VW hat nachgegeben. Die stillgelegte Produktion des Golfs, dem meistverkauften Modell der Wolfsburger, kann bald wieder anlaufen. Das gilt auch für die Bänder in Emden, Kassel, Salzgitter, Zwickau und Braunschweig. Der Liefer-Streit, der die Produktion bis in den September hinein beeinflusst hätte, ist beigelegt. Knapp 28.000 Beschäftigte des Konzerns, die in Kurzarbeit oder Zwangsurlaub sind, können wieder an die Arbeit.
Das ist eine gute Nachricht. Der Streit um Lieferkonditionen und -aufträge wird nicht weiter auf dem Rücken der Beschäftigten und – wegen des beantragten Kurzarbeitergeldes – der Steuerzahler ausgetragen. Es scheint sie also noch zu geben, die ökonomische Vernunft.
Doch es gibt auch eine schlechte Nachricht für VW. Mit der Einigung ist genau das eingetreten, was die Top-Manager in Wolfsburg verhindern wollten. Sie haben einen Präzedenzfall geschaffen, auf den sich jetzt andere Zulieferer berufen können: VW hat mit seinem eigenen System gebrochen.
Über Jahre lief es in der Autobranche so ab: Der mächtige Hersteller diktiert die Bedingungen, der Zulieferer hat sich zu fügen. VW stand mit seinen früheren und heutigen Einkaufsvorständen José Ingacio López und Javier Garica Sanz jeweils an der Spitze der Preisdrücker. Allenfalls große Zuliefererkonzerne wie Bosch und ZF, die selbst über Marktmacht verfügen, konnten sich dem Preisdiktat zum Teil entziehen. Für kleinere Zulieferer galt: Wer sich nicht fügt, fliegt raus.
Kein Pyrrhussieg, sondern ein Triumph auf ganzer Linie
Bis jetzt. Zwei verhältnismäßig kleine Unternehmen haben es geschafft, die Kaskade zu durchbrechen. Offiziell wurde zwar zu den Inhalten der Einigung Stillschweigen vereinbart, aus Verhandlungskreisen war aber zu hören, dass man sich auf eine langfristige Partnerschaft geeinigt haben soll. Sprich: Die beiden Zulieferer Car Trim und ES Automobilguss haben genau das erreicht, was sie wollten. Sollte sich das bewahrheiten, ist es kein Pyrrhussieg, sondern ein Triumph auf ganzer Linie.
Die Komponentenwerke in Deutschland
Beschäftigte: 60.452 Mitarbeiter (Anteil der Komponentenwerke nicht gesondert ausgewiesen)
Komponenten: Presswerk, Fahrwerk, Kunststofftechnik
Modelle: Golf, Golf Sportsvan, e-Golf, Tiguan, Touran
Quelle: Volkswagen
Beschäftigte: 7.031 Mitarbeiter
Komponenten: Lenkung, Hinter-/Vorderachse, Feder/Dämpfer, Hilfsrahnem/Schwenklager, Batteriesysteme
Beschäftigte: 16.536 Mitarbeiter
Komponenten: Getriebe, Gießerei, Presswerk, Abgasanlagen
Beschäftigte: 6.906 Mitarbeiter
Komponenten: Motoren
Beschäftigte: 1.837 Mitarbeiter
Komponenten: Motoren
Beschäftigte: 43.192 Mitarbeiter (Anteil der Komponentenwerke nicht gesondert ausgewiesen)
Komponenten: Karosserie- Fahrwerk- und Motorkomponenten; Fahrzeug-, Press- und Alugusskomponenten
Modelle: A3, A4, A5, Q5
Beschäftigte: 2.497 Mitarbeiter
Komponenten: Sitztechnik
Standorte: Wolfsburg, Emden und Hannover
Beschäftigte: 15.743 Mitarbeiter (Anteil der Komponentenwerke nicht gesondert ausgewiesen)
Komponenten: Fahrerhäuser, angetriebene Achsen, Kurbelwellen, Achsen,
Standorte: München, Nürnberg und Salzgitter
Beschäftigte: 7.679 Mitarbeiter (Anteil der Komponentenwerke nicht gesondert ausgewiesen)
Komponenten: Turbolader, Kompressoren, Reaktoren, Hochdruck- und Spezialapparate, Dampf- und Gasturbinen
Standorte: Augsburg, Berlin, Deggendorf, Hamburg und Oberhausen
Beschäftigte: 1.913 Mitarbeiter (Anteil der Komponentenwerke nicht gesondert ausgewiesen)
Komponenten: Getriebe, Gleitlager und Kupplungen
Standorte: Augsburg, Hannover und Rheine
Vordergründig ging es um einen Entwicklungsauftrag von VW an Car Trim, das Volumen sollte bei 500 Millionen Euro liegen. Kurz vor Ablauf der Frist kündigten Volkswagen und Porsche den Vertrag – und Car Trim verlangte einen Millionen-Ausgleich für bereits getätigte Investitionen. So blöd es klingt: Dieser Umgang ist schon fast normal in der Branche.
Ob der Streit nun wegen der Eigendynamik, die er in den vergangenen Wochen entwickelt hat, derart eskaliert ist oder aus reinem Kalkül, sei dahingestellt. Für das Kalkül spricht aber: Als VW nicht zahlen wollte, hat Car Trim seine Lieferungen gestoppt – und einen Teil seiner Forderungen an das ebenfalls zur Prevent-Gruppe gehörende Unternehmen ES Automobilguss abgetreten. Car Trim als Lieferant für Sitzbezüge wäre leichter zu ersetzen gewesen. ES Automobilguss als alleiniger Lieferant („single sourcing“) für ein wichtiges Gehäuseteil an dem weit verbreiteten Doppelkupplungsgetriebe konnte den ganzen Betrieb lahmlegen. Ein wohl entscheidender Schachzug in einem Stellvertreterkrieg zwischen Autobauer und Zulieferer.
Die Verhandlungen waren auch deshalb so schwierig, weil ein Einlenken für beide Seiten folgenschwer gewesen wäre. Welcher Autobauer will schon ernsthaft mit einem Zulieferer zusammenarbeiten, der im Streitfall die Produktion lahmlegt?