Werner knallhart

Wie mir DriveNow das Deutschland-Spiel versaute

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"Drive! NOW!"

Ich rief die Hotline der Schadensmeldung an. "Ihre voraussichtliche Wartezeit beträgt acht Minuten." WHAT? Ich legte auf, wischte mir den Schweiß aus dem Gesicht und tippte per SMS an meinen Leidensgenossen: "Sorry, sitze im Auto. Nichts tut sich."

"Kein Stress! Wo ist denn der Stau?"

"ICH STEHE NOCH AUF DEM PARKPLATZ!"

"Was? Guck mal auf die Uhr. Das Spiel beginnt in 18 Minuten."

Nun, das wusste ich selber. Ui, ich fand eine Schadensmeldungs-Möglichkeit in der App. Ich gab das Autokennzeichen und klickte auf die Option "Bordcomputer reagiert nicht". Sehr schön. Bald würde ich sicher einen Anruf bekommen. Ich drückte "senden". Antwort: "Danke für Ihre Mithilfe." Och, sehr gerne. Und nu?

Ich schlug mir den Anpfiff aus dem Kopf und wählte wieder die Hotline an. Prognostizierte Wartezeit: acht Minuten. Was blieb mir übrig? Nach zehn Sekunden war ein Mitarbeiter dran. Super, die Computer-Stimme hatte mich sicherlich auch schon vorher belogen. Der Mitarbeiter war so hilfsbereit wie hilflos. Ich sollte den Radioknopf dreißig Sekunden lang gedrückt halten und dann alle möglichen Tasten danach auch, bis ich tief, tief im Einstellungs-Menü des Computers versunken war. Dann hatte der Mann den entscheidenden Hinweis: "Das Auto ist kaputt."

Leider stand im näheren Umkreis aber auch kein anderes DriveNow-Auto zur Verfügung.

Carsharing in Unternehmen

"Herrgott, dann springe ich jetzt eben ins Taxi. Ich hoffe, das bezahlen Sie mir."

"Ich kann Ihnen nur anbieten, das Ticket für Bus und Bahn zu erstatten."

"Wenn ich Bus hätte fahren wollen, hätte ich doch kein Auto gebucht. Ich habe keine Zeit mehr. Was können Sie mir denn bitte noch anbieten?"

"Tut mir leid. Nur noch ein anderes DriveNow-Fahrzeug."

"Aber hier in der Gegend ist doch keins!"

"Stimmt."

"Ich muss jetzt los. Und es wäre sehr nett, wenn Sie mir wenigstens nicht die kostenpflichtige Reservierung berechnen würden."

Wir verabschiedeten uns mit minimalem Zeit- und Höflichkeitsaufwand. Der Mann hatte zwar sein Bestes gegeben. Aber hier herrschte schon die Maschine über den Menschen.

Es war auch kein Taxi zu kriegen so kurz vor dem Spiel. Um 18 Uhr 05 stieg ich in den Bus. Mein Kollege stieg später schmallippig zu, sein Blick starr auf dem Fußball-Livestream auf dem Handy.

Kurz darauf erreichte mich eine E-Mail von DriveNow. Oho, wie würde man jetzt wohl zu Kreuze kriechen nach dieser Blamage?

"Hallo Marcus, vielen Dank, dass du DriveNow genutzt hast. Für die Reservierung des Fahrzeugs stellen wir dir 1,80 EUR in Rechnung."

Ist das das bejubelte neue "automatisierte Fahren", bei dem die deutsche Industrie führend ist? Ich schrieb eine Mail zurück - aus Kundensicht. Denn es ging hier nicht nur um die Zukunft unserer Leitindustrie. Es ging ums Prinzip!

von Sebastian Schaal, Christian Schlesiger

Die Antwort: Ein freundlich-devoter Text und 40 geschenkte Fahrminuten. Das entspricht rund 15 Euro (kostet DriveNow aber natürlich weniger). 15 Euro für einen versauten Fußballabend. Wäre ich jetzt ein Hardcore-Fußballfan, ich würde wohl bis vor den Bundesgerichtshof ziehen. Oder noch höher!

So aber tröstete ich mich damit, wie ich es immer tat, wenn ich etwas nicht ändern konnte. Ich freute mich, gesund zu sein. Und ich nahm mir vor, bei wichtigen Terminen zukünftig wieder mehr mit meinem Fahrrad zu fahren. Dessen Wegfahrsperre entriegele ich statt per App mit einem kleinen Dings namens Schlüssel. Und meine Freiminuten da sind unerschöpflich.

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