30.000 Stellen sollen bei VW wegfallen und der halbe Konzern soll schon in wenigen Jahren auf die Produktion von Elektroautos umgestellt werden. Gemessen an den besonderen Beharrungskräften in Wolfsburg – bedingt durch die einzigartige Macht-Konstellation von Eigentümerfamilien, Staatsbeteiligung und IG Metall – ist das eine Zäsur historischen Ausmaßes.
Die einst so unüberwindbar anmutenden Mauern der Wolfsburg zeigen gleich mehrere große Risse: Die Kosten und Imageschäden des Dieselskandals, die dauerhafte Ertragsschwäche der Marke VW, der Rückstand bei Zukunftsthemen wie E-Mobilität, neuen Dienstleistungen und Digitalisierung, dazu Absatzprobleme in USA, Südamerika, Russland und asiatischen Ländern.
Der Manipulationsskandal ist also beileibe nicht die Ursache für den Abbau von rund fünf Prozent der insgesamt über 600.000 Stellen. Aber der Auslöser. „Das Auto“ bin ich, das war die Haltung in Wolfsburg, vom Vorstandschef bis zum Bandarbeiter. Erst der Skandal erdete das Unternehmen und lenkte die Blicke in die richtige Richtung.
VW-Zukunftspakt: Was auf die Werks-Standorte zukommt
Bis 2020 sollen am Stammsitz rund 1000 Arbeitsplätze in Zukunftsfeldern entstehen. Der nächste Golf 8 für die USA soll in Wolfsburg gefertigt werden, außerdem ein SUV für die spanische Tochter Seat. In anderen Bereichen läuft die Fertigung bis 2022 aus - unter anderem beim Lenkstangenrohr und der Räderfertigung.
Das größte Teilewerk des Konzerns soll im VW-Konzern das Leitwerk für den Elektro-Antriebsstrang werden - samt Entwicklungsaufgaben. Zudem sollen in Nordhessen auch mehr Ersatzteile gefertigt werden.
Das Motorenwerk in Salzgitter gilt als einer der Verlierer aufkommender E-Antriebe. Der Standort soll daher die Federführung bei der Entwicklung von Batteriezelltechnologien erhalten und - soweit wirtschaftlich tragbar - auch die Serienfertigung der Zellen. Die Produktion von Hauptkomponenten für E-Motoren soll sich Salzgitter mit Kassel teilen.
Ab 2019 soll Emden ein viertes Modell bekommen, um die Auslastung des Werkes an der Küste zu sichern. Im Zuge der Abgasaffäre hatte VW im März angekündigt, die Verträge von 2150 Leiharbeitern nicht zu verlängern.
Die Gießerei und der Bereich Wärmetauscher standen auf dem Prüfstand, bleiben aber erhalten und sollen auch Komponenten für die E-Antriebe der Zukunft liefern. Zudem wird in der Gießerei der 3D-Druck von Teilen angesiedelt. In beiden Bereichen fallen jedoch Stellen weg.
Das Werk bekommt die Entwicklung für Batteriesysteme in den Produktionsbaukästen des Konzerns sowie die Montage von einigen Batterien. Zudem soll die Produktion von Lenkungen ausgebaut werden. Die Kunststofffertigung wird dagegen bis 2021 eingestellt, auch Fahrwerke werden wohl Arbeit verlieren.
Neue Golf-Modelle sollen auch weiter in Zwickau gebaut werden, zudem soll das Werk ein Elektromodell erhalten. Dennoch wird die Zahl der Beschäftigten sinken.
Nun soll der „Zukunftspakt“ zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Folgen des Skandals ausbügeln und den Konzern in die automobile Zukunft katapultieren. Zu früh freuen sollte sich aber niemand. Denn Personalabbau und radikale Konzernumstrukturierungen bergen – und das auch nur, wenn es richtig gemacht wird – lediglich auf lange Sicht Chancen. Erst einmal bringt das Um- und Abbauen Sand ins Getriebe, kostet Zeit, Geld, Nerven, vielleicht auch Kreativität oder Qualität. Ob sich die Marke VW, die nach Einschätzung ihres Chefs Herbert Diess für sich nicht überlebensfähig wäre, diese Jahre des Umbaus überhaupt leisten kann, muss sich erst noch zeigen.
Freuen kann sich am Tag dieses bedeutenden Einschnitts der Erzrivale Toyota, der vor VW auf Platz eins der Liste der Autohersteller rangiert. Die Japaner haben in den vergangenen Jahren alles anders gemacht als Volkswagen, und es war fast alles richtig. Wirklich saubere Hybridantriebe statt verlogene Clean-Diesel-Offensiven, Bescheidenheit und Fokussierung aufs Kerngeschäfts statt der „Das Auto“-Großmannssucht, vor allem aber: eine lehrbuchmäßige Profitabilität. Beim Umsatz liegen Toyota und VW gleich auf, Toyota kommt dabei aber mit einer nur halb so großen Belegschaft aus. Auch wenn die Konzerne nicht zu hundert Prozent vergleichbar sind, zeigt diese Kluft, welchen Weg VW noch vor sich hat.
Der Hybridauto-Pionier Toyota kann nun ganz locker von der Hybridphase, also dem teilweisen elektrischen Fahren, auf das vollelektrische Fahren umstellen. Wie ein fieser Seitenhieb wirkt die Toyota-Mitteilung von heute, dass im Konzern eine Einheit für dieses reine Elektroauto aufgebaut werden soll – eine Einheit mit zunächst vier Mitarbeitern. Kein Witz! Vier Mitarbeiter.
Natürlich ist das nur der neue Lenkungskreis für eine später dann zügig wachsende Einheit. Aber der Unterschied zu VW könnte deutlicher nicht sein. Der eine, durch den Dieselskandal und jahrelanges Leugnen der elektrischen Zukunft in die Ecke getrieben, bürstet den halben Konzern im Rekordtempo aufs E-Autos. Es scheint der einzige Ausweg, um die CO2-Auflagen in Zukunft zu schaffen.
Der andere muss überhaupt nicht hektisch werden, denn beim Thema CO2 ist er dank Hybridantrieb auf der sicheren Seite. Seine Taschen sind prall gefüllt. Er bittet erst einmal ein paar Mitarbeiter, die Zukunft zu skizzieren, um dann irgendwann auf das E-Auto umzuschalten. Aber ohne Nervosität, ohne die damit verbundenen Kollateralschäden, ohne gleichzeitige Massenentlassungen und Sparmaßnahmen und vor allem erst dann, wenn der Markt und die Technologie reif sind und auch die Rendite stimmt.
Das ist dann wohl, um im Wolfsburg-Duktus zu bleiben, „Der Autobauer“.