VW-Dieselskandal Staatsanwaltschaft bestätigt Ermittlungen gegen VW-Chef Müller

Vergangene Woche hatte die WirtschaftsWoche bereits über Ermittlungen gegen VW-Chef Müller berichtet. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart bestätigt, dass sie gegen Müller und zwei weitere Manager ermittelt.

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Die Stuttgarter Staatsanwälte ermitteln gegen VW-Chef Matthias Müller. Quelle: REUTERS

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat am Mittwoch erstmals Berichte der WirtschaftsWoche bestätigt, dass sie unter anderem ein Ermittlungsverfahren gegen den heutigen VW-Chef Matthias Müller eröffnet hat. Konkret laufen die Ermittlungen in Hinblick auf seine Vorstandstätigkeit bei der Porsche SE, die die Mehrheit der VW-Aktien hält. Verfahren wurden einem Behördensprecher zufolge auch gegen den heutigen VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch sowie den ehemaligen VW-Chef Martin Winterkorn eröffnet.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen im Rahmen eines Anfangsverdachts vor, den Anlegern im Zusammenhang mit der Dieselmanipulation die sich daraus ergebenden, insbesondere die sich für die Porsche SE ergebenden finanziellen Konsequenzen, bewusst verspätet mitgeteilt zu haben. Das bestätigte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft der WirtschaftsWoche. Die Porsche-Aktie war damals massiv eingebrochen, nachdem der Dieselskandal ans Licht gekommen war.

Die Porsche SE weist den erhobenen Vorwurf als unbegründet zurück. Sie ist laut einer Mitteilung der Auffassung, dass sie ihre kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten ordnungsgemäß erfüllt hat.

Hintergrund der Ermittlungen: Unternehmen müssen Nachrichten, die den Kurs ihrer Aktie stark bewegen können, sofort („ad hoc“) veröffentlichen. Tun sie das nicht, kann sich der Vorstand wegen Marktmanipulation strafbar machen. Konkret geht es um eine Meldung zum Dieselskandal, die zu spät gekommen sein könnte. Denn der Ausbruch der Dieselkrise in Wolfsburg hatte auch massiven Einfluss auf die Porsche SE, die 52,2 Prozent der VW-Anteile hält. In dieser Holding haben die Familien Porsche und Piëch ihre Beteiligungen an dem weltgrößten Autobauer gebündelt.

Die Finanzaufsicht BaFin hatte im Sommer 2016 Strafanzeige gegen die Vorstandsmitglieder der Porsche Automobil Holding SE, wie die PSE offiziell heißt, gestellt. Eine ähnlich lautende Anzeige hatte die BaFin auch bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig eingereicht, hier gegen den Vorstand der Volkswagen AG. Gegen einzelne aktuelle und frühere Vorstandsmitglieder laufen dort inzwischen Ermittlungen – unter anderem den damaligen VW-Chef Winterkorn, Finanzvorstand Pötsch und VW-Markenchef Herbert Diess.

Müller sitzt seit 2010 im Vorstand der Porsche SE, er ist dort für Strategie und Unternehmensentwicklung verantwortlich. Im selben Jahr wurde er auch zum Vorstandsvorsitzenden des Sportwagenbauers Porsche ernannt. Seinen Posten im Vorstand der Holding behielt er auch nach seinem Wechsel an die Spitze der Volkswagen AG im September 2015.

Wer 2015 im Vorstand der Porsche SE saß

Neben Müller saßen im Jahr 2015 auch Hans Dieter Pötsch (damals VW-Finanzvorstand, heute VW-Aufsichtsratsvorsitzender), Martin Winterkorn in seiner Funktion als VW-Chef und Porsche-Manager Philipp von Hagen im Vorstand der PSE. Gegen von Hagen, der das Ressort Beteiligungsmanagement verantwortet, wird laut der Stuttgarter Staatsanwaltschaft jedoch nicht ermittelt. Winterkorn war nach seinem Rücktritt als VW-Chef offiziell noch bis zum 31. Oktober 2015 im PSE-Vorstand. Mit Wirkung zum 1. Januar 2016 wurde VW-Chefjustiziar Manfred Döss in den Vorstand der Porsche-Holding berufen. Gegen ihn wird ebenfalls nicht ermittelt.

Bei der Bilanzpressekonferenz der PSE im März 2017 sagte Döss noch mit Blick auf die Zivilverfahren: „Es gab und gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Organmitglieder der Porsche SE vor dem 18. September 2015 Kenntnis von der Dieselthematik, geschweige denn von der Tragweite der Dieselthematik in den USA, gehabt hätten“. Unabhängig davon gelte: „Personengleichheit ist nicht Organgleichheit“, so Döss. „Vorstandsmitglieder der Volkswagen AG, die zugleich Mitglieder im Vorstand der Porsche SE waren oder sind, unterlagen und unterliegen hinsichtlich vermeintlicher Erkenntnisse im Rahmen ihres Mandats bei der Volkswagen AG grundsätzlich einer strikten Verschwiegenheitspflicht. Der Porsche SE können solche vermeintlichen Erkenntnisse nicht zugerechnet werden.“ Die Porsche SE betrachte daher sämtliche im Zusammenhang mit der Dieselthematik gegen die Holding erhobenen Klagen als „unbegründet und teilweise auch als unzulässig“. Insgesamt sind 161 Anlegerklagen gegen die Porsche SE eingegangen, die auf einen Schadenersatz von insgesamt rund 900 Millionen Euro klagen. Ein Sprecher der Porsche SE bekräftigte erneut gegenüber der WirtschaftsWoche, dass man zum Zeitpunkt der Bilanzpressekonferenz keine Kenntnis von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gehabt habe.

Karriere im VW-Konzern: Die Stationen von Matthias Müller

In Braunschweig wird nicht gegen Müller ermittelt. Er war zwar seit Frühjahr 2015 in seiner Funktion als Porsche-Chef Mitglied des Konzernvorstands (und damit auch von der Anzeige der BaFin betroffen), die Braunschweiger Staatsanwälte sahen gegen ihn aber keinen Anfangsverdacht.

Ob sich der Verdacht gegen Müller in seiner Funktion als PSE-Vorstand erhärtet, müssen die Ermittlungen in Stuttgart zeigen. Dabei geht es um sein Verhalten beim Bekanntwerden der Diesel-Krise. Ob und wie Müller zum Entstehen der millionenfachen Abgas-Manipulation beigetragen hat, ist nicht Teil der Ermittlungen.

Was wusste Müller schon 2006?

Dabei wirft der Zeitraum von 2006 bis 2010 kein gutes Licht auf den heutigen VW-Chef. Im Jahr 2006 – Müller war zu dieser Zeit Leiter Produktmanagement für Audi, Seat und Lamborghini, Winterkorn war Audi-Chef – stand der Geländewagen Q7 kurz vor seiner US-Premiere. Es gab allerdings ein Problem mit dem V6-Dieselmotor, den der VW-Konzern den US-Kunden schmackhaft machen wollte: Das Auto schaffte die Grenzwerte für Stickoxide (NOx) nicht. Mit mehr Harnstofflösung (AdBlue), die das NOx neutralisiert, wäre es möglich. Aber für große AdBlue-Tanks ist kein Platz. Ein Nachfüllen des Tanks durch Kunden ist in den USA verboten.

Das Thema zieht, so steht es in einer Anklageschrift der New Yorker Generalstaatsanwaltschaft, Kreise im Unternehmen: „Im oder um den Juli 2006 herum erreicht das Problem der zu kleinen Harnstofftanks die Aufmerksamkeit von Winterkorn und H. Müller, den ein Zeuge von Audi als den damaligen Produktstrategen und heutigen VW-Chef identifizierte.“

Am Ende haben die Ingenieure das Problem gelöst – allerdings mit der heute als „Schummel-Software“ bekannten illegalen Abschalt-Einrichtung. Sollte Müller, wie die US-Staatsanwälte unterstellen, schon 2006 das Problem gekannt haben, stellt sich die Frage, warum er dann nichts von den Betrügereien wusste. Schließlich hätte ihn doch die Lösung des Problems interessieren müssen.

Als Winterkorn 2007 vom VW-Chef ernannt wurde, nahm er Müller aus Ingolstadt mit – und ernannte ihn in Wolfsburg zum Leiter des Produktmanagements des Konzerns und der Marke VW, im Rang eines Generalbevollmächtigten. Also war Müller jetzt nicht nur für die wenigen Audi-Modelle mit Dieselmotor in den USA verantwortlich, sondern auch für die US-Dieseloffensive von Volkswagen. Mit dem Passat-Diesel wollte VW die Hybridmodelle von Toyota ausstechen. Zumindest der Verdacht liegt nahe, dass Müller als oberster VW-Produktstratege zu diesem Zeitpunkt über die Details informiert wurde. Das konnten allerdings selbst die US-Ermittler nicht erhärten, weder in der Anklageschrift gegen mehrere VW-Manager noch in dem „Statement of Facts“ werden Vorwürfe gegen Müller formuliert.

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