas Neues kommt – auch wenn der T-Roc immer noch mit dem leidigen Dieselmotor angeboten wird.

Diess und die Dieselaffäre

Die von VW ausgelöste Dieselaffäre hatte für Diess bislang Höhen und Tiefen. Als Mitte der 2000er Jahre Ingenieure bei VW und Audi jene skandalöse Schummel-Funktion entwickelten und perfektionierten, war Diess – anders als Matthias Müller – noch nicht Teil des VW-Imperiums.

Dennoch ist er in der Affäre nicht gänzlich unbelastet: Mehrere Dokumente und Zeugen legen nahe, dass Diess zusammen mit Winterkorn bereits im Juli 2015, also gut zwei Monate vor Bekanntwerden, über das „Defeat Device“ und mögliche Folgen informiert wurde. Da Diess nichts unternahm und die Aktionäre nicht über die möglichen Milliarden-Strafen informierte, ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen des Verdachts auf Marktmanipulation gegen den künftigen VW-Chef.

Neuordnung bei Volkswagen – die wichtigsten Ergebnisse

Doch Diess ist – anders als Matthias Müller – nie zum öffentlichen Gesicht der Krise geworden. Natürlich trat er öffentlich auf und war auch im Januar 2017 als höchster VW-Vertreter bei der Automesse in Detroit. Dabei hat sich Diess als besonnener und ruhiger Kommunikator erwiesen. Zuletzt verteidigte er den Konzern und den verteufelten Diesel in der Talkshow „Anne Will“, ohne dabei angreifbar zu werden oder andere anzugreifen. Verbale Fehltritte hat sich Diess bislang keine geleistet. Anders als Matthias Müller konnte er als Markenchef bei gesellschaftlich heiklen Themen wie der viel diskutierten Vorstandsvergütung schweigen. Das wird sich künftig ändern.

Wie sich Diess auf die Zukunft einstellt, war auf dem Genfer Autosalon nur wenige Minuten nach seiner Rede zu sehen. Gemeinsam mit Matthias Müller nahm er für ein Foto in dem roten ID Vizzion Platz. Diess, schon ganz auf die Zukunft des selbstfahrenden Autos ohne Lenkrad und Pedale eingestellt, legte lächelnd die Füße auf einem kleinen, gepolsterten Bänkchen ab. Konzernchef Müller zögerte noch ob dieser Zukunft.

Ein Zögern kann sich Diess künftig nicht mehr erlauben. Denn die Zukunft wird zwar selbstfahrend – aber sicher kein Selbstläufer.

Diess macht, Müller zögert. Quelle: dpa
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