Roter Knastanzug, Handschellen und Fußfesseln. So erschien Oliver Schmidt am gestrigen Mittwoch vor Gericht. Das Outfit ist für den VW-Manager inzwischen Gewohnheit. Seit Januar bereits ist er in Untersuchungshaft. Nun sitzt der 48-Jährige, den die USA wegen Verschwörung zum Betrug und Verstoßes gegen Umweltrecht angeklagt haben, vor dem Richter Sean Cox und erwartet sein Urteil. „Ich akzeptiere die Verantwortung für die Fehler, die ich gemacht habe“, sagt der Angeklagte reumütig.
Doch das half nichts mehr. Richter Cox wurde seinem Ruf gerecht und verhing die Höchststrafe gegen den langjährigen Volkswagen-Mitarbeiter: Sieben Jahre Gefängnis, dazu kommt eine Geldstrafe über 400.000 Dollar. Cox sprach von einem „sehr ernsten und beunruhigenden Verbrechen.“
Der Prozess gegen Schmidt sorgt im VW-Management für gewaltige Unruhe – aber nicht nur, weil die hiesigen Manager das harte Schicksal ihres US-Kollegen beschäftigt. Vor allem treibt das Konzernmanagement die Frage um, wie nahe der Skandal durch die Aussagen des geständigen und von seinem Noch-Arbeitgeber Volkswagen schwer enttäuschten Schmidt nun an die amtierende VW-Spitze heranrückt.
Dabei geht es weniger um die Frage, welcher Manager an den Abgas-Manipulationen beteiligt war. Sie ereigneten sich vorwiegend zwischen 2005 bis 2016. Schmidt in dieser Hinsicht vor allem früheren Managern gefährlich werden. Bedrohlicher für die VW-Spitze ist die Frage, ab wann die Konzernführung von dem Betrug wusste und ob sie früher hätte den Kapitalmarkt darüber in Kenntnis setzen müssen.
Die Vorwürfe gegen Oliver S.
Nach Angaben der US-Behörden hat Schmidt seit 1997 für den Konzern gearbeitet. Von 2012 bis März 2015 soll er als führender Angestellter in den USA mit Umweltfragen betraut gewesen sein. Das US-Justizministerium wirft ihm eine Beteiligung beim massenhaften Abgasbetrug vor. VW hatte im September 2015 nach Vorwürfen der US-Umweltbehörden zugegeben, bei Hunderttausenden Dieselautos mit einer speziellen Software die Emissionswerte gefälscht zu haben.
Der VW-Manager war laut FBI-Angaben im Urlaub in Florida – was sich seit der Festnahme ereignete, gleicht einem Krimi: Der Beschuldigte landete bereits wenige Tage später erstmals in Miami vor Gericht – er wurde dort laut US-Medien filmreif in Handschellen und Gefängnisuniform vorgeführt.
In den Gerichtsdokumenten zur Strafanzeige werden heftige Vorwürfe gegen das Management erhoben. Demnach war die Konzernspitze nicht nur seit Juli 2015 in die Manipulationen eingeweiht, sie soll die zuständigen US-Mitarbeiter sogar autorisiert haben, den Betrug gegenüber den US-Behörden weiter zu leugnen. Solche Anschuldigungen Waren im Januar 2017 zwar nicht gänzlich neu, doch diesmal stützte sich die US-Justiz auf die eidesstattliche Erklärung eines FBI-Agenten und Aussagen gleich mehrerer Konzern-Insider. Einer der Zeugen behauptet, er habe sich über die Vorgaben seiner Vorgesetzten hinweggesetzt, als er die Tricksereien letztlich gegenüber den US-Behörden einräumte.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt gegen Volkswagen-Chef Matthias Müller, seinen Vorgänger Martin Winterkorn und VW-Aufsichtsratschef Hans-Dieter Pötsch wegen des Verdachts der Marktmanipulation. Wegen des gleichen Tatverdachts ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen Pötsch, Winterkorn und den Chef der Marke VW, Herbert Diess. Die Fahnder gehen dem Verdacht nach, ob die Manager wochen- oder vielleicht sogar monatelang den Skandal kannten, aber versäumten, den Kapitalmarkt über die drohenden Risiken zu informieren. Das würde den Tatbestand der Marktmanipulation erfüllen. Volkswagen und die Manager weisen diesen Vorwurf zurück.
Was geschah am 27. Juli 2015?
Entscheidend für die Frage, wer wann in den Skandal eingeweiht wurde, ist ein Treffen in der Wolfsburger Konzernzentrale am 27. Juli 2015. Und hier kommt Schmidt als möglicher Zeuge ins Spiel. Denn neben Diess und anderen Topmanagern war bei dem Treffen auch Schmidt zugegen. Erst sei eine größere Runde von VW-Managern in Wolfsburg zu einem sogenannten Schadenstisch zusammengekommen, berichten Insider. In dem VW-Gremium werden teure Qualitätsprobleme besprochen. Im Anschluss an diese formelle Zusammenkunft, so sagen die Insider, habe unter anderem Schmidt in einem informellen Rahmen das Abgasproblem in den USA zur Sprache gebracht. Wie konkret er wurde, ist dabei allerdings umstritten und wird von der Staatsanwaltschaft ermittelt.
Von verbotener Abgassoftware, die Milliardenstrafen zur Folge haben kann, sei an jenem Tag nicht die Rede gewesen, sagen die einen. Andere erinnern sich, dass die Details des Betruges sehr konkret zur Sprache gekommen seien. In Schmidts Geständnis steht laut Medienberichten das Gegenteil: „Am oder um den 27. Juli 2015 berichteten andere VW-Angestellte dem VW-Management über die Abschalteinrichtung und Schmidt berichtete dem VW-Management über die potenziell ernsthaften finanziellen Konsequenzen für VW, falls die Abschalteinrichtung von der US-Aufsicht entdeckt werden sollte“, zitiert n-tv.de aus dem Geständnis. Ein Volkswagen-Sprecher erklärt dazu: „Volkswagen kooperiert weiterhin vollumfänglich mit dem US-Justizministerium (DOJ) in Bezug auf Handlungen von Einzelpersonen. Es ist darüber hinaus nicht angemessen, individuelle Verfahren zu kommentieren.”
Konnte Diess das Milliardenrisiko nach dem Treffen also erkennen, und hatte er die Pflicht, für eine schnelle Information des Kapitalmarkts zu sorgen? Sollte die Staatsanwaltschaft Braunschweig zu diesem Schluss kommen, wäre er als VW-Chef womöglich nicht mehr zu halten. Und die Anleger, die VW wegen angeblicher Marktmanipulation auf knapp neun Milliarden Euro Schadensersatz in Deutschland verklagen, hätten echte Chancen, sich zivilrechtlich durchzusetzen.