VW erzielt Vergleich mit US-Justiz Volkswagen muss Winterkorn ans Geld gehen

Die Einigung mit dem US-Justizministerium ist das Eingeständnis krimineller Handlungen. Damit ist klar: Das Kontrollsystem des Ex-VW-Chefs Martin Winterkorn hat versagt. Dafür sollte der Manager zahlen – auf Klage des Konzerns.

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Martin Winterkorn Quelle: dpa

Bußgeld- und Strafzahlungen in Höhe von 4,3 Milliarden Dollar, verstärkte Kontrollsysteme und einen externen Aufseher für die kommenden drei Jahre: Der Vergleich mit dem US-Justizministerium ist für Volkswagen teuer und schmerzhaft, aber verkraftbar. Und es ist ein wichtiger Schritt, da der Vergleich die strafrechtliche Aufarbeitung in den USA beendet.

Die Einigung ist auch an einer anderen Stelle ein einschneidendes Ereignis in der Aufarbeitung der gesamten Abgas-Affäre: VW hat den Betrug an Behörden und Kunden über die Emissionen von knapp einer halben Million Dieselfahrzeugen von Mai 2006 bis November 2015 eingeräumt. Das Unternehmen bekenne sich der Verschwörung und der Behinderung der US-Justiz schuldig, erklärte es am Mittwochabend.

Sprich: VW gibt endlich ein kriminelles Verhalten zu. Bislang hat der Konzern immer nur Fehler eingeräumt, sich aber vehement gegen die Bezeichnung „kriminell“ zur Wehr gesetzt.

Der Verstoß gegen das US-Luftreinhaltegesetz ist unbestreitbar. Und wer gegen Gesetze verstößt, der ist ein Verbrecher. So viel zu der passenden Vokabel. Wie die US-Gerichte beim Vorwurf des vorsätzlichen Betrugs geurteilt hätten, wollten die Konzernoberen beim besten Willen nicht erfahren – der 4,3-Milliarden-Dollar-Deal ist die eindeutig bessere Lösung.

In Wolfsburg passiert nichts

Mit dem öffentlichen Schuldeingeständnis gibt es nur eine logische Schlussfolgerung: Wenn sich ein Unternehmen in einem solchen Ausmaß kriminell verhält, dass sich alleine in den USA Strafen und Bußgelder auf über 20 Milliarden Dollar summieren, hat der Vorstand versagt.

Doch was passiert in Wolfsburg? Nichts. Der Konzern hält weiter an seiner Version fest, einige wenige Techniker hätten alles ausgeheckt, der Vorstand – allen voran der Vorsitzende Martin Winterkorn – hätten von den Vorgängen nichts gewusst.

Volkswagen versucht Comeback in den USA
Ein Gitarrist spielt Blues, an einer Leinwand strahlt ein Bild von der Skyline Detroits und auf der Bühne steht ein extra für die USA gebauter Geländewagen. „We want to reignite America's Love for Volkswagen“, sagt Markenchef Herbert Diess - VW will Amerikas „Liebe“ für VW wieder entfachen. Diese hat nach dem „Dieselgate“ schweren Schaden genommen. Kurz vor Beginn der Automesse in Detroit will der Autobauer eine Botschaft vermitteln: VW hat verstanden. Quelle: AP
Nach einem Einbruch im US-Geschäft wähnt sich die Marke auf dem Weg der Besserung. Die Verkäufe auf dem wichtigen US-Markt haben angezogen - trotz des Verkaufsstopps für Dieselfahrzeuge, der nach den Manipulationen verhängt wurde. „We are here to stay“, sagt Amerika-Chef Hinrich Woebcken - Volkswagen will bleiben. Und VW will mehr. Europas größter Autobauer, der in den USA vor allem im Vergleich mit den hier starken asiatischen Autobauern nur ein kleines Licht ist, will in den Staaten ein Comeback einläuten. Innerhalb der nächsten zehn Jahre wolle VW ein „wichtiger und profitabler Volumenhersteller“ in den USA werden, kündigt Diess an. Das ist zwar ein großes Ziel, aber der Zeitraum ist auch sehr lang. Nicht ausgeschlossen, dass der 58 Jahre alte Diess dann gar nicht mehr Markenchef in Wolfsburg ist. Quelle: AP
Die USA waren für VW auch vor Dieselgate ein schwieriges Pflaster. Seit 2007 weist VW bereits keine Gewinnkennzahlen mehr für die USA aus. Schon damals waren die Zahlen rot. VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh nannte das US-Geschäft einmal eine „Katastrophenveranstaltung“. Branchenexperten halten es aber zumindest für möglich, dass VW den Abgasskandal in den USA abschütteln kann: „Die Leute haben ein kurzes Gedächtnis“, sagt Sandy Schwartz vom Marktforschungsunternehmen Cox Automotive mit Blick auf die Dieselkrise. VW habe das Potenzial, in den kommenden Jahren zurückzukommen. Quelle: dpa
Erreichen will VW dies mit für die USA maßgeschneiderten Modellen wie mit einer Variante des Tiguan, der für den US-Markt ein wenig länger ist als für Europa. Vor allem mit einer Offensive im SUV-Segment soll die Wende in den USA erreicht werden. Dazu passt auch die neue Rollenverteilung: statt eines Wolfsburger Zentralismus wie früher sollen nun die einzelnen Regionen mehr Verantwortung bekommen. Quelle: dpa
Die Zukunft des Diesel in den USA dagegen ist offen. VW habe nicht vor, den Diesel in den USA wieder einzuführen, sagt Diess - fügt aber hinzu: nichts sei ausgeschlossen. Quelle: dpa
Die Dieselkrise seit dem Herbst 2015 hat tiefe Spuren hinterlassen bei VW und den Autobauer in eine tiefe Krise gestürzt. Und „Dieselgate“ ist noch lange nicht ausgestanden. Noch vor der Amtseinführung von Donald Trump als US-Präsident am 20. Januar könnte Volkswagen Medienberichten zufolge einen Milliardenvergleich mit dem US-Justizministerium erreichen - und zwar noch in dieser Woche. Dabei geht es um strafrechtliche Ermittlungen. Die damit verbundene Strafzahlung dürfte dem „Wall Street Journal“ zufolge bei mehreren Milliarden Dollar liegen. Zivilrechtlich hat sich VW mit Klägern und Behörden bereits im Grundsatz geeinigt, VW muss mehr als 17 Milliarden Dollar zahlen. Quelle: dpa
Die Verhandlungen mit der US-Justiz sind auch der Grund dafür, dass einer fehlte in Detroit: VW-Konzernchef Matthias Müller sparte sich die Reise in die US-Metropole. Offizielle Begründung: Es gibt kein eigenes Veranstaltungsformat des Volkswagen-Konzerns, deshalb kommt auch der Konzernvorstand nicht. Quelle: dpa

Doch selbst das ist ein Problem: Wenn der Vorstand nicht weiß, was im eigenen Unternehmen vorgeht, ist das fahrlässig. Und wenn im Falle des Skandalmotors EA189 nach langer, problematischer Entwicklung ein so versierter Ingenieur und Tüftler wie Winterkorn die plötzliche Wunderlösung nicht hinterfragt, hat er seine Kontrollpflichten vernachlässigt.

Den langjährigen Siemens-Konzernchef Heinrich von Pierer hat einst die Korruptionsaffäre in den USA den Job gekostet – und viel Geld. Weil er seine Kontrollpflichten vernachlässigt hat, musste er Straf- und Bußgelder von mehr als fünf Millionen Euro zahlen. Auf Klage von Siemens, wohlgemerkt.

Interne Untersuchung könnte Aufsichtsrat unter Zugzwang bringen

Bei Volkswagen ist ein solcher Schritt kaum zu erwarten – auch wenn er noch so angebracht wäre. Der Schaden für die Wolfsburger ist ungleich größer als einst bei Siemens. Die Folgen werden auch auf die einfachen Angestellten zu spüren bekommen, wie etwa bei der Debatte um die Leiharbeiter in den sächsischen Werken zu sehen ist.

Die Basis muss bluten, weil ein Mann auf dem Weg zur Weltspitze ein System etabliert hat, das auf Gehorsam basierte und den Skandal zumindest begünstigt hat. Ein Mann, der zu den bestbezahlten Managern des Landes gehörte und heute pro Tag mehr Rente bezieht, als ein aktiver Arbeiter im Monat bekommt.

Jetzt müssen sich die Blicke auf den aktuellen Aufsichtsrat richten: Dieser hat nach Bekanntwerden des Skandals externe Ermittler damit beauftragt, die Schuldigen zu finden. Immer wieder wurden die versprochenen Ergebnisse – mal zur Hauptversammlung 2016, mal zum Jahresende – verschoben. Zuletzt lautete die Begründung, man wolle die Einigung mit den US-Behörden nicht gefährden.

Wird der jüngste Vergleich abgesegnet, rückt der Tag der Veröffentlichung immer näher. Kommen die Ermittler der Kanzlei Jones Day zu dem Schluss, dass Winterkorn zumindest eine Teilschuld trägt, wird der Druck auf den Konzern immer größer.

Die Chance, dieses unselige Kapitel der Konzerngeschichte mit erhobenem Haupt schließen zu können, gibt es jetzt.

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