Ebenfalls falsch in der Rolle als Aufklärer gilt unter Compliance-Experten Manfred Döss, der Leiter der VW-Rechtsabteilung. Denn die ist wie in jedem Konzern auf die Verteidigung des Unternehmens getrimmt. Sie soll Vorwürfe von Behörden, Öffentlichkeit oder Klägern nach allen Regeln entkräften, nicht aber ihnen auf den Grund gehen und ihre Ursachen publik machen.
VW erklärt dazu auf Anfrage: „Die lückenlose Aufklärung der Sachverhalte hat für uns größte Priorität.“
Manager mit Vergangenheit: Zwar trat VW-Chef Winterkorn nur fünf Tage nach Bekanntwerden des Abgasskandals zurück. Doch ihm folgte mit Porsche-Chef Matthias Müller ein Konzernmanager, der in der entscheidenden Zeit der Abgasmanipulationen einen verantwortungsvollen Job hatte: Müller war 2007 bis 2010 Leiter der Produktstrategie im gesamten VW-Konzern. In dieser Zeit wurde der ab 2007 hergestellte Skandaldieselmotor EA 189 eingeführt. Die Einhaltung immer strengerer Abgaswerte war schon damals eine der wichtigsten strategischen Fragen, vor allem mit Blick auf die scharfen Stickoxidvorschriften in den USA.
Wie VW die „Dieselgate“-Drahtzieher finden will
Über ein halbes Jahr VW-Abgas-Skandal und eine entscheidende Frage ist weiter ungeklärt: Wer sind die Drahtzieher des Betrugs, der den größten Autobauer Europas in die schwerste Krise seiner Konzerngeschichte gestürzt hat? Der mächtige VW-Aufsichtsrat hat als Reaktion darauf im Oktober die US-Anwaltskanzlei Jones Day mit einer umfassenden Untersuchung beauftragt, um den Fall aufzuklären. Bis Ende April sollte ein erster Zwischenbericht vorgelegt werden. Diesen hat Volkswagen inzwischen auf unbestimmte Zeit verschoben – eine Veröffentlichung vor der Einigung mit den US-Behörden könne die Verhandlungsposition schwächen, so die Begründung. Der Abschlussbericht soll bis Ende des Jahres folgen.
VW muss zeigen, dass der Konzern die Affäre um manipulierte Emissionstests ernst nimmt und bei der Aufarbeitung nichts vertuscht wird. Das Unternehmen hat zwar Fehlverhalten eingestanden, aber auch immer wieder mit Relativierungen den Unmut der US-Ermittler auf sich gezogen. Anfangs wurde der Abgas-Betrug als „Unregelmäßigkeit“ bezeichnet, im Januar stellte Konzernchef Matthias Müller den Skandal – hausintern als „Diesel-Thematik“ abgetan – dann als „technisches Problem“ dar und sorgte damit für Empörung. Mit einer schonungslosen Aufklärung durch Jones Day könnte VW die wegen möglicher krimineller Vergehen ermittelnde US-Justiz milde stimmen.
VW dürfte auch ein starkes eigenes Interesse daran haben, die Schuldigen ausfindig zu machen. Es geht neben hohen Rechtskosten um die Frage, ob die Manipulationen das Werk einer kleinen Gruppe oder einer Unternehmenskultur sind, die der skrupellosen Trickserei zugeneigt war. Das von US-Klägern gezeichnete Bild einer Verschwörung bis in die Chefetage herauf streitet der Konzern vehement ab. Die Untersuchung soll dafür nun Belege liefern. VW glaubt, den Ursprung des Diesel-Debakels weitgehend nachvollziehen zu können. Der Konzern geht nicht von einem einmaligen Fehler, sondern von einer Fehlerkette aus. Wer jedoch auf konkrete Namen von Verantwortlichen hofft, dürfte enttäuscht werden.
Volkswagen muss die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen schützen. Erst wenn in einem nächsten Schritt die Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren einleiten würde, könnten die Namen auch öffentlich genannt werden. Dies würde aber auch der Behörde obliegen. Am Ende dürfte deshalb eher eine Art Chronologie der Ereignisse stehen, in der haarklein die Abläufe vermerkt sind, die im größten Skandal der Konzerngeschichte endeten. Nichtsdestotrotz ist es Ziel von Jones Day, den Sachverhalt im juristischen Sinne aufzuklären. Die Erkenntnisse müssen nicht nur plausibel und stimmig, sondern auch gerichtsfest sein. Deshalb wurden die betroffenen Personen auch von den Ermittlern verhört und ihre Aussagen protokolliert.
An der Aufklärung sind rund 450 interne und externe Experten beteiligt. Die Untersuchungen erfolgen in einem zweigeteilten Prozess: Die interne Revision, für die Experten aus verschiedenen Konzernunternehmen zu einer Task Force zusammengezogen wurden. Sie fokussiert sich im Auftrag von Aufsichtsrat und Vorstand auf die Prüfung relevanter Prozesse, auf Berichts- und Kontrollsysteme sowie die begleitende Infrastruktur. Ihre Erkenntnisse stellt die Revision den externen Experten von Jones Day zur Verfügung. Die Kanzlei führt unter anderem die forensischen Untersuchungen durch und wird dabei operativ vom Wirtschaftsprüfer Deloitte unterstützt.
Die externen Ermittler müssen gigantische Datenmengen sichten. Laut Volkswagen wurden 102 Terabyte gesichert. Das entspricht umgerechnet etwa 50 Millionen Büchern. Mehr als 1500 elektronische Datenträger von rund 380 Mitarbeitern wurden dafür eingesammelt. Da niemand diese Menge an Daten lesen kann, müssen sie mit Suchmaschinen durchleuchtet werden. Ein Problem war dabei, dass die Beteiligten für den Schriftverkehr über die Manipulationen nur Codewörter benutzten – etwa „Akustiksoftware“ für das „defeat device“. Schlagwörter wie die im Skandal zentralen Begriffe „NOx“ oder „Stickoxide“ waren tabu. Wie groß die Datenmasse ist, zeigt ein Vergleich mit den „Panama Papers“, die derzeit Schlagzeilen machen. Sie umfassen 2,6 Terabyte. Mehr als 400 Journalisten brauchten ein Jahr für die Analyse.
Ob Zündschloss-Skandal bei der Opel-Mutter General Motors (GM) oder Airbag-Debakel beim japanischen Zulieferer Takata: Nach der Beteuerung „vollumfänglicher Kooperation“ mit den Behörden ist die interne Untersuchung mit Hilfe bekannter Kanzleien fast immer der nächste Schritt, wenn es für Großkonzerne kritisch wird. Genauso verbreitet wie die Praxis an sich ist allerdings auch die Kritik, dass es sich dabei eher um ein strategisches Alibi-Instrument des Krisen-Managements handelt als um ein wirkliches Bekenntnis zur entschlossenen Aufdeckung von Missständen. Bei den tödlichen Pannenserien von GM und Takata blieben die Vertuschungsvorwürfe trotz Untersuchungen durch externe Prüfer bestehen.
Hinweise, dass Müller von den Betrügereien wusste oder in den Skandal verstrickt war, gibt es allerdings keine. Einen lupenreinen personellen Neuanfang an der Konzernspitze sähen US-Behörde darin aber nur schwerlich, sagt ein Ex-Siemens-Ermittler. Siemens-Aufsichtsratsvorsitzender Cromme etwa weigerte sich 2007, aus Sorge vor Kritik der US-Börsenaufsicht SEC, den Vertrag von Konzernchef Klaus Kleinfeld zu verlängern. Und das, obwohl dieser nur von Pierer nachgefolgt war, dem die Staatsanwaltschaft ein Bußgeld aufgebrummt hatte, weil er es zu dem Schmiergeldsystem kommen ließ.„Bei VW dagegen überträgt man einem Manager, der in der Skandalära schon Schlüsselfunktionen hatte, die Aufarbeitung des Skandals“, sagt ein einstiger Aufklärer. „Das dürfte jeder US-Behörde als Erstes unangenehm auffallen.“
Auch die Wiederbeschäftigung Eichhorns bei VW dürfte die US-Behörden kaum besänftigen. Denn der Exlobbyist gilt als einer, der mit dafür sorgte, dass Stickoxidemissionen nicht mehr wie früher bei der Abgassonderuntersuchung direkt am Auspuff der Fahrzeuge gemessen werden. Stattdessen muss sich der TÜV seit Jahren auf Angaben verlassen, die ihm die Bordelektronik im Auto (kurz: EOBD) auf dem Rollenprüfstand liefert – und die VW manipuliert hatte. „Gegen eine Einführung einer Stickoxidmessung im Rahmen der Abgasuntersuchung spricht die Tatsache, dass dies bereits sehr verlässlich durch die EOBD abgedeckt ist“, hatte Eichhorn am 7. August 2013 an das Bundesverkehrsministerium geschrieben. Das verhinderte daraufhin die von der EU-Kommission geforderte Stickoxidmessung am Auspuff.
Mangelnde Reue: Es ist der 10. Dezember 2015 – knapp drei Monate nach Bekanntwerden der Manipulationen und zwei Wochen vor Müllers Reise in die USA. Der Konzernlenker und neben ihm Aufsichtsratschef Pötsch sitzen auf dem Podium im MobileLifeCampus in Wolfsburg vor 150 Journalisten, stellen die Maßnahmen vor, die VW zur internen Aufklärung ergriffen hat. Eine Journalistin fragt, ob Müller in den USA einen Kniefall plane. Müllers Mundwinkel verbreitern sich zu einem Grinsen, Pötsch lacht auf. „Ob ich einen Kniefall plane – das glaub ich jetzt nicht“, sagt Müller, „ich werde dort selbstbewusst auftreten, mich natürlich noch mal entschuldigen, aber auch optimistisch und selbstbewusst nach vorne blicken.“