Weltpremiere des VW Golf 8 Der neue Golf bringt es nur zum Nebendarsteller

Steht im Schatten des vollelektrischen ID.3: der neue VW Golf 8. Quelle: Volkswagen

Auf der IAA setzte VW allein auf seinen E-Hoffnungsträger ID.3. Für den neuen Golf 8, der eigentlich das Geld in die VW-Kassen spülen soll, war kein Platz. Nun wurde der neue Golf in Wolfsburg enthüllt. Das bietet er.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Wenn Volkswagen seinen neuen Golf präsentiert, stehen zumindest in Europa die automobilen Uhren ein paar Minuten lang still. VW Golf, das ist Ikone, Massenmodell, Sportlichkeit, gepaart mit Langeweile, Hightech, deutscher Ingenieurskunst und praktischer Zeitlosigkeit. Einen Golf von VW ist wohl jeder schon einmal gefahren – als Fahrschulauto, Privatwagen oder bei Freunden. Als der von Volkswagen und Giorgetto Giugiaro gezeichnete Golf 1974 das Licht der automobilen Welt erblickte, hätten ihm nur wenige zugetraut, dass er einmal das wichtigste Auto auf dem europäischen Markt werden würde. Eine moderne Art der Massenmobilisierung vom einstigen Basismodell mit karger Plastikausstattung, kantigen Formen und schmalen 50 PS bis hin zu Raketen wie dem über 300 PS starken Golf R mit Motorsportgenen und Hightech-Ausstattung. Bis heute wurden von ihm mehr als 35 Millionen Fahrzeuge gebaut.

Doch wer die letzten zwei Jahre betrachtet und einen kritischen Blick auf die Marke Volkswagen wirft, der meint gerne mal, dass der Golf ein Auto von vorgestern sei. VW-Chef Herbert Diess ließ keine Möglichkeit aus, Volkswagen als Elektromarke der Neuzeit darzustellen. Für den Golf blieb da zumindest nach außen hin kein Platz mehr. Nach dem auf der IAA enthüllten Erstlingswerk ID. 3 wird es eine ganze ID-Familie mit zahllosen Modellen vom Kleinwagen über einen Buggy bis zum großen SUV und dem lange herbeigebeteten Bus geben – natürlich alles rein elektrisch. Das ist die Zukunft von Volkswagen. Doch wo bleibt da der neue Golf? Die mittlerweile achte Generation wird die Kompaktklasse einmal mehr neu definieren und der Konkurrenz von Opel Astra, Peugeot 308, Ford Focus oder Toyota Corolla zeigen, wie rückständig sie eigentlich ist.

So sieht der neue VW Golf 8 aus
VW Golf 8 Quelle: Volkswagen
VW Golf 8 Quelle: Volkswagen
VW Golf 8 Quelle: Volkswagen
VW Golf 8 Quelle: Volkswagen
VW Golf 8 Quelle: Volkswagen
VW Golf 8 Quelle: Volkswagen

Seit Jahren ist die Konkurrenz in der europäischen Volumenklasse chancenlos gegen den VW Golf. Die Gründe für den Dauererfolg: Zeitloses Design, modernste Technik, hoher Alltagsnutzen und ein Antriebsportfolio, das keine Grenzen zu kennen scheint. Doch erstmals trägt der Golf in seiner achten Generation einen schweren Rucksack, eine Bürde, die ihm nicht von der starken Konkurrenz, sondern aus dem eigenen Hause mitgegeben wurde. Das Aushängeschild der Marke soll künftig die elektrische ID-Familie sein. VW Golf 8 – das ist scheinbar nicht mehr als die alte Autowelt. Gut nachvollziehbar, dass die Verantwortlichen aus dem Hause Volkswagen in den letzten zwei Jahren zumindest nach außen hin alles auf die Karte Elektromobilität gesetzt haben.

Die Realität sieht dabei deutlich anders aus. Denn während der VW ID. 3 und seine Nachfolger auf dem modularen Elektrobaukasten eine gefährliche Wette auf die ebenso ungewisse wie elektrische Zukunft sind, ist der Golf nicht nur das Herz der Marke Volkswagen, der Inbegriff des frisch überarbeiteten Marken-Signets und ein unverzichtbarer Volumenbringer. Der Golf holt für Volkswagen ebenso wie der Passat und zunehmend die SUV-Familie mit T-Roc, T-Cross, Tiguan, Tharu, Atlas und Co. das Geld in die VW-Kassen. Ohne einen Golf der achten Generation gäbe es keinen ID. 3. Das liegt keinesfalls an einer identischen technischen Plattform, sondern schlicht daran, dass der Golf das Geld hereinholen muss, das die ID-Familie zumindest zunächst einmal ausgibt.

Da schmerzt es, dass der VW Golf 8 sich in der Entwicklung schwerer tut als seine Vorgänger. Das Design ist bereits seit mehr als drei Jahren abgenickt, doch an der Technik haperte es. Gerade die Bordelektronik mit Fahrerassistenzsystemen und der neuen Infotainmentplattform bereitete immer wieder Schwierigkeiten. Daher wurde der Golf mehrfach nach hinten geschoben. Ursprünglich sollte er Anfang 2019 kommen und dann wurde die Weltpremiere zuletzt vom Frühsommer auf Ende Oktober verschoben. Auf den Markt rollt die nächste Golf-Generation nunmehr sogar erst im ersten Quartal 2020, nachdem es dem Vertriebsteam rund um Vorstand Jürgen Stackmann zu sinnlos erschien, den achten Golf Ende des Jahres in die Schauräume zu rollen.

Optisch präsentiert sich der neue VW Golf 8 als echter Golf; große Überraschungen sucht man bei Design und Proportionen weitgehend vergeblich. Mit den Tränensäcken in der Frontleuchten erscheint das kommende Kompaktklassemodell etwas moderner, wobei Abmessungen und Linienführungen ähnlich bleiben. Die Rückleuchten erinnern an die aktuellen SUV-Modelle T-Roc und T-Cross. Trotzdem wurde der Golf 8 komplett neu entwickelt und basiert wie knapp 80 Prozent der VW-Modelle auf dem modularen Querbaukasten MQB.

Deutlich mehr hat sich im Innenraum getan. Hier gibt es mehr Platz als vorher und eine komplett neue Instrumenteneinheit. Und genau die bereitete den Entwicklern jede Menge Sorgen, denn der modulare Entertainmentbaukasten, der sich quer über die meisten Konzernmarken spannt, hatte lange Zeit technische Schwierigkeiten. Das neue Zehn-Zoll-Cockpit des VW Golf 8 ist komplett animiert. Hinter dem ebenfalls neu entwickelten Lenkrad mit zahlreichen Touch-Elementen und Drückern gibt es eine entsprechende Bedienung links von der Armaturentafel für die Lichtfunktionen. Schalter sucht man zumeist vergeblich, denn die wichtigsten Funktionen werden über Touch und Slider an der unteren Kante des Bildschirms bedient. So lassen sich zum Beispiel Klimatisierung und die Lautstärke des Soundsystem steuern. Unter dem mindestens zehn Zoll großen Display gibt es eine induktive Ladeschale und USB-C-Anschlüsse. Einen Schlüssel kann man sich sparen, denn der Golf öffnet und verschließt sich per Smartphone. Der neue Golf bietet LED-Licht, ist immer online und lässt sich per Sprache bedienen. Einige Ausstattungen lassen sich nachordern und online aktivieren.

Das bisherige Modellangebot des Golf wird in der achten Generation ausgedünnt, denn Sportsvan und Touran werden als ein Familienmodell zusammengefasst, während der normale Golf als fünftürige Schrägheckversion und als betont lifestyle-orientierter Variant inklusive Alltrack-Version im Programm bleiben. Golf Cabrio und E-Golf (ersetzt vom ID. 3) bekommen keine Nachfolger. Ausgedünnt wird auch das Motorenportfolio. Das Leistungsspektrum deckt sich weitgehend mit dem des aktuellen Modells. So gibt es Diesel und Benziner mit drei und vier Zylindern, die zwischen 90 und rund 350 PS leisten. Der GTI bekommt einen Leistungsnachschlag auf 300 PS und auch der durchweg allradgetriebene VW Golf R bleibt mit rund 350 PS als Topmodell im Programm. Erstmals gibt es für die Versionen mit 81, 96 und 110 Kilowatt nicht nur ein 48-Volt-Bordnetz als Mild Hybrid, sondern auch zwei Plug-In-Hybride mit 150 kW / 204 PS und 180 kW / 245 PS – das ist GTI-Niveau.

Wahlweise gibt es Sechsgang-Handschaltung und ein siebenstufiges Doppelkupplungsgetriebe für die verschiedenen Golf-Varianten. Serienmäßig für einige Modelle an Bord: Zylinderabschaltung und ein Mild-Hybrid-System, was die Realverbräuche deutlich senken soll. Die Preise für den neuen VW Golf 8 dürften bei rund 20.000 Euro beginnen. Und damit zeigt sich eine Stärke, denn der VW Golf bietet viel Auto für wenig Geld. Der elektrische VW ID.3 startet bei rund 30.000 Euro – die erste Serie kostet gar fast 40.000 Euro. Für die meisten Interessenten dürfte der Golf daher die deutlich bessere Wahl sein und von alter Welt ist beim neuen Golf nicht viel zu spüren.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%