VW-Software-Tochter Cariad „Die Erwartungshaltung war anfangs bisweilen unrealistisch“

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„Der Druck ist enorm“

Wenn man für Cariad eigentlich Superentwickler braucht, sind Sie als typischer Automann dann überhaupt der Richtige an der Spitze? 
Ja. Am Ende des Tages geht es darum, ein Technikteam zu integrieren. Es geht darum, Menschenkenntnis zu haben und die richtigen Talente zu identifizieren. Viele habe ich persönlich interviewt. Es geht um Führungsstärke und darum, ein Team zusammenzubringen. Es geht darum, Brücken zu bauen zwischen unterschiedlichen Welten und sie in ein neues, gemeinsames Ziel zu führen. Denn leider haben wir es auch erlebt, dass Menschen, die aus der Softwarewelt kommen, in der Automobilwelt brutal abtropfen. Nun ist es meine Aufgabe, das Saatgut in den aufgebrochenen Boden einzubringen. Und zwar so, dass wir es nicht gegen die Kolleginnen und Kollegen aus der Autowelt machen, sondern mit ihnen gemeinsam - sonst wächst in diesem Boden nachher nichts.

Cariad gibt es erst zwei Jahre lang – und doch wurde der Vorstand bereits mehr als einmal komplett ausgetauscht. Was ist da los? 
Bevor ich kam, gab es für Cariad andere Ziele. Mit den neuen Zielsetzungen konnten dann persönliche Karriereerwartungen von manchen Führungskräften nicht mehr erfüllt werden. Mit der Vorgabe von nur vier Vorständen zum Beispiel war klar, dass mancher, dem ein Vorstandsposten versprochen wurde, das nicht mehr erreichen konnte. So haben sich dann Wege getrennt, einfach weil die Zielvorstellungen nicht mehr zusammenpassten. Denn auch bei uns gibt es Menschen, die sagen: Hm, dann habe ich ja nicht mehr so viele Leute, nicht mehr so viel Budget. 

Gibt es einen Brain Drain? 
Nein. Im vergangenen Jahr hatten wir eine Fluktuation von gerade mal zwei Prozent. Und doch ist es wahr: Das hier ist harte Arbeit. Das bedeutet: viele Stunden, extremes Commitment. Wir sind hier aber auf dem Schiff, das auf dem richtigen Kurs ist. Da stürmt es auch mal, es gibt Hagel, es gibt es Gegenwind, und wer auf diesem Schiff mit dabei ist, muss einiges abkönnen. Gleichzeitig gibt es auch starken Rückenwind. 

Wie wollen Sie den Vorsprung von Tesla und Co. noch aufholen? 
Unsere Softwarearchitektur ist einer Zentralrechnerarchitektur ähnlich der von Tesla nachempfunden, aber schon ein, zwei Schritte weiter. Unsere Software muss aber für ein deutlich breiteres Spektrum von Fahrzeugen geeignet sein, deswegen haben wir es schwerer. Wir haben bereits sehr, sehr viel erreicht - aber noch nicht das, was wir hätten erreichen wollen. Denn der Druck, der auf Cariad liegt, dass wir gegenüber den Wettbewerbern aufholen müssen, der Druck ist enorm. Da gibt es noch eine Menge zu tun. Deswegen wachsen wir jetzt sehr stark anorganisch, kaufen ganze Teams, weil organischer Aufbau einfach zu lange dauert. 

Sie wollen zukaufen? 
Ja, und die Projekte laufen. Wir haben weiße Flecken identifiziert in der Umsetzung zu unserem Ziel, mehr selber zu entwickeln. Das gehen wir an. Wir gucken international nach Firmen, die wir kaufen können – also in Asien, USA und Europa. Da geht es um Kompetenz. Wir arbeiten intensiv daran. Das hat Fokus und Priorität. 

Im September haben Sie noch gesagt, dass Ihr Geschäftsmodell, so viel selber entwickeln zu wollen, „eine Bedrohung für den ein oder anderen Zulieferer“ sei. Seitdem kamen immer wieder Ankündigungen über neue Kooperationen, etwa mit Bosch. Hat sich da intern etwas in Ihrem Denken verändert?
Wir haben eine Kooperation und trotzdem werden wir in den Wettbewerb gehen. Der Weg bis zum autonomen Fahren ist so steinig, dass man auf dem Weg dahin Partnerschaften eingehen muss. Nur so stellen wir sicher, dass die sicherste Lösung in den Fahrzeugen angeboten wird. Wir haben also nun mit Bosch eine Lebensabschnittspartnerschaft. Wir brauchen einander jetzt, werden aber später auch Wettbewerber sein. Da ist auch bei uns eine Lernkurve dabei gewesen, denn Talente sind sehr heiß umkämpft, zum Beispiel beim System on Chips. Solche Teams kann man gar nicht einzeln aufbauen, sondern man muss sie kaufen.  

Bleibt es bei Ihrem Ziel, 2025 rund 60 Prozent der Software selber zu entwickeln?
Ja, im Durchschnitt wird das die Zahl sein. Obwohl das in jedem Feld anders aussieht. Denn es gibt Bereiche, in denen wir sogar alles selber machen müssen, um nicht hinter dem Wettbewerb zurückzufallen. Wichtig ist das zum Beispiel in China. 

Wie viel Prozent der Entscheidungen werden von den Menschen getroffen, die die Kompetenz haben?
Zu wenig. Wir haben noch Potenzial darin, in die Teams zu delegieren. 

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Falls Sie wider Erwarten doch scheitern: Wie sieht es mit Partnerschaften mit anderen Autobauer aus?
Ich denke nicht in solchen Kategorien und spekuliere auch nicht. Wir sind dem Erfolg verpflichtet. Branchenpartnerschaften allgemein aber kann es in bestimmten Bereichen geben. Die Autoindustrie unterhält sich, natürlich nur im kartellrechtlich zulässigen Rahmen, wo Software nicht differenzierend ist. Es könnte, anders als in der Vergangenheit, Zeitfenster für eine Zusammenarbeit etwa mit anderen Autoherstellern geben. Wir haben uns verändert, dazugelernt und andere Autohersteller auch.

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