Werner knallhart
Quelle: dpa

Fahrprüfung für Senioren: Lappen weg, Sammeltaxi her

Sollen Autofahrer ab einem bestimmten Alter nochmal zur Führerscheinprüfung? Wer dagegen ist, hat wohl Angst, dass er danach nicht mehr fahren darf und im Alter an Mobilität einbüßt. Aber dafür wird es Lösungen geben.

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Es gibt ein sicheres Zeichen dafür, dass Politiker keine Argumente haben. Dann sagen sie nämlich: „Wir wollen ja keinen bevormunden.“ Und bei der Frage, ob Senioren sicherheitshalber nochmal zur Führerscheinprüfung sollten, fiel dem Bundesverkehrsministerium in letzter Zeit nicht viel mehr ein, als dass sie bei den Prüfungen auf Freiwilligkeit setzen. „Wir wollen die Autofahrer nicht bevormunden“, hieß es bislang von dort.

Das ist natürlich vorgeschobener Stuss. Es ist das Wesen einer repräsentativen Demokratie, dass sie im Auftrag der Wähler Regelungen entwickelt, an die sich alle halten müssen. Insbesondere der Straßenverkehr funktioniert allein dank Bevormundung. Wenn alle nur freiwillig mal bei Rot hielten, bräuchten wir an jeder Straßenkreuzung ein Krankenhaus.

Stattdessen sieht selbst der noch so sehr von Gesellschaft und Politik verdrossene Autofahrer ein: Wenn er den von rechts Kommenden nicht vorlässt, weil ihm die Lackierung gerade nicht passt, kann das für beide sehr schmerzhaft werden.

Wir zahlen Steuern so, wie es die Regierung vorgibt. Unsere Kinder haben Sommerferien dann, wann es der Kultusministerkonferenz passt. Lebensmittel enthalten genau jene Zusatzstoffe, die das Verbraucherministerium für uns durchwinkt. Und ausgerechnet dort hört die „Bevormundung“ auf, wo es um den Schutz von Leib und Leben im Straßenverkehr geht?

Wenn wir an einem Autoverkehr mit null Verkehrstoten interessiert sind (und das muss laut Experten ja kein schöner Traum bleiben), dann müssen wir uns zusammenreißen und aufhören, Individualverkehr als gelebten Individualismus misszuverstehen. Im Straßenverkehr müssen wir zusammenhalten. Und das gilt auch für unsere Fahrtüchtigkeit. Egal in welchem Alter.

Risikogruppe

Nun kursieren ja die dollsten Ausreden. Es heißt ja immer: Die Risikogruppe der Fahranfänger verursacht viel mehr Unfälle. Aus dieser Erkenntnis entspringt die Schlussfolgerung: Dann dürfen die Senioren auch gerne Unfälle bauen, denn sonst wäre das ja ungerecht. Nun könnte man dagegenhalten: Anders als die Senioren erlangen Fahranfänger nach ihrer Führerscheinprüfung mehr und mehr Fahrpraxis und werden besser, während Senioren - so wollen es leider unsere Gene - im Laufe der Zeit mehr und mehr an Fahrtüchtigkeit einbüßen.

Aber dieses Argument kann man sich sparen. In Wahrheit bauen die Senioren mehr Unfälle als die jungen Wilden. „Wenn Senioren über 75 Jahren in Unfälle verwickelt sind, haben sie diese zu rund 75 Prozent selbst verursacht“, sagte der Leiter der Unfallforscher der Versicherer (UDV), Siegfried Brockmann laut Handelsblatt. Die Quote liege damit höher als bei der Hochrisikogruppe der 18- bis 24-Jährigen. Und weil wir alle älter werden, wird diese Quote wohl noch steigen. Wenn wir nichts ändern.

Keiner wird behaupten, dass im Alter die Fahrtüchtigkeit nicht abnimmt. Die Augen werden schlechter, Rückwärtsfahren wird schwieriger, wenn der Nacken den Blick nach hinten verhindert, und die Reaktionsfähigkeit sinkt. Gerade vor zwei Wochen ist in Bielefeld eine 75-jährige Frau mit ihrem BMW eine Fußgängertreppe herunter gehoppelt. Weil sie angeblich Gas und Bremse verwechselt hatte und den Fehler nicht schnell genug korrigieren konnte. Ob das an ihrem Alter lag, lässt sich nicht überprüfen. Gäbe es verpflichtende Tests, wüsste man es aber.

Was spricht gegen Fahrtüchtigkeitsprüfungen im Alter?

Was spricht gegen Fahrtüchtigkeitsprüfungen im Alter? Ich habe mich vor einiger Zeit mit Senioren darüber unterhalten. Ihre Angst: Wenn ich den Führerschein verliere, wie soll ich dann noch zum Einkaufen, zum Arzt oder zu meinen Enkeln kommen?

Diese Befürchtungen sind ja nachvollziehbar und berechtigt. Aber deswegen die eigene Gesundheit und das Leben anderer aufs Spiel zu setzen, kann doch nicht die Antwort sein.

Auch für Kinder, die selber kein Auto fahren dürfen, gibt es Lösungen, um sie ihrer Lebensphase entsprechend mobil zu machen. Die Eltern fahren sie, der Schulbus fährt sie, auf Klassenfahrt betreuen sie in Bus und Bahn die Lehrer und dann gibt es ja noch Fahrräder. Keiner fordert deshalb den Autoführerschein für Grundschüler. Es geht eben auch anders.
Und das muss entsprechend auch für Senioren gelten. Der Bus ist für sie nicht immer die Antwort. Denn wer trägt einem von der Bushaltestelle die Einkäufe nach Hause? Und wie kommt man mit Gehbehinderung die fünf riesigen Stufen in die Straßenbahn hoch? Und das Fahrrad kommt vielleicht schon lange nicht mehr in Frage.

Herausforderungen des Autoverkehrs

Statt die Senioren dann ans Steuer ihres eigenen Autos zu nötigen, braucht es neue individuelle Mobilitätslösungen für die ältere Generation. Statt auf Teufel komm raus das Taxigewerbe zu protegieren, braucht es schnell mehr Sammeltaxi-Angebote, bei denen mehrere Fahrgäste auf der Route eingesammelt werden, die sich dann den Fahrpreis teilen. Die Fahrt dauert etwas länger, wird aber viel billiger. Ganz ohne Parkplatzsuche. So etwas könnte man sogar speziell für Senioren anbieten, mit noch mehr Zeit beim Ein- und Umsteigen. Das fördert sogar soziale Kontakte im Alter.

Noch besser: Autonomes Fahren kommt bald. Noch heißt es zwar, der Mensch muss je-derzeit eingreifen können. Doch ich bin mir sicher: Sobald sich in Statistiken niederschlägt, dass Roboterautos sicherer fahren als die von menschlichen Hirnen gesteuerten (geben Sie dem Ganzen zehn Jahre), wird sich der Mensch bald bequem zurücklehnen können. Egal welchen Alters.

Wer ohne Angst, an die eigene Wohnung gefesselt zu sein, preiswert von A nach B kommt, kann es sich leisten, sich einzugestehen: Autofahren - das konnte ich vor ein paar Jahren noch besser. Und so wie wir Darmkrebs mit Vorsorgeuntersuchungen vor-beugen, wenn wir älter werden, werden wir dann ohne Zukunftsangst auch überprüfen wollen, wie gut wir noch Auto fahren können. Die Mobilität wird dann anders: etwas weniger individuell, aber viel komfortabler und sicherer.

Mit einem Augentest ist es dann aber nicht getan. Unfallforscher fordern eine gesetzliche Verpflichtung zu Testfahrten mit geschulten Beobachtern. Kommt dann die bittere Quittung („Sie haben die Herausforderungen des Autoverkehrs nicht mehr im Griff“), wird doch kaum einer sagen: Ist mir egal, ich fahre trotzdem weiter. Die meisten werden doch dann den Lappen nach einem professionellen Beratungsgespräch freiwillig abgeben. Und sich fahren lassen.

Deshalb der Vorschlag: Verpflichtende Fahrprüfung alle zwei Jahre ab einem Alter von 75 Jahren. Aber ohne Angst, den Führerschein weggenommen zu bekommen. Als An-sporn zum freiwilligen Lappenverzicht: neue Mobilitätsangebote für Senioren (auch auf dem Land).

Solche modernen Angebote sind teurer für den Steuerzahler, als die Senioren selber in eigenen Autos fahren zu lassen. Aber sicherer für sie und die anderen. Und der Trend geht ohnehin zu neuen Konzepten der Mobilität, bei denen das eigene Auto an Relevanz verliert. Die Jungen teilen sich in unseren Großstädten immer häufiger Autos mit anderen und lassen andere für sie fahren. Die ältere Generation davon auszuschließen, und sie mit ihren altersbedingten Einschränkungen allein zu lassen - das wäre die wahre Bevormundung.

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