"In meiner Garage ist kein Platz für ein Elektroauto." Mit diesem Satz brachte Ferdinand Piëch im März 2014 die Haltung des mächtigen Volkswagen-Konzerns, dem zu jener Zeit größten Autobauer der Welt, zur Elektromobilität auf den Punkt. E-Autos sind in Wolfsburg geduldet, taugen aber eher für den Prospekt als für hohe Stückzahlen. Entsprechend halbherzig wurde die Technologie entwickelt – geschweige denn in sie investiert.
Die Zukunft gehöre, daran ließ das VW-Management um Aufsichtsratsboss Piëch und den Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn keinen Zweifel, dem Verbrennungsmotor. Kleinen, sparsamen Dieselmotoren, um genau zu sein. Bei denen wollte Volkswagen den CO2-Ausstoß innerhalb weniger Jahre um bis zu 30 Prozent senken. Damit sollten die gesetzlichen Vorgaben nicht nur erreicht, sondern deutlich unterboten werden – neben dem größten wollte Volkswagen auch der grünste Autobauer sein.
Das ist ja, wie inzwischen hinreichend bekannt, krachend gescheitert. Während die Folgen des millionenfachen Betrugs bei den Stickoxid-Werten und Falschangaben beim CO2-Ausstoß noch nicht abzusehen sind, tritt das neue VW-Management jetzt die Flucht nach vorne an: Das E-Auto, intern einst belächelt, soll es richten. Die Einsicht kommt spät – zu spät? Das wird die Zukunft zeigen.
VW büßt für Alleingänge der Vergangenheit
Die Elektro-Strategie sieht bislang so aus: Die Neuauflage der Luxuslimousine Phaeton hat der neue VW-Markenchef Herbert Diess verschoben. Das Flaggschiff kommt, wenn überhaupt, als reines Elektroauto. Tesla lässt grüßen.
Doch statt Zuspruch und Unterstützung kam aus den Chefetagen der anderen Deutschen Autobauer vor allem eines: Absagen. Mehr als 60 Jahre hat Volkswagen die Dinge lieber im Alleingang erledigt – und dabei auch das ein oder andere Mal aufs falsche Pferd gesetzt. Mit dem wachsenden Reich aus inzwischen zwölf Marken lassen sich schließlich intern so viele Synergien erzielen, dass eine Zusammenarbeit nicht nötig war. Dass genau dieser Konzern plötzlich um Verbündete wirbt, stimmt die Konkurrenz skeptisch.
Anders als bei Volkswagen will sich das Daimler-Management der Forderung des eigenen Betriebsrats nicht anschließen. Schließlich sind die Stuttgarter selbst ein gebranntes Kind: Mit LiTec hatte Daimler eine eigene Batterie-Fabrik in Deutschland aufgebaut. Die Zellen aus dem sächsischen Kamenz waren auch nachweislich gut – nur war die Produktion nicht wirtschaftlich. LiTec wird geschlossen. Daran will Daimler festhalten, auch wenn VW jetzt auf die Idee kommt, Batteriezellen bauen zu wollen.
Es gibt nicht eine Batterie für alle Zwecke
Nicht zuletzt hat Diess persönlich mit dieser Aussage einen radikalen Wandel vollzogen. In seiner Zeit bei BMW war er kein Freund einer eigenen Zellfertigung – auch aus Kostengründen. Im Ergebnis fahren heute die Elektro-BMWs i3 und i8 mit Zellen aus Südkorea. Immerhin werden die zugekauften Zellen noch selbst zu Batteriemodulen zusammengesetzt. So läuft es auch bei anderen deutschen Autobauern. Aus gutem Grund.
Der VW-Abgas-Skandal im Überblick
Die US-Umweltbehörde EPA teilt in Washington mit, Volkswagen habe eine spezielle Software eingesetzt, um die Messung des Schadstoffausstoßes bei Abgastests zu manipulieren. In den Tagen darauf wird klar, dass weltweit Fahrzeuge von VW und der Töchter betroffen sind – darunter auch Audi und Porsche. Die VW-Aktie bricht ein.
VW-Chef Martin Winterkorn tritt nach einer Krisensitzung der obersten Aufseher zurück. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig prüft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen VW. Anlass dafür seien auch eingegangene Strafanzeigen von Bürgern, heißt es.
Der VW-Aufsichtsrat tagt. Nach langer Sitzung beruft das Gremium Porsche-Chef Matthias Müller zum neuen Konzernchef und trifft einige weitere Personal- und Strukturentscheidungen. Verantwortliche Motorenentwickler werden beurlaubt.
Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen. Entgegen einer ersten Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Braunschweig gibt es keine Ermittlungen gegen Ex-Chef Martin Winterkorn persönlich.
Das Aufsichtsrats-Präsidium beschließt, Hans Dieter Pötsch per registergerichtlichen Anordnung in den Aufsichtsrat zu berufen. Das ist möglich, weil mehr als 25 Prozent der Aktionäre Pötsch favorisiert haben. Die Familien Porsche und Piëch, die Pötsch gegen die Bedenken des Landes Niedersachsens und der Arbeitnehmer durchgesetzt haben, halten über die Porsche SE rund 52 Prozent der VW-Anteile. Julia Kuhn-Piëch, die erst dieses Jahr nach dem Rücktritt von Ferdinand und Ursula Piëch in das Kontrollgremium aufgerückt war, verlässt den Aufsichtsrat wieder.
Es ist klar, dass die betroffenen VW-Fahrzeuge in die Werkstatt müssen, damit die Schummel-Software verschwindet. Bei einigen Motorenwerden die Techniker selbst Hand anlegen müssen. Eine Rückruf-Aktion, so wird es am nächsten Tag bekannt werden, soll 2016 starten. Die geschäftlichen und finanziellen Folgender Krise sind nicht absehbar. Die Kosten der Abgas-Affäre werden jedoch enorm sein. Der neue Chef muss sparen: "Deshalbstellen wir jetzt alle geplantenInvestitionen nochmal auf denPrüfstand", kündigt Müller an.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnet einen verpflichtenden Rückruf aller VW-Dieselautos mit der Betrugssoftware an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,4 Millionen Wagen in die Werkstatt. VW hatte eine freiwillige Lösung angestrebt.
Der Skandal beschert dem Konzern im dritten Quartal einen Milliardenverlust. Vor Zinsen und Steuern beläuft sich das Minus auf rund 3,5 Milliarden Euro.
Der Skandal erreicht eine neue Dimension. VW muss - nach weiteren Ermittlungen der US-Behörden - einräumen, dass es auch Unregelmäßigkeiten beim Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) gibt. Rund 800.000 Fahrzeuge könnten betroffen sein. Die VW-Aktie geht erneut auf Talfahrt.
Der Diesel-Skandal in den USA weitet sich aus. Erneut. Es seien mehr Drei-Liter-Diesel der Marken Volkswagen und Audi betroffen, als bislang angenommen, erklärt die US-Umweltbehörde EPA. Die Autobauer bestreiten dies zunächst. Wenige Tage später, am 24. November, müssen sie allerdings einräumen, ein sogenanntes „Defeat Device“ nicht offengelegt zu haben. Die Software gilt in den USA als illegal.
Die Auswirkungen des Skandal zwingen VW zudem zum Sparen: VW fährt die Investitionen für das kommende Jahr runter. 2016 sollen die Sachinvestitionen um eine Milliarde Euro verringert werden. „Wir fahren in den kommenden Monaten auf Sicht“, sagt VW-Chef Müller. Weitere Ausgaben bleiben auf dem Prüfstand.
Neuer Ärger für Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt nun auch wegen mögliche Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit falschen CO2-Angaben. Die könnten dazu geführt haben, dass zu wenig Kfz-Steuer gezahlt wurde.
Zumindest etwas Positives für die Wolfsburger: Zur Nachrüstung der millionenfach manipulierten Dieselmotoren mit 1,6 Litern Hubraum in Europa reicht nach Angaben von Volkswagen ein zusätzliches, wenige Euro teures Bauteil aus. Bei den 2,0-Liter-Motoren genügt ein Software-Update. Das Kraftfahrtbundesamt genehmigt die Maßnahmen. Auch wenn VW keine Angaben zu den Kosten macht – es hätte schlimmer kommen können.
Das zeigt etwa ein Blick in die aktuellen Modelle des Volkswagen-Konzerns: Die Batteriemodule, aus denen sich die Batterie eines Elektroautos oder Plug-In-Hybrids zusammensetzt, sind innerhalb des VW-Reichs alle gleich. Je nach Auto werden dann unterschiedlich viele Module in der Batterie verbaut – ob es ein Hybrid mit 50 Kilometern Elektro-Reichweite oder ein reines E-Auto mit 500 Kilometern werden soll.
Entscheidend in der Diskussion um eine deutsche Zell-Fertigung: Es gibt nicht die eine Batteriezelle, die zu allen Einsatzgebieten passt. Bei einem Audi Q7 e-tron werden andere Zellen in die Module eingebaut als etwa bei einem VW e-Golf. Mit anderen Worten: Jeder Zelltyp hat Vor- und Nachteile. Es wird von Modell zu Modell entschieden, welche Zellen in die Module kommen – sogenannte prismatische Zellen von Samsung, Pouch-Zellen von LG oder gar Rundzellen vom Typ 18650, wie sie Tesla verwendet.
Welche Ausmaße eine moderne Batteriefabrik annehmen kann, zeigt ein Blick in die Wüste von Nevada, wo Tesla zusammen mit Technologiepartner Panasonic derzeit die Gigafactory aus dem Boden stampft. Dabei geht es bei Teslas Milliarden-Investment "nur" um die technologisch relativ simplen Rundzellen. Die Herausforderung hierzulande eine Fertigung aufzubauen, die unterschiedliche Zelltypen für unterschiedliche Autobauer in hohen Stückzahlen zu bauen, ist ungleich komplexer – und teurer.
Der Vorstoß der Betriebsräte, dieses Technologiefeld samt Arbeitsplätzen nach Deutschland zu holen, ist verständlich. Das mangelnde Interesse der Autobauer, in eine für den Kunden unsichtbare Technologie zu investieren und dabei noch an Flexibilität einzubüßen, aber auch.
Bevor die neue Führung um Konzernchef Matthias Müller bei den Batterien einen weiteren Alleingang wagt, sollten sie einen Blick in die eigene Vergangenheit werfen: Als Anfang des Jahrtausends der Rest der Autowelt bei Dieselmotoren an der Common-Rail-Einspritztechnik arbeitete, war Volkswagen eisern von den Vorzügen der Pumpe-Düse-Technologie überzeugt. Bis im Konzern die Einsicht gereift war, dass die Common-Rail-Technik doch besser war, hatte Volkswagen einen großen Rückstand. Aufholen sollte diesen ein vollkommen neuer Motor, der EA189 – eben jenes Aggregat, das heute als "Höllenmaschine" verschrien ist.
Deshalb sollte sich Volkswagen genau überlegen, wie die Elektroauto-Offensive aussehen soll – mit einer eigenen Batteriefertigung oder doch mit zugekauften Akkuzellen. Heute fertigt kein Autobauer seine Zellen selbst. Sich vom Markt abzuheben, könnte künftig ein großer Vorteil für Volkswagen sein und das Elektroauto auch preislich attraktiver machen. Mal wieder gegen den Trend der anderen Autobauer zu schwimmen, kann aber auch ein teures Risiko sein – die Gefahr, erneut auf einen Holzweg zu geraten, ist sehr groß.