Der Manager verdankt den neuen Top-Job, den er auch antrat, weil er bei BMW das Rennen um die Nachfolge von Konzernchef Norbert Reithofer gegen Produktionsvorstand Harald Krüger verlor, seinem Ruf als Kostendrücker. Seiner Bestellung sollen mehrere persönliche Treffen mit Winterkorn und Ferdinand Piëch, bis April Aufsichtsratschef des Konzerns, vorangegangen sein.
Gut möglich, dass Diess den mittlerweile gefallenen VW-Übervater an seinen ehemaligen Einkaufschef José Ignacio López erinnerte. Der Spanier revolutionierte ab 1993 den VW-Einkauf, indem er die Zulieferer zu jährlichen Rabatten zwang und sich den Namen „Würger von Wolfsburg“ erwarb. Piëch soll sich von Diess ähnlich begeistert gezeigt haben wie einst von López.
Wer Winterkorn nachfolgen könnte
Zumindest in einem Punkt steht Herbert Diess schon jetzt als Nachfolger von Martin Winterkorn fest: Im Juli soll er das Amt des VW-Markenchefs übernehmen. Winterkorn hat den früheren BMW-Entwicklungsvorstand persönlich für diese Ausgabe ausgewählt – und vom bayrischen Konkurrenten abgeworben. In der Branche gilt Diess als fähiger Manager mit Ambitionen zu Höherem. Bis er ihm Herbst überraschend zu VW wechselte, legte er bei BMW eine steile Karriere hin. Für viele zählte er sogar zum Kreis der möglichen Nachfolger von Konzernchef Norbert Reithofer.
Seit dem Februar 2015 ist Andreas Renschler Chef der Nutzfahrzeugsparte des VW-Konzerns. Er soll aus der gelähmten LKW-Sparte um MAN und Scania endlich eine schlagkräftige Einheit formen. Für den neuen Job und den Posten im VW-Aufsichtsrat hat er seinen Job als Produktionschefs bei Daimler an den Nagel gehängt – zur Überraschung vieler Branchenkenner. Denn dort wurde er sogar als Nachfolger von Dieter Zetsche gehandelt. Wie Herbert Diess wäre Renschler wohl eher ein Interims-Nachfolger für Martin Winterkorn denn langfristige Lösung.
Porsche-Chef Matthias Müller lenkt mit dem Sportwagenbauer einen der wichtigsten Gewinnbringer der VW-Gruppe. Schon allein deshalb wird der 61-Jährige als möglicher Nachfolger von Martin Winterkorn gehandelt. Etwaigen Spekulationen hat Müller schon einen Riegel vorgeschoben: „Ich bin kein potenzieller Nachfolger für Herrn Dr. Winterkorn“, erklärte Müller noch Anfang Januar. Er sei zu alt für den Job, sagte er – offenbar in der Annahme, eine Nachfolge-Debatte läge noch in weiter Ferne.
Für Müller gibt es offenbar trotzdem kaum einen Grund, seine Position bei Porsche aufzugeben. Er fühle sich „pudelwohl hier bei der tollsten Firma der Welt“, sagte er der WirtschaftsWoche im März.
Als Aufsichtsrat-Mitglied und Finanzchef weiß Hans Dieter Pötsch schon jetzt bestens über alle Entwicklungen im VW-Konzern Bescheid. Seit er 2003 den Posten des Finanzchefs übernommen hat, musste er bereist so manche Mammutaufgabe meistern. Wie die komplizierte Integration von Porsche ins Volkswagen-Reich gelang es ihm meist ziemlich gut. Der Wirtschaftsingenieur hat es deshalb zu einigem Ansehen und Einfluss im Konzern gebracht.
VW-Entwicklungsvorstand Heinz-Jakob Neußer wird allenfalls als Nachfolge-Kandidat aus der zweiten Reihe gehandelt. Er verantwortet zwar die Weiterentwicklung der Kernmarke VW, ist aber bislang kein Mitglied des Aufsichtsrats. Allerdings erfüllt er eine wichtige Bedingung, die Ferdinand Piëch für das Spitzenpersonal im VW-Konzern formuliert hat: Der Maschinenbau-Ingenieur verfügt er über viel technisches Know-how.
Die Strukturen im Wolfsburger Weltreich wuchern in der Tat üppig. Die Fertigungstiefe ist vergleichsweise hoch: VW produziert mehr selbst als die Konkurrenz, was das Kostensenken erschwert. Die Wolfsburger leisten sich eigene Komponentenwerke für Motoren und Getriebe. Andere Hersteller haben die Entwicklung und Produktion der Aggregate längst an Zulieferer ausgelagert, die sie gegeneinander ausspielen und so deren Preise drücken können.
Diess galt bei BMW als unerbittlich
Was hier zu tun ist, hat Diess bei BMW vorexerziert. Dort sparte er innerhalb von vier Jahren vier Milliarden Euro im Materialeinkauf. Damit trug er zu zwei Dritteln dazu bei, die konzernweit angepeilten Einsparungen zu erreichen. Besonders zu spüren bekamen dies die Zulieferer. Von ihnen forderte Diess, einen von BMW diktierten Preis zu erreichen, intern als „Best-Practice-Kalkulation“ schöngefärbt. Viele Stammlieferanten hatten das Nachsehen.
Diess galt als unerbittlich, Hauptsache, der Preis stimmte. „Den Qualitätsabfall, der mit der Umstellung auf billigere Zulieferer einherging, hat er in Kauf genommen“, sagt ein Lieferant. 2012 schloss BMW mit einem Konzernergebnis vor Steuern von 7,8 Milliarden Euro ab – fast vier Milliarden mehr als 2007, dem Jahr, in dem Reithofer das Programm Number One auflegte. Diess hatte beträchtlichen Anteil an der Steigerung, 2012 wechselte er auf den Posten des Vorstands für Entwicklung.
„Er hatte sich bei BMW einen Stab aus Vertrauten über alle Abteilungen hinweg zusammengestellt und die dann dort weggeholt“, sagt ein BMW-Mitarbeiter. In Wolfsburg dagegen tritt der Bayer ohne Verbündete an. Die Unterschiede zwischen München und Wolfsburg sind groß. „BMW steht für konsensorientiertes, sehr kreatives und eigenständiges Arbeiten“, sagt ein Personalberater, der das Innenleben beider Konzerne kennt. Als Paradebeispiel gelte die Entwicklung neuer Elektroautos mit einer Karosserie aus Karbonfasern, die BMW als i-Reihe auf den Markt brachte. „Ohne diese Projektteams wären i3 und i8 nie zustande gekommen“, sagt ein Zulieferer, der in die Entwicklung eingebunden war.
VW dagegen ist für seine Hierarchien bekannt. Geführt wird von oben, neue Ideen und zweite Meinungen haben weniger Raum. Das zieht Entscheidungen in die Länge, lähmt frisches Denken und macht die Organisation schwerfällig. „Bei VW herrscht Stillstand“, sagte Ernst Piëch, der Bruder des gefallenen Aufsichtsratschefs, dem „Handelsblatt“. Der Wolfsburger Fahrzeugbauer hinke fünf Jahre hinterher. Der 86-Jährige besitzt keine Anteile mehr an VW, fühlt sich dem Konzern aber noch verbunden.